Die Schlösser am Meer

aus der Steiermark

Ist einmal ein König gewesen, der hat zwei Kinder gehabt, einen Sohn und eine Tochter. Den Sohn behielt er in der Königsstadt, die Tochter aber, die ihm schon als Kind viele Sorgen wegen ihres Ungestüms machte, gab er auf eines seiner Landgüter. Eines Tages aber wurde ihm von dem Mädchen etwas berichtet, was seine königliche Würde aufs tiefste beleidigte, und er beschloss, sie auf eine schreckliche Weise ihrem Schicksal zu überlassen. Er ließ ein kleines Schifflein ausrüsten, viel Speisevorräte und Getränke hineingeben, auch Geschirr und Waffen. Dieses Schiff musste nun ein anderes weit hinaus ins Meer schleppen, dort das Seil ablösen und allein heimfahren.

Wohl bat und weinte die Prinzessin, doch der Kapitän hatte strengste Weisung, und übrigens konnte ja das Schifflein mit dem Mädchen irgendwo wieder landen. So fuhr der Kapitän rasch nach Hause und meldete dem König die genaue Ausführung des Befehls. Währenddessen saß das Mädchen mit ihren Vorräten allein und hilflos auf weitem Meer, vielleicht um nach monatelangem Leiden elend zugrunde zu gehen. Weinend bat sie daher den Himmel, er möge einen Sturm schicken, damit sich ihr Los rasch erfülle. Und der Himmel schien ihren Wünschen zu entsprechen. Denn schon am nächsten Morgen erhob sich ein furchtbarer Sturm, und das Schifflein schaukelte wie eine Nussschale auf den haushohen Wellen. Und der Sturm trug sie weit, weit fort von der Heimat, und ein paar Tage schoss das segellose Boot wie ein Blitz über das Meer dahin, bis es in einer Nacht plötzlich mit einem Ruck stehen blieb. Am nächsten Tag nun sah sie, dass das Schifflein an einer Flachküste gelandet hatte, doch war kein Haus noch Ackerland weit und breit, nur Wald die ganze Küste entlang zu sehen. Sie zog das Boot noch etwas weiter ans Land und seilte es an einem Baum an. Dann aber strebte sie, eine Waffe in der Hand, dem Innern des Waldes zu.

Sie hatte bei all ihrem Elend Glück. Unweit vom Boot türmte sich im Walde ein Fels auf und darin war eine Höhle, daneben aber rollte eine muntere Quelle durch den Sand. Diese Höhle wählte sie als künftige Wohnstätte. Sie untersuchte sie, trug Bretter aus dem Boot hinein und machte einen Fußboden. An der Rückseite häufte sie trockenes Waldmoos auf für ein weiches Bett. Und hernach schaffte sie langsam alle Vorräte, alles Geschirr und alle Waffen in die Höhle und begann sich häuslich einzurichten, so gut es ging. Und nach Monatsfrist bekam sie ein winziges Knäblein, dem sie bei der Taufe an der Quelle den Namen Heinrich gab. Sorgfältig erzog sie das Kind, lehrte es beten, aber mit größerer Andacht, als sie es als Kind getan; auch lesen und schreiben musste Heinrich lernen, Beeren und Pilze sammeln, und als er fünfzehn Jahre alt war, musste er jagen gehen. Noch hatte er aber keinen Menschen gesehen als sich im Wasserspiegel und die Mutter.

Sorgfältig erzog sie das Kind, lehrte es beten, aber mit größerer Andacht, als sie es als Kind getan; auch lesen und schreiben musste Heinrich lernen, Beeren und Pilze sammeln, und als er fünfzehn Jahre alt war, musste er jagen gehen. Noch hatte er aber keinen Menschen gesehen als sich im Wasserspiegel und die Mutter. Eines Tages traf es sich, dass er bei seinem Jagen einem weißen Hirsch begegnete; schon wollte er auf ihn anlegen, da sprach der Hirsch zu ihm:

»Schieß nicht auf mich, sondern komm mit mir!« Erstaunt, dass auch ein Tier reden könne, folgte er ihm und kam zu einer Waldblöße. In der Mitte machte der Hirsch mit einem Vorderlauf einen Kreis und sagte dem jungen Heinrich, er solle hier nachgraben. Der Jüngling tat, wie ihm geheißen, und kam beim Nachgraben auf eine goldene Kette. »Diese Kette trug vor vielen Jahren ein Seeräuberhauptmann«, ließ der Hirsch sich vernehmen, »und der Mann wurde dadurch der stärkste auf der Welt. Trag nun du sie, aber leg sie nicht ab, auch beim Schlafen nicht. So wirst du der stärkste Mann auf der Welt sein. Morgen aber verlass deine Mutter und den Wald; steig aufwärts, und du wirst zu einem Seeräuberschloss kommen. Fürchte dich nicht, sondern geh hinein und vernichte die Räuber alle. Wenn du jedoch dort oder irgendwo in Nöte kommen sollst, so rufe mich; ich werde bei dir sein!«

