Das Mädchen, das Diamanten statt Tränen weint

Märchen aus Kroatien

Es war einmal ein armer Mann und seine Frau, die hatten viele Kinder, lauter Mädchen. Als die Frau das neunte Mädchen zur Welt brachte, sprach der Mann: »Sollte das zehnte Kind auch ein Mädchen sein, so werde ich es umbringen. «
Die Frau war wieder in Hoffnung, und ehe sie gebar, wieder-holte der Mann seine Worte, das Kind auf alle Fälle umzubringen, so es ein Mädchen wird. Die Frau gebar wahrhaftig wieder ein Mädchen. Nun lebten alle in Angst, die Mutter, die Hebamme und alle im Hause und sagten: Sollte der Mann fragen, was sie geboren habe, so wollen sie sagen, es sei ein Junge. Der Vater fragte, fürwahr: »Was ist es, ein Mädchen oder ein Knabe? « Die Hebamme antwortete ihm, es sei zu allem Glück ein Knabe. Aber das wollte er nicht glauben, ehe er sich nicht selbst davon überzeugt hatte, und er sah selbst nach. Er sah freilich, dass es kein Knabe war, sondern ein Mädchen, und fing an, alle zu schelten, da man ihn täuschen wollte. Daher nahm er die Tochter, warf sie über die Schulter und trug sie ans Meer.
Als er am Meer war und sich anschickte, das Kind hineinzuwerfen, da sprach etwas aus dem Wasser: »Wirf sie lieber nicht ins Meer! Es könnte dir leidtun; trag sie lieber nach Hause. «
»Mein Gott«, sagte er zu sich, »eine solche Stimme habe ich noch nie aus dem Meer gehört. Was könnte das sein? « Da hielt er kurze Zeit inne. Aber ein wenig später war er abermals entschlossen, das Kind ins Meer zu werfen. Wiederum sprach etwas aus dem Wasser zu ihm: »Nicht doch! Es könnte dir leidtun! «
Und wiederum hielt er inne und warf es nicht hinein. Ein drittes Mal sprach er zu sich: »Was ich mir vorgenommen habe, das habe ich mir vorgenommen. Ich muss ausführen, was ich im Sinn hatte. « Beim dritten Male hatte er das Kind bereits bis an die Hüften ins Wasser getaucht, und da er es so eintauchte, sah er, wie das Wasser um das Kind herum golden wurde. Abermals hörte er die Stimme: »Nicht doch! Es könnte dir leidtun. «
Als er dies alles gesehen und gehört hatte, nahm er das Kind und trug es nach Hause.
Zu Hause waren alle sehr besorgt um das Kleinste. Es war ein so sonderbares Kind, dass man weit und breit nicht von einem ähnlichen hörte: wenn es weinte, so kollerten ihm statt Tränen echte Diamanten aus den Augen; wenn es jedoch lachte, so fielen ihm Rosen von den Lippen. Die Mutter, der Vater und die Schwestern lasen die Diamanten und die Rosen auf, verkauften sie und lebten davon. So wuchs sie heran und wurde fünfzehn Jahre alt.
Eines Tages ging der Königs söhn mit seinem Diener auf die Jagd. Sie jagten den ganzen Tag und hatten nichts erbeutet. Den ganzen Tag über jagten sie hinter einem Reh her, so dass sie vor Müdigkeit am Abend nicht nach Hause zurückkehren konnten, zumal der Weg weit war. So beschlossen sie, hier irgendwo im Dorf zu übernachten. Sie zogen los und fanden ein Quartier. Sie stießen gerade auf die Hütte jenes Mädchens. »Grüß Gott!«
»Grüß Gott! « entgegnete der Mann.
