Was gut ist, ist auch klug

Russisches Märchen

Es waren einmal ein alter Mann und eine alte Frau, die hatten drei Söhne. Eines Tages wurde der Mann krank. Er rief seine Söhne zu sich und sprach zu ihnen: «Ich glaube, dass ich sterben muss. Mein Besitz ist groß; wenn man ihn aber auf drei verteilt, so wird er klein, und außer-dem muss auch eure Mutter noch etwas haben. Vor meinem Tode möchte ich deshalb erproben, wozu ein jeder von euch taugt. Morgen sollst du, mein ältester Sohn, hundert Rubel nehmen und dafür in der Stadt auf dem Markte Klugheit kaufen. Doch pass auf, und bring mir das Geld nicht mehr nach Hause!»
Am nächsten Morgen nahm der älteste Sohn hundert Rubel und ging fort, um Klugheit zu kaufen. Er kam in die Stadt und fragte überall nach; den ganzen Tag ging er umher, aber nirgends konnte er das Gewünschte finden. Die Krämer lachten ihn alle aus, und unverrichteter Dinge machte er sich am Abend auf den Heimweg. Als er so dahinschritt, begegnete ihm ein Bauer, der führte einen Hund mit sich. «Kaufe meinen Hund, Jüngling!» - «Was soll mir dein Hund?» - «Er ist klug und fängt ganz allein Vögel und wilde Tiere im Wald. Wenn du ihn hast, so brauchst du keine Waffe mehr.» - «Nun gut», dachte der Bursche, «der Vater hat verboten, das Geld wieder nach Hause zu bringen. Wenn ich den Hund kaufe, so werde ich mit ihm zusammen ein gutes Leben haben und nicht faulenzen, vielleicht sogar noch Geld erwerben. Was kostet der Hund?» - «Ja, für weniger als hundert Rubel lasse ich ihn dir nicht!» Der Bursche begann zu feilschen, doch der Bauer gab nicht nach, er musste ihm hundert Rubel bezahlen. Als er mit dem Hund nach Hause kam, fragte der Vater: «Nun, hast du Klugheit gekauft?» - «Nein, Väterchen, ich habe in allen Läden nachgefragt, aber nirgends konnte ich sie erhalten. Schon wollte ich das Geld verstecken, da bot sich mir
Gelegenheit, einen wunderbaren Hund zu kaufen. Von sich aus fängt er Vögel und wilde Tiere.» - «Wohlan», sprach der Vater, «dass du das Geld verschleudert hast, ist weiter nicht schlimm, doch mit dem Hund wirst du nicht ewig zusammenleben, er ist auch nicht im Guten zu dir gekommen.»
Am folgenden Tag ging der mittlere Sohn fort, um Klugheit zu kaufen. Allein, auch er wurde in den Läden verlacht und begab sich am Abend unverrichteter Dinge nach Hause. Da sah er einen Bauern am Wegrand schlafen, der hatte ein Vögelein auf dem Kopf, das sang. Als es zu singen aufhörte, erwachte der Bauer, öffnete das Käfigtürlein, und es flog hinein. «Kaufe das Vögelein für hundert Rubel, guter Bursche!» sprach der Bauer, «es ist kein gewöhnliches Vögelein. Wer immer seinen Gesang vernimmt, der schläft ein und erwacht erst wieder, wenn es aufhört.» Sie begannen miteinander zu feilschen, doch der Bauer wollte nicht weniger als hundert Rubel nehmen. Schließlich gab der Jüngling das Geld und nahm den Käfig mit dem Vögelein. Er ging nach Hause und erzählte dem Vater von seinem Kauf. Der Vater sprach: «Obwohl auch du nicht bis zu deinem Tode mit dem Vögelein leben wirst, so ist es doch schon besser als der Hund. Du wirst glücklicher sein als dein älterer Bruder.»
