Marko Krawelitjo

Ein Romamärchen aus Ungarn

Lasst mich einen Augenblick nachdenken... Also es lebte oben auf einem Berg bei Pilis, wo es auch Serben gibt, eine arme alte Frau. Sie war Witwe und ernährte sich von ihrer Arbeit. Die reichen Leute ließen bei ihr waschen und Handarbeiten anfertigen, der eine dies, der andere jenes. Diese arme Witwe also hatte einen Sohn, der hörte auf den Namen Marko Krawelitjo. Ein guter serbischer Name. Als der Junge groß war, gab ihn die Mutter zum Schulzen in Dienst. Der schickte ihn auf die Weide, Schweine hüten. Gut, soweit war alles in Ordnung. Und lange geschah auch nichts. Marko lebte, wie arme Jungen eben leben. Und es wäre alles gut gegangen, aber da kam auch der Sohn des Schulzen auf die Wiese. Er hatte nur drei Pfeile, und mit denen schoss er immer auf den Marko. Der musste ihm die Pfeile zurückbringen, und wenn er einmal vor dem Pfeil auswich, bekam er von dem andern zwei Ohrfeigen. Marko konnte sich gegen den starken Burschen nicht wehren, und er hätte auch nicht gewagt, zurückzuschlagen, denn die Mutter bekam von der Frau des Schulzen viel Arbeit. Mit einem Wort, der gute, arme Marko ließ sich die Pfeile und die Ohrfeigen gefallen. Als aber der Sohn des Schulzen sah, dass der andere alles duldete, schlug er immer härter zu, so hart er nur konnte. So wurde dem kleinen Marko das Leben immer schwerer. Was geschah aber eines Tages? Nie werdet ihr es herausfinden, wenn ich es euch nicht sage, korojowaw! Es war schon spät am Vormittag, und der Sohn des Schulzen war noch nicht da. Hatte verschlafen oder etwas anderes zu tun, ich weiß es nicht. Froh, dass er allein war, schlenderte Marko über die Wiese. Was sah er auf einmal? Bar'baro Del, ich wage es nicht auszusprechen, nicht auf die Zunge zu nehmen! Es war die Heilige Jungfrau Maria, gebenedeit sei sie, die dort in der glühenden Sonnenhitze saß! Sie tat dem kleinen Marko leid, dass sie so schutzlos der Sonne ausgesetzt war. Da nahm er das Messer, schnitt von einem Baum schöne dichtbelaubte Zweige ab und baute ein grünes Zelt über sie, damit die Sonne die liebliche Jungfrau nicht versenge.
Als Marko fertig war, wollte er zu seinen Schweinen zurückgehen, aber die Heilige Maria rief ihm nach: »Marko, komm zurück! «
Der Junge gehorchte. Die Heilige Jungfrau fragte ihn, was er sich zum Lohn für seine gute Tat wünsche. »Marko, mein Sohn, Marko Krawelitjo, was wünschst du dir am meisten? «
»Teure jungfräuliche Mutter«, antwortete Marko, »ich möchte stark sein, stärker als alle Menschen. « Da gab die Heilige Maria Marko ein Taschentuch und sagte, er solle sich damit über die Stirn wischen. Jedes Mal, wenn er das tue, werde er stärker und stärker sein. Auch ein kleines Messer schenkte sie ihm.