Hocherfreut legte Heinrich die Kette um den Hals und sagte dem Hirschen vielen Dank; doch dieser war verschwunden. Zuerst ging er freilich nochmals zur Höhle seiner Mutter zurück und verkündete ihr, er werde sie am nächsten Morgen für kurze Zeit, etwa gar nur einen Tag, verlassen. Was er aber unternahm, sagte er ihr nicht; auch die Kette der Kraft zeigte er der Mutter nicht. Am nächsten Tag verließ er bereits bei grauendem Morgen die Höhle und den Wald und kam zum Räuberschloss. Im Untergeschoss war keine Seele, aber die Wände hingen voller Waffen. Die besten nahm er sich herab und stieg empor ins Obergeschoss. Dort fand er einen großen Saal, der war für dreihundert Seeräuber gedeckt. Ein junges Fräulein trat von der Küche in den Saal, als er gerade die Plätze zählte; er ging auf sie zu und bat um Nachtherberge.

»Ach«, sprach sie, »mein lieber Freund, man wird dich töten, wenn man dich merkt. Denn die Seeräuber sind lauter rohe Gesellen und dulden keinen ändern in ihrem Schloss.« »Jungfrau, ich fürcht mich nicht, aber sag, wie kommst du denn hierher, ein zartes Fräulein mitten unter solchen rauen Gesellen?«

»Ich bin eine Tochter des Königs von Spanien und wurde von den Seeräubern entführt«, sprach sie, »kaum, dass ich vier Jahre alt war. Doch komm und iss, ehe die Leute kommen!« Er setzte sich nun an die Tafel und aß und trank und tat sich gemütlich dabei und kehrte sich gar nicht darum, als er die Seeräuber die Stiege herauftrampeln hörte. Er blieb ruhig sitzen, als sie eintraten, sodass erstaunt der Hauptmann fragte: »Was machst denn du da?«

»Ach«, erwiderte Heinrich, »ich bitt um eine Nachtherberg.« »Und da isst du zuerst das Beste aus unserer Schüssel«, rief wütend der Hauptmann aus, »schafft ihn fort!«

Das war wohl leicht gesagt, aber nicht leicht getan. Denn der Räuber, der ihn wegführen wollte, sank, von einem Faustschlag Heinrichs getroffen, leblos zu Boden. Nun sprangen mehrere herzu, aber auch diese erschlug Heinrich noch ohne Waffe. Als aber ein Rudel auf ihn eindrang, da zog er blank, und ein Seeräuber nach dem andern sank tot zu Boden. Und so standen zuletzt der Jüngling und der Räuberhauptmann allein einander gegenüber. Diesen packte er und sperrte ihn ins dunkle Verlies. Hierauf machte er den Saal rein. Die Leichname warf er durchs Fenster hinab ins Meer und kehrte das Blut die Stiege hinab. Der Königstochter Mathilde aber sagte er, sie solle dem Hauptmann ab und zu etwas zu essen bringen. Und er bat das Mädchen, es möge auch weiterhin hier bleiben; es möge seine Freundin werden. Spät in der Nacht kam er zur Höhle seiner Mutter und sagte ihr:

»Komm, Mutter, geh mit mir! Ich habe ein Seeräuberschloss erobert. Lass das Geschirr hier! Solcherlei haben wir im Schlosse im Überfluss.« So zog denn die Mutter mit ihm zum Seeräuberschloss. Als sie jedoch sah, dass Heinrich mit Mathilde hielt, da fühlte sie sich vereinsamt und beneidete das Mädchen nicht wenig.

Eines Tages ging Heinrich mit seiner Freundin spazieren, die Mutter aber blieb daheim. Da fand sie nun Gelegenheit, alles im Schloss zu durchstöbern und wollte auch in die Kerker hinabsteigen, zumal sie schon öfters die Mathilde mit Speisen über die Kellerstiege hatte hinabeilen sehen. Bei allen Türen klopfte sie an, und erst bei der Letzten meldete sich jemand. Das neugierige Weib fragte nun durch das Schlüsselloch hinein, wer drinnen sei. »Der Hausherr dieses Schlosses. Lass mich hinaus!« erwiderte es drinnen.