Am dritten Tage machte sich der jüngste Sohn auf, um Klugheit zu kaufen. Er ging den ganzen Tag umher und fragte, wo er sie wohl erhalten könne, aber nur in einem einzigen Laden sagte ihm der Krämer: «Geh im Frieden, guter Bursche! Gerne würde ich dir heute Klugheit verkaufen, doch sind so viele Leute im Laden, dass es mir nicht möglich ist, mich um dich zu kümmern. Sie haben mich so ermüdet, schon den dritten Tag kommen die Käuze und wollen Klugheit kaufen!» Der Bursche ging nach Hause. Unterwegs sah er, wie ein Bauer den Körper eines Menschen am Boden hinter sich her schleppte. Er trat zu ihm und fragte: «Was tust du hier, Großväterchen?» - «Ja, siehst du, dieser Mensch war mir achtzig Rubel schuldig; allein er hat alles vertrunken, was er zu geben versprochen hat. Immer bat er um Aufschub und gab das Geld nicht her, und nun ist er gestorben. Wie soll ich jetzt noch zu meinem Gelde kommen? So schleppe ich wenigstens seinen Körper hinter mir her.» Dem Jüngling tat der Tote leid. Er schenkte dem Bauern achtzig Rubel, für den Rest aber kaufte er ein Grab und bestattete den Leichnam. Darauf begab er sich nach Hause. Der Vater fragte auch ihn: «Nun, hast du Klugheit gekauft?» - «Nein, Väterchen, ich habe keine gekauft, auch nichts anderes und auch kein Geld mehr heimgebracht. Ich habe es ausgegeben.» Und er erzählte ihm alles. «Wohlan denn, mein Söhnlein», sprach der Vater, «wenn du auch keine Klugheit gekauft hast, so hast du doch klug gehandelt. Ein Toter bedeutet Glück, du wirst besser im Leben stehen als deine Brüder und ihnen obendrein noch helfen.»
Nach einer Weile erholte sich der Vater und wurde noch gesünder als vorher. Der älteste Sohn fing mit seinem Hunde Vögel und wilde Tiere, verkaufte sie und erhielt dafür viel Geld. Der mittlere stellte den Vogel zur Schau, und das Volk bestaunte das seltsame Tier und brachte seine Kopeken herbei. Der jüngste aber tat nichts. So verging einige Zeit. Da sprach der Vater zu seinen Söhnen: «Meine Kinder, ihr solltet ausreiten und euer Glück in fremden Landen suchen, solange ich noch am Leben bin und daheim zum Rechten sehen kann!» Die Söhne waren einverstanden und ritten am folgenden Tage fort. Der älteste nahm den Hund mit sich, der mittlere den Vogel, der jüngste aber ging mit leeren Händen. Drei Tage ritten sie alle zusammen, dann teilte sich der Weg nach drei Seiten, und die Brüder vereinbarten, sich nach drei Jahren wieder an der gleichen Stelle zu treffen. Darauf nahmen sie Abschied, winkten sich noch einmal zu und ritten auseinander. Der älteste Bruder ritt und ritt. Plötzlich sah er, wie sein Hund winselnd aus dem Wald heraus auf den Weg sprang. Er hielt an und schaute nach. Als er aber nichts bemerkte, setzte er seine Reise fort und kam zu einer Säule, auf der stand geschrieben: «Schnell kommst du hin, doch niemals zurück!» Der Bursche dachte nach und ritt weiter. War es lange dar-nach oder kurz? - Da gelangte er zu einem Hüttlein. Er trat ein. Drinnen saß ein alter Mann und bewegte sich kaum: «Pfui, pfui, ich rieche einen Russen! Dem Ohre nicht hörbar, dem Auge nicht sichtbar! Doch jetzt flimmert mir etwas vor den Augen. Wohin willst du, wackerer Bursche? Zurück kannst du schon jetzt nicht mehr!» - «Warum denn nicht?» - «Bei uns im Walde wohnt eine Zauberin und eine Hexe; die beiden töten jedermann und werden auch dich nicht verschonen.» - «Ist es denn gar nicht möglich zu entkommen, Großväter¬chen?» - «Ich will versuchen, dich zu verstecken», sprach der Alte. Darauf nahm er ein Stöcklein, und sie gingen zusammen in den Hof hinaus. Der Alte schlug mit dem Stöcklein den Hund - er wurde zu Stein. Er schlug das Pferd - es wurde zu Stein, den Burschen - er wurde zu Stein. Nun lagen drei Steine am Boden. Plötzlich hörte der Greis, wie die Baba-Jaga in ihrem Mörser daher-geritten kam. Sie hielt bei ihm an und begann zu schelten: «Warum hast du die Steine auf den Weg gewälzt, und wo ist der Mensch mit dem Hund?» - «Ich habe ihn nicht gesehen!» - «Du lügst!» sprach die Baba-Jaga, und schlug den Alten mit der Mörserkeule, dass er umfiel. Dann wälzte sie die drei Steine auf ihn und entfernte sich.