»Wozu du deine große Kraft gebrauchen wirst, ist deine Sache«, sagte sie. »Aber merke dir eines: Es gibt etwas, wofür mein himmlischer Schwiegervater nicht genug Kraft besitzt. Dafür kann ich auch dir nicht Kraft geben. « Marko verstand nicht, was die Jungfrau Maria meinte. Schade, es waren sehr weise Worte. Wie sollte er sie auch verstehen? Ich war noch ein Kind, als ich diese Geschichte hörte, und auch ich verstand nicht, was sie bedeutete. Dann wurde ich groß und heiratete. Zwei Frauen starben am Kindbettfieber, aber die dritte gebar mir siebzehn Kinder. Wir lebten, wie arme Zigeuner leben: Taufe, Beerdigung, Taufe, Hochzeit, wie das schon ist. Einer meiner Urenkel hat gerade aus Schweden geschrieben, ein anderer lebt hier auf dem Hof, ein dritter - aber ich kann sie schon nicht mehr zählen, so groß ist die Verwandtschaft. Die Geschichte von Marko Krawelitjo hatte ich schon vergessen, und jetzt ist sie mir auf einmal wieder eingefallen. So ist es, wenn man alt wird, langsam erinnert man sich wieder an die vergessenen Geschichten. Hört weiter zu.
Marko verstand also nicht, was die Heilige Jungfrau sagen wollte. Er steckte das Messer und das Taschentuch ein, bedankte sich schön dafür und ging zu den Schweinen zurück. Dort wartete schon der Sohn des Schulzen auf ihn. »Wo treibst du dich herum, du hässlicher schwarzer Halunke? « schrie er ihn an. Und der Marko war gar nicht richtig schwarz, er hatte eine schöne braune Hautfarbe wie wir.
Aber der Sohn des Schulzen sagte noch mehr, etwas Hässliches auf Märkos Mutter wird es gewesen sein, denn Marko zog das Taschentuch aus der Tasche und wischte sich damit über die Stirn.
»Auch ein Taschentuch hast du, du schwarzer Bankert? « Spottete der andere. » Gib's her, oder ich spalte dir den rußigen Schädel! «
Marko gab das Taschentuch nicht her, sondern wischte sich damit noch einmal über die Stirn.
»Gibst es nicht her, du Dorfschönheit? Soll ich auf die Knie fallen und dich darum bitten? Gnädiger Herr, ich bitte Sie ergebenst, geben Sie mir das schöne gestickte Tüchlein, so, ja? Da, du widerliches Stinktier!«
Damit versetzte er dem armen Marko eine mächtige Ohrfeige. Dem armen Marko, sagte ich? Hei, der war nicht mehr der alte arme Marko! Hätte es der Sohn des Schulzen gewusst, er hätte sich gehütet, ihn zu schlagen. Denn Marko schlug zurück, und mit solcher Kraft, dass der Sohn des Schulzen für immer genug hatte. Er streckte sich lang aus, um erst bei Ruf der Posaunen des Jüngsten Gerichts wieder aufzustehen. Dann ging Marko nach Hause zu seiner Mutter. »Was ist, mein lieber Sohn? Warum kommst du so früh? Bist du krank? Ich mach' dir das Bett, mein schwarzes Sternchen!« »Mir fehlt nichts, Mutter. Ich habe nur den Sohn des Schulzen erschlagen. «
Als sie das hörte, brach die Mutter in Tränen aus. »Oh, mein lieber Sohn, mein einziges Kind, was wird jetzt mit uns! « Marko beruhigte sie: »Fürchte dich nicht, Mutter. Du siehst, ich habe auch keine Angst. Ich habe jetzt solche Kraft, dass ich es auch mit dem ganzen Dorf aufnehme. Schau dir dieses Taschentuch an. Wenn ich mir damit über die Stirn fahre, werde ich jedes Mal noch stärker. « Da beruhigte sich die Mutter und sagte: »Das ist gut, mein einziger Sohn, mein Augenlicht. Wenn du so stark bist, hast du nichts zu befürchten. Ich habe nur einen Wunsch, dann kannst du mit deiner großen Kraft machen, was du willst: Ich bin in großer Bedrängnis. Bisher habe ich davon geschwiegen, aber jetzt will ich es dir sagen. Da ist ein Riese, Harambussa heißt er, der kommt immer wieder her und bedrängt mich in meiner Witwenehre. Schaff ihn mir vom Hals, mein Sohn, wenn du kannst. «
Mehr brauchte Marko nicht. Er war auch sonst ein heißblütiger Bursche, und jetzt noch dazu stark wie keiner. Er sagte kein Wort und machte sich auf, den Harambussa zu suchen. Was, seine Mutter! Dem wird er's geben, dem Harambussa. Er, der Marko! So sind starke Menschen, und gar die Roma, denn das war er. Aber habt Geduld, ich erzähle euch alles der Reihe nach, wie es gewesen ist.