Als Heinrich heimkam, ging die Mutter zu ihm und bat ihn, er möge den Hausherrn freilassen. Und so lange bettelte sie, bis er endlich einwilligte. Der Hauptmann war anfangs bescheiden wie ein Diener. Aber er wusste es schlau anzustellen, dass die Mutter zu ihm zu halten begann. Und bald waren diese so gut befreundet wie Heinrich und Mathilde.

Einmal nun bat die Mutter, vom Hauptmann dazu aufgehetzt, den Sohn, er möge einmal in ihrem Zimmer schlafen. Heinrich wusste nicht, warum das wohl geschehe, und sagte zu. Der Hauptmann aber lag in dieser Nacht unter dem Bett Heinrichs. Wie nun der junge Mann sich zu Bett begab und die schwere goldene Kette um den Hals behielt, da meinte die Mutter zu ihm: »Geh, leg doch diese schwere Kette ab!« Und so gehorchte Heinrich ihr und legte die Kette auf den Tisch neben dem Bett; dann schlief er ein. Der Hauptmann aber nahm die Kette, legte sie sich um den Hals und befahl Heinrich, der rasch nach der Kette griff, aufzustehen. Da sah er die Kette an der Brust des Hauptmanns und wusste, dass nun er der Schwächere sei. Aus dem Mauerkastel nahm der Hauptmann einen Tiegel und führte noch in der Nacht den jungen Mann hinauf auf einen Felsriegel gegenüber der Burg und sagte dort zu ihm: »Das alles war mein, dann war es dein, nun ist es wieder mein.«

Darauf strich er aus dem Tiegel eine Salbe über die Augen, und Heinrich war blind. »So, jetzt hilf dir, wenn du kannst«, höhnte der Hauptmann und stieß ihn über den Felsen in das Meer. Jedoch knapp ober dem Gischt blieb Heinrich an einer Felskante hängen und rief in seiner Hilflosigkeit nach dem weißen Hirsch. Dieser kam denn auch den Felsen herab, so leicht, als wenn es ebener Boden gewesen wäre, und sagte zum blinden Heinrich: »Sieh dein Unheil, weil du nicht gehorcht und des einzigen Räubers dich erbarmt hast. Jetzt musst du mit mir übers Meer zur anderen Insel. Fass meinen Lauf an und steig auf mich!« Das tat nun Heinrich, und der weiße Hirsch trug ihn durch die Wellen hinüber zu einer Insel mitten im Meer: Dort stand ein altes, halb verfallenes Schloss. Oft hatte Heinrich in gesunden Tagen von seines Schlosses Fenster hinübergeschaut!

Nun war er dort, und der weiße Hirsch trug ihn in einen Saal hinein zu einem Mauerkastel. »So, Heinrich, das öffne!« sprach der Hirsch. »Drinnen wirst du ein Büchslein finden mit einer Salbe. Die streich dir auf die Augenlider, und du wirst sehend werden. Doch merke auf! Verlass dieses Schloss, das für etliche Tage Vorräte birgt, nicht eher, bis dein Besuch dir die goldene Kette gebracht hat! Denn ein zweites Mal könnte ich dir nicht helfen!« Heinrich stieg vom Rücken des freundlichen Hirsches, öffnete das Kastel und strich die Salbe sich über die Augen. Da ward es hell um ihn, und er konnte wieder sehen. Der Hirsch aber war verschwunden.

Während nun Heinrich das Schloss durchschritt und in einer Kammer Vorräte in großer Menge fand, schwamm der Hirsch wieder zurück zum Räuberschloss und stellte sich in einen dichten Hollerbusch im Garten. Mathilde war gerade dort und goss die Blumen. »Hör, Mathilde«, sprach der Hirsch, »verlass noch heute das Schloss und fahre auf einem Kahn hinüber zum Inselschloss. Dort wirst du den Heinrich finden.« Erstaunt hörte Mathilde diese Worte, sah jedoch niemanden. Sie" wusste auch noch nichts von dem großen Unglück, das dem Jüngling zugestoßen war, und so löste sie, als es Abend wurde, den Kahn vom Ring und fuhr hinüber zum Inselschloss.