»Wir haben den ganzen Tag im Wald gejagt«, sprach der Königssohn, »und uns zu weit vom Schloss entfernt. Nun-mehr ist es zu spät, um nach Hause zu kehren. Wir bitten euch daher, uns ein Nachtlager zu gewähren. « »Weshalb sollten wir euch nicht aufnehmen? « sagte der Mann. » Setzt euch, bis wir euch etwas zum Abendessen zubereiten. Hernach könnt ihr euch schlafen legen.« Nachdem man ihnen ein Abendessen zubereitet hatte und sie gegessen hatten, wies man dem Königssohn eine Kammer an. Sein Diener dagegen musste sich in der Gesindekammer niederlegen, in der auch die Mädchen schliefen. Die Schwestern begannen die Jüngste zu necken, so dass sie in Tränen aus-brach, statt deren ihr jedoch Diamanten aus den Augen kollerten. Danach scherzten und spaßten sie mit ihr, auf dass sie lache, und so fielen ihr, wie immer, Rosen von den Lippen. All dies sah der Diener. Er konnte nicht einschlafen und wunderte sich wie nie zuvor. Am Morgen erhoben sich alle, tranken Kaffee, und nachdem der Königssohn sich erkundigt hatte, was er zu bezahlen habe, zog er mit seinem Diener weiter. Unterwegs erzählte ihm nun der Diener, was er in dieser Nacht erlebt hatte: der jüngsten Tochter kollerten zuerst Diamanten aus den Augen, und danach fielen ihr Rosen von den Lippen.
»Das muss ich sehen«, sagte der Königssohn. »Wir werden nicht nach Hause gehen, sondern wiederum jagen und auch heute Abend dort ein Nachtquartier beziehen. « Als es Abend wurde, gingen sie in jenes Haus und erzählten wieder, dass es zu spät sei, nach Hause zu kehren, und deshalb bitten sie, man möge ihnen auch heute Abend ein Nachtquartier gewähren.
»Uns ist bekannt«, sagten die Hausbewohner, »dass ihr edlen Geschlechts seid. Doch unser Haus ist arm und nicht für euch. Wenn ihr aber durchaus wollt, so soll es auch uns recht sein. Euch möge genügen, was wir haben. «
In jener Nacht schlief der Königssohn nicht, sondern sah nur zu, wie der jüngsten Tochter Diamanten aus den Augen kollerten und Rosen von den Lippen fielen. Als es Morgen war, sprach der Königssohn zu dem Hausherrn und seiner Frau: »Meine Lieben, ich habe heute Nacht ein Wunder gesehen, wie es auf der Welt nicht allzu oft geschehen kann. Ich bin ledig und ein Sohn des Königs, daher bitte ich euch, gebt mir eure Tochter zur Frau. «
»Wie könnte sie die Frau eines so edlen Herren werden«, begannen jene zu beteuern. »Sie ist niedrigen Geschlechts und nichts für euch. Ihr werdet eine Königstochter für euch finden und nicht sie. Wir wiederum könnten ohne sie gar nicht leben. «
»Sprecht nicht davon«, fiel er ihnen ins Wort. »Was das erstere betrifft, so möge euch dies nicht stören. Was das letztere anbelangt, nämlich euer Dasein, so wisst, dass ihr noch besser als jetzt leben werdet; denn ich will euch geben, was immer ihr braucht und wollt.«
»Nun gut«, sprachen sie, »möge sie Gottes Segen haben. «
Darauf ging der Königssohn nach Hause und erzählte, was für eine Frau er gefunden habe: von den Lippen fallen ihr Rosen herab, wenn sie lacht; wenn sie jedoch weint, kollern ihr Diamanten aus den Augen. Nachdem er dies im Schloss berichtet hatte, war man allseits von seiner Braut begeistert, und man sagte, er möge sich so schnell wie möglich verheiraten, auf dass sie diese Frau kennenlernten. Nunmehr ging er jeden Tag zu seiner Liebsten, während man ihren Kleidern für das Fest nähte. Nachdem alles fertig war, ließ der Königssohn alle Herrschaften zusammenrufen, auf dass sie mit ihm das Festbegehen und heute Abend das Mädchen als seine Frau heimführen.