Wie er so die Landstraße entlangspazierte, der starke Marko, spähte er scharf nach allen Seiten. Er war schon gut einen halben Tag gegangen, da sah er einen großen, ungeschlachten Menschen auf einem Pferd daherkommen, ihm entgegen. Als der nun den Marko Krawelitjo erblickte, schrie er ihn an: »He, du Bastard, runter von der Straße! « Marko aber schrie zurück:
»Du bist der Harambussa, was? Na, dann runter von dem Sattel, dass ich dir die Knochen zerbreche, du Riese! Gerade dich suche ich, damit wir unsere Kräfte messen! « »Mit mir willst du dich messen, du Rotznase? Ich rühr' dich bloß an, und du hörst alle Engel singen. Runter von der Straße, sag' ich, du Bastard! «
»Ich sehe, Harambussa, du hast nur ein Riesenmaul. Traust dich nicht vom Pferd, hast Angst, dass ich dir das Kreuz zerbreche! «
Wie er das sagt, zieht er das Taschentuch hervor und wischt sich damit über die Stirn, der Marko. Da springt der Harambussa vom Pferd und will den Marko von der Straße ziehen.
»Los, komm, Bürschlein, den schönen Rasen dort soll dein Blut rot färben! «
»Ich geh' nicht, der Staub der Straße soll dein Blut trinken! « Da gingen sie aufeinander los und begannen zu ringen. Sie rangen, bis es Abend wurde, der Harambussa und der Junge, aber keiner konnte den andern unterkriegen. Da bat der Marko um eine Ruhepause und flehte zur Jungfrau Maria: »Oh, teure jungfräuliche Mutter! Hilf mir, ich werde mit dem Riesen nicht fertig! «
»Das kannst du nicht, mein Sohn, solange er die Schlange an der Hüfte trägt. Nimm das Messer, das ich dir gegeben habe, in die Hand, und dann schau, wie du weiterkommst. Dass einmal einem Menschen gelingt, was er möchte! «
Wie sollte das der Marko verstehen? Soviel aber begriff er, dass er sich mit dem Messer helfen müsse. Heraus damit und los auf den Riesen!
Eins, zwei, und schon schnitt er die kleine Schlange aus dem Gürtel des Riesen heraus, und gleich streckte sich der Riese der ganzen Länge nach hin. Die Schlange aber zischte Marko ins Ohr:
»Was hast du getan, du Narr, was hast du getan? Hast deinen eigenen Vater getötet! Bist ein Bastard, recht hatte der Riese. Er hat mit deiner Mutter gelebt, und so bist du zur Welt gekommen. Jetzt hat er sie verlassen, und da hat sie dich auf ihn gehetzt. Bist ein Narr, Junge, ein Narr! Schau, wie schwarz sein Haar ist und wie braun seine Haut. Siehst du nicht, dass du sein Sohn bist? Soll ein Zigeunerjunge nicht mehr an seinem Vater hängen als an seiner Mutter? Hättest deine Mutter totschlagen sollen, als sie dich gegen ihn hetzte. Wenn es aber schon geschehen ist, mache aus einem schönen Eichenstamm einen Sarg, lege deinen Vater hinein und mich daneben, halte Totenwache nach Zigeunerbrauch, und bei Sonnenaufgang begrabe uns hier neben der Straße. «
So geschah es auch. Marko machte alles, wie es sich gebührt. Er fällte eine Eiche, höhlte den Stamm aus und legte den Riesen hinein. Er wachte die ganze Nacht, wie es bei Zigeunern zu sein hat, und als es Morgen wurde, grub er den Sarg am Rande der Straße ein.