Auch der mittlere Bruder ritt seines Weges und kam zu einer Säule, auf der stand geschrieben: «Denk daran, dass du das Glück erreichen wirst, aber auch mit ihm sterben musst!» Der Jüngling besann sich und ritt weiter, bis er zu einer großen Stadt gelangte. Bei der Hütte einer alten Frau hielt er an und übernachtete. Am andern Morgen schickte er sie in die Stadt, um das Mittagessen einzukaufen und die Neuigkeiten zu erfahren. Die Alte kehrte zurück und sprach: «Du bist umsonst her geritten, o Jüngling! In unserer Stadt ist ein Ungeheuer - eine Schlange hat sich im See niedergelassen, die fordert jeden Tag eine Jungfrau zum Fraß. Heute ist das Los auf die Zarentochter gefallen, am Abend muss sie zum See gehen.»
Gegen Abend nahm der Bursche das Vögelchen und begab sich zum See. Die Prinzessin aber saß schon am Ufer und weinte. Da ging er zu ihr hin und wartete mit ihr auf die Schlange. Auf einmal wallte das Wasser im See auf, und die Schlange schwamm ans Ufer. Schnell öffnete der Bursche das Käfigtürlein, und das Vögelein flog auf das Gehäuse. Es begann zu singen, und die Zarentochter schlief ein. Die Schlange bewegte sich auf die Prinzessin zu, doch auch sie hörte den Gesang, und es dauerte nicht lange, so legte sie sich auf die Erde, streckte sich aus und schlief ein. Da trat der Jüngling zu ihr hin, schlug ihr den Kopf ab und zerstückelte sie. Darauf versorgte er das Vögelchen wieder in seinem Käfig. Die Prinzessin erwachte, und er führte sie in den Palast zu ihrem Vater. Der Zar nahm den Jüngling bei sich auf und vermählte ihn nach einiger Zeit mit seiner Tochter.
Eines Tages ging der Bursche mit der Zarentochter spazieren. Sie kamen an ein Wasser, und da die Prinzessin durstig war, beugte sie sich nieder und trank. Auf einmal schlüpfte ein kleines Schlänglein mit dem Wasser in ihren Mund. Sie verschluckte es und starb nach drei Tagen. Der Jüngling lebte noch eine Zeitlang im Palast, dann nahm er Abschied. Während seines Glückes hatte er das Vögelchen vergessen. Als er sich nun zum Fortgehen rüstete, wollte er es mit sich nehmen, doch es war schon längst gestorben. Da machte er sich allein auf den Weg. Vorwärts wollte er nicht gehen, darum ritt er wieder zurück. Er kam zu den drei Wegen und dachte: «Es ist noch zu früh, um heimzukehren, ich will auf dem Weg des ältesten Bruders reiten und sehen, was aus ihm geworden ist.» Er gelangte zu der Säule, las die Aufschrift und ritt weiter. Bald erblickte er die drei Steine und unter ihnen den Körper des Alten. Die Steine aber waren von ungewöhnlicher Form: Der erste glich einem Menschen, der zweite einem Pferd und der dritte einem Hund. «Das ist gewiss mein lieber Bruder», dachte der Bursche, stieg vom Pferd und wollte die Steine weg¬wälzen. Plötzlich vernahm er Lärm: Ein Mörser flog daher, darin saß die Baba-Jaga. Sie ritt heran, schlug den Burschen und das Pferd mit der Mörserkeule und verwandelte sie in zwei Steine.