Welche Freude da Heinrich hatte, als Mathilde zu ihm kam, ist nicht zu beschreiben. Ihr erzählte er nun alles, angefangen von dem Betrug seiner Mutter bis zu seiner Rettung durch den weißen Hirschen. Wie Mathilde dies alles hörte, da erwuchs in ihr ein solcher Abscheu gegen den Räuberhauptmann, dass sie am liebsten ganz bei Heinrich geblieben wäre und gar nie mehr ins Räuberschloss zurückgekehrt wäre.

Am nächsten Tag jedoch sagte Heinrich, sie müsse trachten, dass sie ihm wieder zur Kette verhelfe. Dann wäre beider Glück endgültig gemacht. Und so nahm Mathilde Abschied von Heinrich und fuhr hinüber zum Seeräuberschloss. Ihr Ausbleiben war gar nicht aufgefallen, und so konnte sie ohne Schwierigkeit ihrer Häuslichkeit nachkommen. Sie war mit der betörten Mutter sehr lieb, ihr untertan; denn dass Heinrich gar nicht wieder kam, ging ihr doch zu Herzen. Dem Hauptmann war sie für häusliche Dienste stets bereitwillig, kein Wunder, dass sie nach Verlauf einer Woche das Vertrauen von beiden hatte wie bisher.

Eines Abends nun, als der Hauptmann zu tief ins Glasel geschaut hatte, legte sich Mathilde ganz geheim unter des Hauptmanns Bett. Dieser wackelte kurz darauf herein, warf die Kette auf den Tisch, zog sich zur Hälfte aus und legte sich ins Bett. Um Mitternacht aber nahm Mathilde die Kette vom Tisch, hängte sie sich um und ging dann hinab zum Boot am Strande. Gar bald war sie drüben bei Heinrich im alten Schloss. Kaum hatte dieser die Kette umgehängt, setzte er Mathilde wieder ins Boot und fuhr zurück zum Räuberschloss, dass der Hauptmann ihm nicht entschlüpfe. Schon war es Morgen, als sie ankamen, aber noch schlief der Hauptmann einen tiefen Schlaf in seiner Kammer. Da trat Heinrich bei ihm ein, fasste ihn, nahm die Salbe aus dem Mauerkastel und führte ihn hinaus auf den Riegel, wo er vor einer Woche gestanden. Dort sagte er zum Hauptmann: »Das war früher dein, dann ward es mein, dann wieder dein, nun wieder mein.«

Darauf strich er dem heftig sich Wehrenden die Salbe um die Augen und stürzte ihn den Felsen hinab ins Meer, dessen Wellen sich gierig über ihm schlossen. Aber auch seine Mutter führte er fort vom Schloss zur Höhle zurück, wo sie so manches Jahr gewohnt hatte. So waren nun Heinrich und Mathilde allein im großen Seeräuberschloss. In den ersten Tagen fühlten sie sich freilich wohl, so ganz füreinander zu leben, aber mit der Zeit wurde es ihnen doch einsam. Sie wollten auch einmal die Welt sehen. Und so trugen sie viel Holz auf dem Riegel zusammen und machten dort ein großes Zeichenfeuer. Und wirklich kam bald ein Schiff. Da erzählten sie nun dem Kapitän, dass sie von Seeräubern überfallen und hier ausgesetzt worden seien und dass ihr Reiseziel Spanien wäre; denn Mathilde sei des Königs Tochter und Heinrich würde durch sie König werden.

Wie dies der Kapitän hörte, lud er sie ein, mit ihm zu fahren, denn auch er sei auf der Fahrt nach Spanien. Und Heinrich und Mathilde stiegen mit einer Tasche voll Gold in das Schiff ein. Der Kapitän war ein böser Mann und hatte böse Gedanken. Er selber wollte König von Spanien werden. Als nun eines Tages Heinrich an der Brüstung des Schiffes lehnte und in die Wogen hinabsah, schlich sich der Kapitän heran, fasste plötzlich den Jüngling und warf ihn ins Meer. Das Schiff aber, von einem scharfen Wind getrieben, flog dahin, und bald sah es der mit den Wellen ringende Heinrich nicht mehr. Da nun rief er in seiner Verzweiflung den weißen Hirsch. Der stand denn auch sogleich da, und Heinrich ritt auf seinem Rücken über das Meer nach Spanien, weit schneller, als das Schiff fuhr.