Im Königsschloss jedoch war eine Köchin, und diese hatte eine sehr schöne Tochter. Die Köchin bat, man möge auch ihre Tochter mit auf das Fest nehmen. Der Königssohn ließ sie wissen, er habe nichts dagegen, und es war ihm außerdem recht lieb, weil sie seiner Liebsten sehr ähnlich sah, so dass sie nicht voneinander zu unterscheiden waren. Da sprach die Köchin: »Wer weiß schon, was dort gekocht werden soll. Ich will daher selbst aufbrechen und mithelfen. «
So gingen beide auf das Fest. Man feierte und war fröhlich. Nachdem es Zeit war, nach Hause zu gehen, bestiegen alle Gäste, ebenso wie der Bräutigam, ihre Pferde; die Braut, die Köchin und deren Tochter aber setzten sich auf den Wagen. Nun eilten die Reiter voran, und der Wagen folgte hinterher. Der Bräutigam wandte sich ab und zu um und sagte: »Gebt mir auf die Kutsche acht! « Die Köchin aber sprach zur Braut:
»Hörst du, dein Mann sagt, wir sollen dir die Augen aus-stechen. «
»Wenn es nichts anderes ist, so tut es doch; ganz wie er befiehlt«, entgegnete sie. Und man stach ihr die Augen aus. Kurz darauf musste ein Fluss überquert werden. Wieder wandte sich der Königssohn um und sprach besorgt: »Gebt mir auf die Kutsche acht! «
Die Köchin dagegen wandte sich an die junge Prinzessin. »Hörst du, dein Mann sagt, wir sollen dir beide Hände ab-hacken. «
»Wenn es nichts anderes ist, so tut es doch; ganz wie er befiehlt. « Da schlugen sie ihr beide Hände ab. Am anderen Ufer des Gewässers angelangt, wandte sich der Königssohn aber-mals um und sprach:
»Gebt mir auf die Kutsche acht! «
»Hörst du«, sprach die Köchin zu der jungen Frau, »dein Mann befiehlt, dich ins Wasser zu werfen. « »Wenn es nichts anderes ist, so tut es doch; ganz wie er befiehlt. Möge Gott ihm alles verzeihen. «
Nachdem sie ihr die Hochzeitskleider ausgezogen hatten, wurde die splitternackt ins Wasser geworfen. Die Hochzeitskleider aber zog der bösen Köchin Tochter an. Die wirkliche Braut jedoch konnte sich, obwohl sie so verstümmelt war, gerade noch an einer Weide festhalten und entrann so dem Wassertod.
Als der Hochzeitszug im Schloss ankam, begann das große Abendessen. Nunmehr begehrten alle, zu sehen, wie die Braut lacht. Sie wollten sich selbst davon überzeugen, dass ihr Rosen von den Lippen fallen. Doch da saß ja nicht die richtige Braut, sondern die Tochter der Köchin, die der wirklichen Braut so ganz ähnlich sah. Man scherzte bald so, bald anders, auf das sie lache; aber das Lachen kam ihr nicht auf die Lippen. Es fügte sich, dass ein sehr großer Spaßmacher unter den Gästen war, und dieser sprach: »Ich will doch etwas versuchen, worüber sie bestimmt lachen muss. « Sodann ging er hinaus, rupfte einen lebendigen Hahn völlig bloß, steckte ihn in einen Topf, tat den Deckel darauf und brachte diesen auf den Tisch. Nunmehr öffnete sie den Topf, und der Hahn, so entblößt, sprang auf dem Tisch herum, gock, gock, gock, und da musste sie lachen. Doch, wehe, wehe! Wie sie so lachte, fielen ihr zwei Schlangen von den Lippen.
