Die Zauberer und der Tod

Märchen aus Island

Achtzehn Zauberer taten sich eines Tages zusammen und verbündeten sich gegen die Pest. Von den Inseln aus beobachteten sie, welche Wirkung ihr Kampf gegen den Tod hatte, und als sie glaubten, einigen Erfolg zu haben, schickten sie einen aus ihrer Mitte aufs Festland zurück. »Wir werden auf dich warten«, sagten sie, »kommst du aber bis Weihnachten nicht zurück, so schicken wir dir einen, der wird dich töten. «

Der Abgesandte zog los, er suchte lange und sah viel. Nirgends begegnete er jedoch einem lebenden Menschen. Überall lagen die toten Kranken, und ihr Geruch verbreitete sich überall. Da kam der Mann letztlich an einen Hof, der war abgeriegelt. »Ob es hier wohl noch jemand Lebenden gibt? « fragte er sich hoffnungsvoll.

Als er klopfte, öffnete ihm ein schönes, junges Mädchen. Sie umarmte ihn sogleich und weinte an seinem Hals vor Freude, nach langer Zeit wieder einen Menschen zu sehen. »Bitte bleib bei mir«, sagte sie, »denn ich bin sehr einsam. «

Dann erzählte er, was er für eine Mission hatte und dass er bis zur Weihnachtszeit zurückgekehrt sein müsse. Sie bat ihn noch einmal, solange zu bleiben, wie nur möglich, denn sie sei die einzige Überlebende im ganzen Umkreis. Es wurde Weihnachten, und der Abgesandte dachte an die Rückkehr. Sie bat ihn immer wieder, doch zu bleiben. »Deine Gefährten werden doch nicht so unmenschlich sein und dich dafür strafen, dass du bei mir geblieben bist, wo alle mich verlassen haben«, sagte sie. Das sah er auch ein und ließ sich endlich überreden zu bleiben. Er blieb noch ein paar Tage und noch ein paar Tage, und dann war Heiligabend.

»Jetzt gehe ich«, sagte er.

Sie begriff, dass ihre Bitten nichts ausrichten konnten, und sagte: »Glaubst du, die Inseln, wo deine Gefährten warten, an einem Tag erreichen zu können? Ist es nicht besser, da du deinen Auftrag ohnehin nicht schaffen kannst, gleich hierzubleiben und hier zu sterben? «

Der Mann überlegte und erwiderte: »Du hast recht. Ebenso gut kann ich hier bleiben und auf den Tod warten. Denn das Reiseziel erreiche ich nicht an einem Tag. « So blieb er ruhig und harrte der Dinge. Je näher es jedoch auf die Nacht zuging, desto niedergeschlagener wurde er. Sie war hingegen fröhlich und wollte wissen, ob er sehen könne, was die Gefährten jetzt machten. »Ja«, erwiderte er, »sie haben gerade den an Land gebracht, der mich töten soll. «

Sie legten sich auf das Bett, er hinter ihr. »Ich werde müde«, sagte er, »das ist das Vorzeichen des Unheils. « Darauf schlief er ein.

Das Mädchen weckte ihn immer wieder auf und fragte, wo der Sendbote des Todes nun gerade sei. Aber je näher der kam, umso müder wurde unser Mann, und als er schließlich den Hof erreichte, schlief er so fest ein, dass sie ihn nicht mehr aufwecken konnte.

Kurze Zeit darauf drang ein dunkelbrauner Nebel in das Haus ein. Langsam kam er näher und nahm die Form eines Menschen an. »Tritt zur Seite«, sagte das Nebelwesen, »ich komme nicht an den heran, der hinter dir liegt. «

»Gut«, sagte das Mädchen, »aber was bekomme ich für diese Gefälligkeit? «

»Was würdest du wollen? «

»Zeig mir, wie groß du zu werden vermagst, wenn du dich anstrengst. «

Das Wesen war einverstanden, gab sich Mühe und wurde größer als das ganze Haus.

»Und wie klein kannst du werden? «

»So klein wie eine Mücke«, erwiderte das Wesen und wurde so klein wie eine Mücke, die zu dem Mann hinauffliegen wollte.

Da fing das Mädchen die Mücke in einem ausgehöhlten Knochen ein und verschloss den schnell. Sie weckte den Mann. Er wurde auch langsam wach und war sehr erstaunt darüber, noch am Leben zu sein. Seine Gastgeberin fragte ihn listig, ob er wohl sehen könnte, wo der Todesbote sei.

Er verneinte. »Siehst du, ich wusste doch«, sagte sie munter, »deine Gefährten sind gar nicht so mächtig wie du denkst. «

Der Mann war sehr froh, das zu hören, wenn ihm die Sache auch nicht ganz geheuer war. Jedenfalls verbrachten die beiden ausgelassene und angenehme Weihnachtstage.

Es kam aber der Jahreswechsel näher, und wieder verfiel der Mann ins Grübeln. Sie wollte wissen, was ihm fehle. Da antwortete er, die Gefährten rüsteten gerade einen neuen Todesboten aus, und der sei mit den stärksten Zauberkräften ausgestattet. Am Neujahrstag käme er auf den Hof und würde ihn töten.

»Hab' doch keine Angst«, sagte sie, »wir werden uns etwas einfallen lassen. «

Silvester kam der Todesbote an Land. Der Mann sah ihn und schauderte. »Wie schnell er vorwärtskommt«, stöhnte er. »Er hat gewaltige Zauberkräfte. «

Das Mädchen tröstete ihn und nahm ihn an der Hand. Sie gingen in einen Wald, wo sie einige Büsche ausriss. Als sie einen Stein aufhob, zeigte sich darunter eine Erdhöhle. Sie stiegen in die finstere Höhle hinab. Ein schwaches Licht brannte in einem ausgehöhlten Schädel an der Wand. Auf einer Liege befand sich eine abgerissene Gestalt, die grässlich anzusehen war. Sie hatte rote Augen und ein wildes, entstelltes Gesicht. Der Mann wollte schon gehen, da hörte er die Stimme des Liegenden, der schon sehr alt zu sein schien: »Es muss etwas ganz besonderes geschehen sein, da du zu mir kommst, Pflegetochter. Lange habe ich darauf gewartet, dass du einmal zu mir kommst. Nun - was kann ich für dich tun? «

Das Mädchen erzählte alles, was sich ereignet hatte. Er wollte den Knochen sehen, in dem der verkleinerte Todesbote sich aufhielt. Sie reichte ihm den Knochen. Er besah ihn sich gründlich und von allen Seiten und sah den Begleiter seiner Pflegetochter prüfend an. Der wurde schon wieder müder und müder, das Unheil drohte, von ihm erneut Besitz zu ergreifen. Der seltsame Alte nahm daraufhin den Verschluss von dem Knochen und holte die Fliege heraus. Er berührte sie und sagte: »Fliege zu den Inseln und vernichte alle Boten des Todes, die von dort kommen, einschließlich des gerade herankommenden. « Unversehens erhob sich ein Dröhnen, die Fliege wurde dabei größer und größer und war bald derart riesig, dass ihr Maul allein vom Himmel bis auf die Erde reichte. Sie verschlang alle Todesboten von den Inseln. Jetzt konnten der Mann und das Mädchen ohne Furcht zusammenleben - und sie spielten das Spiel zu zweit noch lange.