Als er fertig war, machte er sich auf, um nach Hause zurück-zukehren. Warte, warte, du böse Mutter, mein Vater liegt tot in der Erde. Was fang' ich jetzt mit dir an? Still, wie immer, trat er ins Haus.
»Was ist mit dir, mein lieber Sohn? Warum bist du so blass? « »Nichts ist, mir fehlt nichts, ich möchte von dir nur wissen, wer mein Vater war? «
»Ein armer Mensch war er, in den Krieg musste er als Husar, eine Kugel traf ihn ins Herz, und ich blieb, jung und schon Witwe, allein mit dir. «
»So, er war Husar? «
»Ja, Husar.«
»Und wurde erschossen? «
»Ja, erschossen. «
»Dass die Pest seine feine Witwe geholt hätte! Hast du ein Herz? Hast den Sohn ausgeschickt, dass er seinen Vater töte!
Das hat meine Mutter mit mir gemacht! Da, du Hexe, das hast du dafür! «
Damit gab er der Mutter einen Schlag auf den Kopf, dass sie sofort das Leben aushauchte. Diesmal hielt Marko nicht Totenwache, er ließ die Mutter liegen in ihrem Blut, die Hunde sollen sie fressen. Er zog in die Welt hinaus.
Aber so geht es nicht, Marko, du Marko Krawelitjo. Stark sein ist nicht alles.
Denn wie stark der Marko auch war, dies geschah mit ihm: In fernem Land lebte ein Bruder seiner toten Mutter, der war ein gar mächtiger Herr. Fürst Rotbart nannten ihn die Menschen. Dieser Fürst Rotbart hörte eines Tages, dass jemand seine Schwester ermordet habe. Er rief seine Soldaten zusammen und befahl ihnen streng, ihm den Mörder seiner lieben Schwester herbeizuschaffen, lebend oder tot. Sofort brach das ganze Reiterheer auf, und bald darauf trafen sie Marko auf der Landstraße. Der schlug wie toll auf die Männer ein, aber mit allen konnte er doch nicht fertig werden. Sie fesselten ihn und banden ihn an ein Pferd und brachten ihn zu ihrem rotbärtigen Herrn. Der war ein gar weiser Mann; seine Weisheit war so groß wie Märkos Kraft. Er fragte den Jungen aus und wollte alles genau wissen, wie es angefangen hatte und wie es geschehen war. Dann sagte er:
»Na, schön, mein Neffe, denn wenn du auch Vater und Mutter getötet hast, so bist du ja doch mein Schwestersohn, und ich will meine Hände nicht mit deinem Blut beflecken. Ich lass dir nicht den Kopf abschlagen und dich auch nicht aufspießen, ja, nicht einmal rädern, sondern in einen finsteren Keller einmauern. Dort wird dir deine Kraft vergehen, mit der du Vater und Mutter getötet hast. «
Sofort ergriffen die Soldaten den jungen Marko und mauerten ihn ein. Da war kein Fenster und nicht der kleinste Spalt in der Mauer. Kein Entfliehen möglich! Marko wäre verloren gewesen, aber die liebe Jungfrau Maria wandte nicht ihr Gesicht von ihm. Der Hofnarr des Rotbärtigen schlug mit einem Eisenwerkzeug ein Loch in die Mauer und steckte Marko, an dem er großen Gefallen gefunden hatte, jeden Tag etwas zum Essen hindurch.
Jetzt hatte Marko Zeit zum Nachdenken, und er grübelte den ganzen Tag.