Auch, der jüngste Bruder ritt seines Weges und kam zu einer Säule, auf der stand geschrieben: «Du wirst viel Reichtum sehen, ihn aber nicht erlangen!» Als er weiterriet, holte er einen Menschen ein. Der machte ihm Platz und fragte: «Wohin reitest du, Jüngling? Hast du die Inschrift auf der Säule gelesen?» - «Ich will gleichwohl hinreiten und den Schatz wenigstens ansehen. Wo aber willst du hin?» - «Auch ich will gehen und ihn ansehen, vielleicht dass ich ihn erlangen kann.» - «Wenn wir das gleiche Ziel haben, so lass uns auch zusammen reiten, wir haben es kurzweiliger!» - «Ja, das wollen wir. Doch wenn wir uns schon zusammentun, so lass uns auch alles gleichmäßig teilen. Bist du's zufrieden?» Der Bursche war einverstanden, und sie setzten die Reise zu zweit fort. Sie ritten und ritten. Auf einmal stand ein Haus vor ihnen, das war von einer hohen, glatten Mauer aus Eisen umgeben, nirgends war eine Türe. Sie ritten ringsum, doch es war unmöglich, hineinzugelangen. Sie versuchten, die Mauer zu zertrümmern, aber sie zerbrach nicht. Da sprach der Gefährte: «Die Sache steht schlimm, man muss die Mauer mit den Zähnen durchnagen.» -«Was fällt dir ein? Wie soll man so etwas mit den Zähnen durchnagen können?» - «Ich habe Zähne, die das vermögen, ihretwegen hat man mich auch bestraft. Drei Jahre muss ich auf Erden wandeln, dann habe ich Ruhe.» Neun Nächte nagte der Gefährte an der Wand und nagte zuletzt ein Loch. Sie begannen es zu vergrößern, und endlich, nach dreimal neun Nächten, war die Öffnung groß genug für einen Menschen. Sie schlüpften hindurch und gelangten zuerst in den Hof und dann ins Haus. Niemand war darin, alle Zimmer standen leer. Zuletzt kamen sie zu einer Türe, die war fest verriegelt und mit Ketten verhangen. Wiederum zernagte der Gefährte in dreimal neun Tagen das Eisen. Sie öffneten die Türe und erblickten einen Mann, der war mit Ketten an eine Mauer geschmiedet. Auf den Tischen aber lagen ganze Haufen von leuchtenden Edelsteinen. Der Gefangene bat, dass man ihn befreie, und der Gefährte machte sich von neuem ans Durchnagen. Nach drei Tagen war die Arbeit vollbracht, und der Greis erhielt seine Freiheit. Er erzählte, wie ihn eine Zauberin in dieses Haus gelockt habe. Vierzig Jahre sei er in Ketten gewesen, bis zu seiner Erlösung. Darauf nahm jeder so viel Edelsteine, als er zu tragen vermochte, und alle verließen den Ort, so schnell sie konnten. Drei Tage und drei Nächte ritten sie ohne Unterbruch, damit die Zauberin sie nicht einhole, aber noch immer waren sie nicht aus ihrem Reiche herausgekommen. Am Abend des vierten Tages erhob sich ein Sturm, und die drei Reiter mussten im Walde übernachten. Wie sie so dalagen, hörten sie auf einmal ein Geräusch. Sie sahen auf und erblickten eine Frau, die ritt auf einer Schlange. Da erschrak der Greis sehr und sprach: «Das ist die Zauberin, alles ist verloren!» Doch der Gefährte stand auf, warf sich auf die Zauberin, packte mit den Zähnen ihre Kehle und durchnagte sie. Die Alte trug aber zwei Flaschen bei sich, die nahm er ihr weg und steckte sie in seine Taschen. Darauf warfen die Männer die Zauberin ins Feuer. Sie verbrannte, die Schlange jedoch entkam und war nicht mehr einzufangen.