»Pfui«, wandten sich die älteren Leute an den Bräutigam, »du hast uns eine schöne Braut ins Haus gebracht! « Er jedoch wollte nichts hören, sondern brach sofort mit seinem Diener auf in den Wald. Dort blieb er mit jenem volle sieben Jahre und ernährte sich kümmerlich. Nunmehr wollen wir zu der richtigen Braut zurückkehren, die — wie wir hörten — ins Wasser geworfen wurde. Wir wollen sehen, wie es ihr ergangen ist. Sie hielt sich irgendwie am Gestrüpp fest und konnte — auch das hörten wir schon — dem Wassertod entrinnen. Dort, ganz in der Nähe, wohnte ein Einsiedler, der Buße tat für seine Sünden und jeden Tag ans Wasser ging, um sich zu waschen. Als er am anderen Tag, in der Früh, wie gewöhnlich kam, um sich zu waschen, hörte er eine Stimme, die sprach: »Zieh mich heraus! «
Er ängstigte sich ein wenig und sprach zu sich: »Mein Gott, was kann das sein? Schon so lange Zeit bin ich hier und gehe jeden Tag hierher, um mich zu baden, und habe noch nie diese Stimme vernommen. Das ist gewiss eine Versuchung. Ich will von dannen eilen, auf dass ich nicht einer Sünde verfalle. « So ging er fort. Am anderen Tag kam er wiederum, um sich zu waschen, und hörte einen Seufzer aus dem Wasser: »Zieh mich heraus! «
Da sprach er: »Was sollte ich mich denn so fürchten, da ich Gott gefällig bin. Vielleicht bin ich doch nicht ein solcher Sünder, dass Gott mit mir Böses vorhätte. « Und dann fügte er hinzu:
»Bist du, der du mich rufst, getauft? «
»Jawohl, komm her und ziehe mich heraus! Fürchte dich nicht! «
Da näherte er sich dem Gebüsch und erblickte ein Mädchen, blind und ohne Hände. Er zog es heraus und brachte es in seine Höhle. »Ich danke Euch für Eure Hilfe; doch erfüllt mir noch eine Bitte. Höhlt eine Tanne von meiner Länge aus, legt mich hinein und übergießt mich sodann mit Wasser. Jenes Wasser, das Ihr über mich schüttet, wird zu Gold werden. Nehmt das Gold und macht daraus einen goldenen Spinn-rocken, eine goldene Litze, um den Hanf festzubinden, und eine goldene Spindel. «
Er tat ganz so, wie sie ihm geraten hatte. Er höhlte einen Baumstamm aus, legte sie hinein und übergoss sie mit Wasser. Das Wasser verwandelte sich in Gold. Nachdem er aus diesem Gold eine Spindel angefertigt hatte, sprach sie zu ihm: »Geht nunmehr in die Stadt und fragt nach, wer Euch für den Spinnrocken Augen geben will, und bringt diese Augen dann hierher. «
Er ging mit dem goldenen Spinnrocken in die Stadt und rief aus: »Wer will mir für einen goldenen Spinnrocken Augen geben? «
Dies gelangte auch der Schlossköchin zu Ohren, und sie war bereit, ihrer Tochter einen goldenen Spinnrocken einzutauschen. Sie nahm die Augen, die sie der Braut ausgestochen hatte, machte sie zurecht und gab sie dem Einsiedler für den Spinnrocken. Jener nahm sie, trug sie nach Hause und er-zählte der Armen alles, wie es war.
»Nehmt nunmehr die goldene Litze und geht in die Stadt und erkundigt Euch, wer Euch dafür eine Hand geben will. «
Er ging und fragte also. Die Köchin hörte dies und sagte vor sich hin: »Einen goldenen Spinnrocken habe ich schon, dazu eine goldene Litze hätte ich sehr gern. « Da ging sie hin und gab die eine Hand für die Litze. Der Einsiedler brachte sie nach Hause.
»Geht nunmehr hin, nehmt die goldene Spindel mit und fragt, wer Euch dafür die andere Hand geben will. « Jener brach auf und tat, wie sie ihn geheißen. Abermals erfuhr die Köchin davon und sprach zu sich: »Einen goldenen Spinn-rocken und die Litze dazu hat meine Tochter schon, nur die goldene Spindel fehlt ihr noch. « Da nahm sie die andere Hand und gab sie dem Einsiedler für die Spindel. Jener brachte auch sie in seine Höhle, und die Ärmste forderte ihn auf, ihr die Augen in die Augenhöhlen zu legen und sie mit jenem Wasser aus dem Baumstamm zu benetzen, das sich nicht in Gold verwandelt hatte. Genauso möge er auch mit den Händen verfahren. Der Einsiedler gehorchte und fügte ihr die Augen in die Augenhöhlen und die Hände an die Arme, und alles war wie ehedem.