Das Loch, das der Hofnarr da gemacht hat, so überlegte er, könnte ich leicht größer machen, um hinauszukommen, und auch sonst könnte ich die Mauer eindrücken. Dann würde ich dem Rotbart den Schädel einschlagen. Aber wozu wäre das gut? Ich wäre draußen und frei. Aber dann? Hier büße ich für das, was ich getan habe, aber dann würde jeder mit dem Finger auf mich zeigen: Seht, dort geht der Marko Krawelitjo, er hat Vater und Mutter getötet, kommt, laufen wir, sonst tötet er auch uns... Lieber diene ich meine Zeit hier ab. Einmal lässt man mich doch hinaus, man wird mich hier nicht vergessen. Man hatte ihn auch nicht vergessen. Bald fünfzig Jahre vergingen, da fühlte der Rotbart seinen Tod nahen und ließ seine Soldaten kommen.
»Öffnet die Mauer des Kellers, der Marko Krawelitjo ist schon lange tot. In der Stunde des Todes wird er seine große Sünde bereut haben. Holt ihn heraus, er soll in Frieden unter der Erde ruhen! «
Als die Soldaten die Mauer durchbrachen, da trat der Marko heraus. Sie erkannten ihn nicht, keiner wusste, wer das war, auch der Rotbart nicht. Der Mann hatte schneeweißes Haar und einen langen weißen Bart, er mochte siebzig Jahre alt sein, vielleicht auch achtzig. Der Rotbart staunte ihn eine Weile an, dann sprach er: »He, bist du es, Marko, bist doch am Leben geblieben? Groß ist Maria, die auf dich achtgegeben hat. Geh, mein Neffe, der Wind wird die Spuren deiner Füße mit Staub zudecken. «
Rund ist die Erde, wohin jetzt? Wer braucht einen alten Mann? Soll er sich mit siebzig als Knecht verdingen? Allein in der Welt herumlungern?
Was blieb ihm übrig, er ging auf dem kürzesten Weg nach Hause.
Und dort? Lasst euch erzählen, wie ich auf meine alten Tage lebe. Im Sommer ziehe ich nachmittags meine Sonntagssachen an und stelle mich vor die Tür. Früher war es so, dass alle, die vorbeikamen, grüßten - Wie geht's, was macht Ihr, werdet ja immer jünger. Na, alter Knabe, komm doch einen heben! -Keiner ging stumm vorüber. Und jetzt? Menschen kommen und gehen wie damals, aber sie sind irgendwie anders. Keiner grüßt mehr, keiner ruft mich in die Schenke. Ich stehe eine Zeit draußen, dann gehe ich ins Haus, hänge meine Sonntags¬sachen schön ordentlich in den Schrank, ziehe die Stiefel aus, spanne sie über den Leisten und stelle sie unter den Anzug, damit die Frau meines Enkels nichts zu murren hat, dann lege ich mich schlafen. Sagt, was soll ich sonst machen? Warum nimmt Gott mich nicht zu sich?
Vielleicht ist es auch dem Marko nicht anders ergangen? Also, als er ins Dorf kam, bestaunten die Leute nur seinen langen weißen Bart und wunderten sich, was der Mensch denn im Dorf wolle. Da redete Marko, während er zum Haus seiner Mutter ging, den einen und den anderen an: »Ei, erkennt ihr mich nicht? Ich bin der Marko, der Knecht des Mujalo, der Marko Krawelitjo. Erinnert ihr euch nicht? « Jetzt wussten sie es also. Das ganze Dorf drängte sich um ihn, dass er nicht weitergehen konnte.
»Was wollt Ihr hier? Lasst uns in Frieden! Mit Eurer Geschichte jagen wir die Kinder in die Betten. Schnell unter die Decke, Kind, der Krawelitjo kommt und nimmt dich mit! Was wollt Ihr hier? Habt Ihr noch nicht genug gemordet? « »Ich könnte ihnen allen die Schädel einschlagen«, dachte sich der Krawelitjo, »aber was hätte ich davon? Was soll ich dann anfangen? Ich gehe weiter, hier habe ich nichts zu suchen. « Damit ging er aus dem Dorf hinaus. Er schnitt sich einen Zweig von einem Baum ab, machte sich ihn im Weitergehen zum Stock zurecht und sang dazu ein Lied. Es war ein kurzes, aber trauriges Lied, wie es die Walachenzigeuner singen:
Hei Dewla, Dewla, wie ist doch diese Welt
Gar so schlecht bestellt.