Am Morgen brachen die drei auf und begaben sich an den Ort, wo sich die Brüder getrennt hatten. Da sagte der Bursche zu seinen Begleitern: «Wir wollen meine Brüder suchen, lasst uns zuerst dem mittleren nachreiten, er hat diesen Weg genommen!» - « Mir ist es einerlei, ich muss ja doch noch lange auf Erden wandeln, wer weiß, ob wir ihm nicht helfen können!» So sprach der Gefährte und schloss sich ihnen an. Der Greis aber war nicht einverstanden und ritt auf dem Wege des ältesten Bruders davon.
Der jüngste kam mit seinem Begleiter zu der Stadt und hielt bei der gleichen Hütte an. Am Morgen erzählte die Frau den beiden, dass man heute die Prinzessin in der Kirche aufbahren werde. Sie sei schon längst gestorben, doch habe man sie noch nicht beigesetzt. Nun solle sie drei Tage in der Kirche liegen und dann begraben werden. «Das schlimmste aber ist, dass niemand es wagt, nachts bei ihr in der Kirche zu wachen. So wirft man nun das Los unter dem fremden Volk. Auch ihr müsst hingehen und darum würfeln und die Wache übernehmen, wenn es euch bestimmt ist.» Die beiden gingen hin und warfen die Würfel, und das Los fiel auf den jüngsten Bruder. Da sprach der Gefährte zu ihm: «Fürchte dich nicht, bei der Prinzessin zu wachen, nimm nur eine Bibel mit dir, einen Hahn und die Gusli, dann wirst du selber sehen, was zu tun ist, wenn etwas geschieht. Geh hin und lies in der Bibel. Um Mitternacht wird sich die Prinzessin aus dem Sarg erheben, du aber verstecke dich unter dem Altar. Sobald der Hahn gekräht hat, liegt sie wieder im Sarg. Setze dich darauf und spiele die Gusli!»
Der Jüngling begab sich in die Kirche, setzte sich nieder und fing an, in der Bibel zu lesen. Als es Mitternacht war, schaute er auf und sah, wie die Prinzessin aus dem Sarge stieg. Er erschrak und versteckte sich schnell unter dem Altar. Wie lange er dort saß, wusste er nicht, doch kaum begann der Hahn beim herannahenden Tag zu krähen, da legte sich die Prinzessin wieder in den Sarg. Der Bursche aber setzte sich darauf und spielte die Gusli.
Am andern Tag fiel das Los wieder auf den jüngsten Bruder, und alles vollzog sich wie in der ersten Nacht. Auch am dritten Tage traf ihn das Los. Da sprach der Gefährte: «Wenn die Prinzessin in dieser Nacht aus dem Sarge steigt, so krieche nicht unter den Altar, sondern lege dich in den Sarg, und wenn der Hahn zu krähen anfängt, so setze dich auf und bleibe darin. Die Prinzessin wird sich neben dich setzen und dir das Gesicht zuwenden. Aus ihrem Munde wird ein Stachel ragen, packe ihn mit der linken Hand so fest du kannst, zieh ihr die Schlange aus dem Mund und wirf sie weit fort!»
