Der faule Hans

Märchen aus Frankreich (Gascogne)

Einst lebte ein sehr geiziger und großsprecherischer Mann, der eines Tages einen äußerst faulen Meier, den man deshalb den faulen Hans nannte, in seine Dienste nahm. Einmal wollte der Herr auf seinem Meierhof nachsehen, bestieg daher sein Pferd und fand, als er bei der Wohnungstür anlangte, den faulen Hans auf der Erde liegend vor.
»Guten Tag, Herr.« – »Guten Tag, fauler Johann. Bist du allein im Meierhof?« – »Nein, Herr. Es ist noch die vierfüßige Hälfte eines Tieres hier.« – »Dummkopf! Was machst du, dass du wie ein Hund da liegst, anstatt zu arbeiten?« – »Herr, ich koche die Kommenden und Gehenden.« – »Was willst du damit sagen, Rindvieh? Wo ist dein Bruder?« – »Herr, er ist auf der Jagd, wirft das gefangene Wild weg und trägt das, welches er nicht erwischt, nach Hause.« – »Du redest blöde daher. Wo ist deine Mutter?« – »Herr, heute früh schnitt meine Mutter Gesunden die Köpfe ab, um Kranke zu heilen, schlug Hungernde und zwang Nicht-Hungernde zu essen.« – »Schweinskopf, was heißt denn das? Ist das alles, was deine Mutter heute gearbeitet hat?« – »Nein, Herr. Sie stand vor Tags auf und buck das Brot, das wir vorige Woche aßen.« – »Du Vieh! Daraus werde ich nicht klug! Wo ist dein Vater?« – »Herr, mein Vater ist im Weingarten und vollbringt dort gutes und schlechtes.« – »Gut! Da er im Weingarten ist, so werde ich zu ihm hingehen und ihm von deinen dummen Antworten erzählen.«
Der Herr ging in den Weingarten zum Vater des faulen Hans, der dort die Reben schnitt. – »Lieber Freund, ich muss dir mitteilen, dass dein Sohn ein großer Dummkopf ist. Er gab mir gerade zuvor lauter dumme Antworten.« – »Herr, dessen halte ich ihn nicht fähig. Was sagte er denn?« – »Ich frug ihn, ob er im Meierhof allein sei und er gab mir zur Antwort: Es ist noch die vierfüßige Hälfte eines Tieres hier.« – »Herr, da hat er die Wahrheit gesprochen. Ihr habt zwei Füße und euer Pferd stand mit den Vorderbeinen in der Wohnstube. Das gibt die vierfüßige Hälfte eines Tieres.« – »Das stimmt. Aber als ich ihn frug, was er denn mache, da antwortete er: Ich koche die Kommenden und die Gehenden.« – »Herr, da hat er die Wahrheit gesprochen. Er kochte nämlich Bohnen und diese steigen und fallen im Kochtopf, sie gehen und kommen.« – »Weiters frug ich: Wo ist dein Bruder? Er antwortete mir: mein Bruder ist auf der Jagd, wirft das gefangene Wild weg und trägt das, welches er nicht erwischt, nach Hause.« – »Herr, er sprach die Wahrheit. Sein Bruder kämmte sich und warf die Läuse, die er fing, weg, er ist aber gezwungen, die, welche dem Kamm entschlüpfen, nach Hause zu tragen.« – »Weiters frug ich: Wo ist deine Mutter? Seine Antwort war: Heute früh schnitt sie Gesunden die Köpfe ab, um Kranke zu heilen; Hungrige schlug sie und Nichthungrige zwang sie zum Essen.« – »Herr, er sprach wieder die Wahrheit. Seine Mutter tötete heute früh zwei Hühner, um einem Kranken eine Suppe kochen zu können. Hierauf verjagte sie die Hühner, welche die Hirse haben wollten, mit der sie die Gänse schoppte.« – »Er sagte mir aber auch: Meine Mutter stand schon sehr zeitig auf und backte das Brot, das wir vorige Woche aßen.« – »Herr, er sprach die Wahrheit. Meine Frau backte heute vor Tagesanbruch, um dem Nachbar das Brot zurückgeben zu können, das wir vorige Woche ausliehen.« – »Ich frug ihn: Wo ist dein Vater? Da antwortete er mir: Im Weingarten, wo er Gutes und Schlechtes vollführt.« – »Herr, er sprach die Wahrheit. Ich kam, um den Weingarten zu schneiden. Ich vollführe Gutes, sobald ich gut schneide, Schlechtes, sobald ich schlecht schneide.« – »Das ist ganz gleichgültig. Der faule Hans ist ein Dummkopf. Ich jage euch alle weg, wenn er mir nicht drei Dinge vollbringt, die ich ihm befehle. Zunächst muss er mehr Maisbrei essen als der stärkste Esser des Landes, dann muss er einen Stein mit seiner Schleuder weiter werfen als der geschickteste Schleuderer und endlich muss er Blut aus einer Eiche zapfen.« – »Herr, mein Sohn wird trachten, euch zu befriedigen.«
Der Vater suchte den faulen Hans auf und berichtete ihm alles. – »Seid ruhig, Vater. Ich werde alles das, was mir befohlen wurde, gut ausführen.«
Der Herr berief den stärksten Esser des Landes zu sich. Er ließ zwei große Töpfe gleichmäßig mit Maisbrei füllen und jeder erhielt einen Löffel. Während der Esser sich abmühte, den Brei zu verschlucken, warf der faule Hans den Maisbrei geschickt unter den Tisch und trieb seinen Genossen dadurch in die Enge.
»Nun,« rief der Herr, »wirst du einen Stein weiter als ihn der trefflichste Schleuderer wirft, schleudern.« – Der Herr berief einen geschickten Schleuderer und dieser warf einen Stein so weit, dass man ihn beinahe nicht mehr sah. Aber der faule Hans hatte in seiner Schleuder eine Taube, und als er sie hinausschleuderte, flog sie so weit, dass ihr die Augen nicht mehr folgen konnten.
»Nun,« rief der Herr, »wirst du aus einer Eiche Blut abzapfen.« – Der faule Hans hob einen Stein auf, um damit auf die Eiche zu schlagen. In seiner Tasche hatte er jedoch ein angebrütetes Ei, schlug damit auf den Baum und das Blut floss herab.
»Herr,« sprach hierauf der faule Hans, »ich habe das, was ihr befohlen habt, durchgeführt. Ich verlasse nun euren Dienst und ergreife ein anderes Gewerbe.« – Der faule Hans zog mit seinen Leuten weg.
Einige Tage nachher traf ihn, der wie ein Fürst gekleidet war, sein früherer Herr. – »Was treibst du denn nun, fauler Hans, dass du so reich gekleidet bist?« – »Herr, ich handle mit Sachen, die nichts kosten.« – »Was soll das heißen?« – »Ich bin ein Dieb, ich verkaufe Sachen, die mich nichts kosten. Euer Pferd ist fünfzig Pistolen wert, im Laufe dreier Tage stehle ich es und verkaufe es euch dann um fünfundzwanzig Pistolen.« – »Das werden wir erst sehen, fauler Hans. Ich werde meinen Stall mit Degen und Flinte bewachen und ich verspreche dir, dass ich dich, wenn ich dich erwische, wie einen Hund niederschieße.«
Der Herr nahm Flinte und Degen und bewachte seinen Stall. Nach zwei Tagen schlief er ein und der faule Hans trat leise ein und führte das gezäumte und gesattelte Pferd weg, das er am nächsten Tag gegen fünfundzwanzig Pistolen zurückstellte.