Der Kapitän stieg nach vollbrachter Missetat zu Mathilde in die Kajüte hinab und meldete ihr, dass Heinrich über Bord gefallen und ertrunken sei. Er nehme sie wohl weiter mit nach Spanien, aber sie müsse ihm heilig versprechen, vor ihrem königlichen Vater zu sagen, er sei ihr Lebensretter; sonst würde er sie dem Heinrich ins Meer nachwerfen. Was blieb ihr übrig, als das Verlangte zuzusagen? Kaum war das Schiff in Spanien gelandet, ließ der Kapitän dem König die Ankunft seiner so lang verschollenen Tochter melden und wurde mit ihr vom König und dem Volke mit großen Ehren und Gepränge aufgenommen.

Aber auch Heinrich kam in die Hauptstadt von Spanien und sah den Einzug Mathildens mit dem Mörder an. Darauf sagte der weiße Hirsch zu ihm, er müsse sich als Maler verkleiden und dem König seine Kunst antragen. »Aber, lieber Freund«, entgegnete Heinrich, »ich kann ja gar nicht malen, habe keinen Begriff davon!«

»Macht nichts. Tu, wie ich dich geheißen habe«, erwiderte der Hirsch.' »Sei versichert, ich werde dir beizeiten helfen.« Und so ging denn Heinrich zum König und trug ihm seine Dienste an. Nun war zur bevorstehenden Hochzeit sehr viel zu richten, und der König nahm mit Freuden das Anerbieten des Malers an. Er sollte eine Villa schön mit Darstellungen ausmalen und zur Verlobungsfeier m einer Woche fertig sein.

Heinrich ließ sich dann Farben geben, rührte sie an, mischte sie nicht selten zu graugrünen Suppen und stand und lag in der Villa herum und verschlief die halbe Zeit. So verging die Woche, es kam der letzte Tag, und es war noch kein Strich geschehen. Aber auch vom weißen Hirschen, der ihm seine Hilfe versprochen hatte, war keine Spur zu sehen. Als nun der Abend kam, begann dem Heinrich doch ein wenig bang zu werden. Endlich um Mitternacht klopfte der Hirsch an die Tür der Villa. Rasch öffnete Heinrich die Tür und sagte halb vorwurfsvoll:

»Ach, guter Freund, schau, ich hab gar nichts gemacht, und morgen soll alles fertig sein. Ich hab mich auf dich verlassen, und du kommst erst um Mitternacht!« »Ei, leg dich zur Ruhe«, begütigte ihn der Hirsch, »und morgen früh komm wieder!«

Als ihn am nächsten Tag der Hirsch frühmorgens in den großen Speisesaal und in die Nebensäle führte, blieb er staunend stehen. Die prächtigste Malerei hatte der Hirsch in kurzer Zeit zustande gebracht. Große Landschaften mit Burgen, dazwischen Fruchtbäume, sah er, und als er genauer schaute, erkannte er die zwei Schlösser am Meer. Und unten herum durch den ganzen Saal reihte sich Bild an Bild, Darstellungen aus seinem Leben, die Höhle seiner Mutter, wie er sich die Kette ausgrub, wie er Mathilde kennen lernte, wie er die Seeräuber erschlug, und so weiter alles bis zum Ritt übers Wasser nach Spanien. Am Vormittag kam der König mit Mathilde und dem Kapitän in die Villa, und viele Herren und Frauen waren mit ihnen. Denn es sollte im Saale die große Verlobungsfeier der Prinzessin sein. Und da schaute der König den Saal an und staunte. Aber auch Mathilde war verblüfft über alles und rief freudig aus: »Das ist ja das Schloss am Meer!«

Da traf sie ein böser Blick des Kapitäns, und sie schwieg. Der König aber sah unten die vielen Darstellungen und wollte wissen, was das alles zu bedeuten habe. Deshalb ließ er den Maler bringen. Wie Heinrich den Saal betrat, wurde dem Kapitän plötzlich unwohl. Aber auch Mathilde stürzte mit einem Schrei zu Boden. Heinrich jedoch erklärte dem König, das sei des Malers Lebenslauf, und erzählte nun alles, wie es gewesen, und dass der Kapitän ihn ins Meer gestürzt habe.

Wohl schrie der Kapitän, das sei alles Lüge, aber Heinrich sagte ruhig: »Zum Zeichen, dass alles wahr ist, rufe ich den weißen Hirsch.«

Da öffnete sich die Tür mit beiden Flügeln, und alle sahen den weißen Hirschen in der Tür stehen. Der König befahl aber jetzt, den Kapitän gefangen zu setzen und ihn durch zwei Ochsen auseinander reißen zu lassen.

Heinrich aber heiratete Mathilde und wurde König von Spanien.