Der Bursche ging in die Kirche und las in seiner Bibel. Als die Mitternacht herankam, stieg die Zarentochter aus dem Sarg, und der Bursche legte sich hinein. Die Prinzessin schritt durch die Kirche und schaute unter den Altar. Sobald der Hahn gekräht hatte, kehrte sie zum Sarg zurück, doch der Bursche saß darin und blieb sitzen. Da setzte sich die Prinzessin neben ihn und kehrte ihm ihr Gesicht zu. Der Jüngling sah, wie der Stachel aus ihrem Munde ragte. Er packte ihn mit der Hand, zog die Schlange heraus und warf sie weit ausholend fort. Da erwachte die Prinzessin und sprach: «Ach, wie habe ich lange geschlafen!» - «Ja, ewig hättest du geschlafen, wenn ich nicht gewesen wäre!» antwortete der Jüngling. Am Morgen führte er sie in den Palast, der Zar belohnte ihn, und der Bursche kehrte zu seinem Gefährten zurück.
Am Abend erzählte ihnen die Alte alles von der Prinzessin, wie sie vermählt worden und wie nachher ein Schlänglein in ihren Mund geraten sei, weil sie nicht nach Menschenart mit der Hand getrunken habe. Sie berichtete auch von dem Mann der Prinzessin, wie er ein Vögelchen besessen habe, das mit seinem Gesang die Menschen einschläfern konnte. Nach dem Tode der Prinzessin sei er fortgezogen und nicht mehr zurückgekommen. In der Nacht beschlossen die beiden, auf dem Wege des ältesten Bruders weiterzureiten, und brachen am nächsten Morgen auf. Sie kamen zu der Säule, lasen die Inschrift und ritten weiter. Sie erblickten die fünf Steine und den Körper darunter. Auf drei Steinen wuchs ein ganzer Teppich von Blumen und Kräutern, auf den zwei andern aber begannen sie erst hervorzusprießen. Der Alte, der schon vorher diesen Weg genommen hatte, saß bei den Steinen. Er begrüßte die Ankommenden und sprach: «Deine Brüder sind in diese Steine verzaubert worden.» Da nahm der Gefährte das eine von den beiden Fläschchen, bespritzte mit dem Inhalt die Steine, und alle wurden wieder lebendig. Hierauf bespritzte er den Greis, der darunter gelegen hatte, und auch dieser belebte sich wieder. Nun fielen sie einander in die Arme, und die Freude wollte kein Ende nehmen.
Auf einmal aber begann die Luft zu erzittern und zu erdröhnen: Die Baba-Jaga kam im Mörser hergefahren. Schnell nahm der Gefährte das andere Fläschchen, und als sie ganz nahe war, bespritzte er sie mit seinem Inhalt: Sie verwandelte sich in eine Schlange. Er bespritzte die Schlange: Sie verwandelte sich in einen Frosch, der bU.es sich auf, zerplatzte und wurde zu einem kleinen Steinchen. Der Gefährte nahm das Steinchen und verschloss es in die Flasche. Darauf machten sich alle miteinander auf den Rückweg, nur der Gefährte des jüngsten Bruders wollte nicht mitgehen und bat, dass man ihm die Hälfte der Edelsteine gebe. Nach ihrer Vereinbarung teilten sie miteinander, dann nahm er Abschied und ging seines Weges. Die andern aber ritten in die Stadt, um die Prinzessin zu holen. Der Zar nahm alle freundlich auf und bewirtete sie aufs Beste. Die Prinzessin erkannte ihren Mann wieder und folgte ihm zu seinen Eltern.
Vater und Mutter freuten sich sehr über ihre Rückkehr. Der Vater führte die Söhne in seine Hütte und brachte einen ganzen Haufen Edelsteine herbei. «Da, seht nur, ich bin zu Hause geblieben und habe einen so kostbaren Schatz erhalten!» Er zeigte ihnen die Steine und erzählte, wie einmal des Nachts ein fremder Mensch angeklopft und ihm all das gegeben habe, weil er einst von seinem jüngsten Sohne vor Schande gerettet worden sei. Er habe für ihn eine Schuld von achtzig Rubel bezahlt und ihn dann begraben. Da erst erkannte der jüngste Sohn, wer sein Begleiter gewesen war. Die zwei Greise aber holten den ganzen Reichtum aus dem Hause, worin der eine von ihnen gefangen gewesen war, und lebten von nun an in Glück und Frieden mit den Brüdern zusammen.