Traurig ist mein Lied, bitter ist der Ausgang.
Bei dem vielen Leid vergaß ich längst den Anfang.
Er warf den Stock weg und hörte auf zu singen. Was half es ihm schon?
Schließlich flehte er zum Himmel empor:
»Teure jungfräuliche Maria, erhöre mich! Ich bin ein nutzlo¬ser Greis geworden, siebzig Jahre alt, vielleicht achtzig. Als Kind habe ich meine Kraft nicht zum Guten gebraucht, und als alter Mann kann ich nichts damit anfangen. Auch ich möchte mit den anderen am Feuer sitzen, still mein Süppchen essen, Glut herausfischen und in meine Pfeife drücken, mit Enkelkindern spielen und von alten Zeiten erzählen. Ich flehe dich an, nimm mir meine Kraft und wende dafür meine Sünden zum Guten. So könnte ich meine Jahre in Ruhe und Frieden beschließen. «
Die Jungfrau Maria antwortete ihm aus dem Himmel: »Du verlangst Großes von mir, Marko Krawelitjo. Gut, ich habe dir die große Kraft verliehen, ich nehme sie zurück. Du hast Unglück über dich selbst gebracht. Ich will dir helfen, wie ich kann, damit alles zu einem guten Ende komme. Denke daran, was ich dir einmal gesagt habe: Für etwas reicht auch Seine Macht nicht aus. Jetzt gehe heim in dein Dorf. « Der arme Krawelitjo freute sich sehr, dass jetzt alles wieder gut sein würde. Er gehorchte der Heiligen Mutter und ging, so schnell er konnte, nach Hause.
Als er in das Dorf kam, erwiesen ihm die Menschen große Hochachtung. Das erstaunte ihn sehr. Und sie hatten ihm nur gegeben, was dem Alter gebührt.
Als er in das Haus trat, fand er die Mutter wie gewöhnlich in der Küche. Zuerst erkannte sie ihn nicht. »Du sollst mein Sohn Marko sein? « fragte sie schließlich, »du mein schwarzes Sternchen? So alt? Komm, leg den Kopf in meinen Schoß, sei wieder mein kleiner Junge! Komm, mein Kind, warum kommst du nicht? «
»Aber Mutter, ich bin doch ein alter Mann! Vielleicht möchtest du mich gar am Kopf kraulen und mich am Bart zupfen? Dem bin ich schon entwachsen. Aber darum wollen wir nicht streiten. Wo ist mein Vater? «
»Dein Vater, mein Sohn? Ich habe es dir schon gesagt. Er ist sehr lange tot. Im Krieg hat ihm eine Kugel das Herz durchbohrt. «
»Gut, dass du es wieder sagst. Er war also ein Husar. Mit roten Hosen. Rot wird dein altes Gesicht von der Farbe aus der Apotheke. Erwartest du für heute Abend den Harambussa? Ist er noch immer nicht von seiner Narrheit geheilt? «
Ohne einen Laut von sich zu geben, fiel die Mutter bewusstlos vom Stuhl. Gerade im rechten Augenblick, denn eben stapfte der Harambussa herein. »Na, du bärtiges altes Wrack, was hast du mit meiner Rani gemacht? Hast sie vergiftet? Sag's sofort, sonst zünde ich dir deinen Bart an! «
»Und Ihr seid noch immer das gleiche wüste Raubein wie früher? Das hier, Eure Rani, ist meine Mutter. Und Ihr seid mein guter Vater? Habt Euch viel um mich gekümmert? Seid Ihr aus dem Eichensarg gekrochen? «
Gut, dass Marko sich rasch davonmachte, sonst würde diese Geschichte schlimm enden. Er ging, und seither wandert er ruhelos im Land umher. Mein Großvater hat ihn noch im westlichen Donauland gesehen.