»Nunmehr muss ich von Euch gehen und selbst zusehen, wie ich weiterkomme. Bisher war das nicht möglich, da ich doch keine Augen hatte. « Sodann dankte sie ihm für alles und begab sich in ein kleines Tal. Hier baute sie zuerst ein Zelt, und darin wohnte sie. Doch da sie mehrere Male über ihr Unglück und Elend weinte, begannen ihr erneut Diamanten aus den Augen zu kollern, und da sie ab und zu auch lachte, so fielen ihr auch wieder Rosen von den Lippen. All dies sammelte sie und verkaufte es und baute sich schließlich ein schönes Häuschen. Eines Tages gebar sie eine Tochter und einen Sohn, und sie erzog sie wohl und nährte sie gut.
Nun wollen wir wieder zu ihrem Mann zurückkehren. Er zog mit seinem Diener sieben Jahre lang durch den Wald und ernährte sich, so gut er konnte, aß jedoch meist Gras und Wurzeln. Gegen Ende des siebenten Jahres gelangte er in die Nähe jenes Tals, in dem seine Frau ein Häuschen hatte und mit den Kindern lebte. Da sprach er zu seinem Diener: »Es ist schon sieben Jahre her, dass wir so leben und weder ein Haus noch eine Wohnstätte sahen. Heute Abend wollen wir irgendwo unter einem Dach übernachten. Steig hinauf auf den Berg und sieh nach, ob du irgendwo ein Haus erspähst. Solltest du von dort aus eins sehen, so rufe mich, und wir wollen dorthin aufbrechen. «
Der Diener bestieg den Berg und schon rief er, er sehe ein schönes Häuschen: »Komm, laß uns dort übernachten. « Und so gingen beide dorthin. Sie kamen vor das Haus, in dem seine Frau wohnte. Sie erblickte ihn durch das Fenster und hat ihn wohl gleich erkannt. Sie traten ein und baten um Obdach. Die Frau empfing sie hübsch, bereitete ihnen ein Abendessen zu und setzte dieses vor sie hin. Nachdem sie sich satt gegessen hatten, legten sie sich schlafen. Der Königssohn, der ihr Mann war, schlief gleich ein; der Diener jedoch konnte kein Auge zumachen. Im Schlaf ließ der Königssohn seine Hand auf ihren Sohn fallen. Als sie dies bemerkte, wandte sie sich an ihren Sohn. »Küss des Vaters Hand, mein Söhnchen! «
»Was, dieser abgerissene Mensch ist mein Vater? « entgegnete der Sohn. » Einen schönen Vater habe ich da! « Der Königssohn war fürwahr ganz zerfetzt und in Lumpen gehüllt. Wie sollte er denn auch anders aussehen? Sieben Jahre lang war er im Wald und hatte nur, was er am Leib trug. Dann aber sprach sie wiederum zu ihrer Tochter, sie möge des Vaters Hand küssen. Aber auch sie antwortete wie der Sohn:
»Was ist das bloß für ein zerlumpter Vater! « Da begann die Mutter vor Schmerz zu weinen, und aus ihren Augen kollerten Diamanten. Am Morgen aber begannen sich die Kinder zu balgen. Sie tobten und lachten, so dass auch deren Mutter zu lachen anfing, und dabei fielen ihr Rosen von den Lippen.
Als das der Diener gesehen hatte, begann er selbst vor Glück zu weinen. Nachdem es schon ganz hell war, setzte ihnen die Frau Kaffee vor, und danach zogen sie wieder fort. Nunmehr begann der Diener seinem Herrn alles zu berichten, was er in der letzten Nacht gesehen hatte: wie er seinen Arm auf den Jungen legte und sie daraufhin zuerst den Sohn aufforderte, seines Vaters Hand zu küssen. Sodann forderte sie in gleicher Weise ihre Tochter auf; jedoch beide wollten dies nicht tun. Nachher wiederum weinte sie, und aus ihren Augen kollerten Diamanten. Als sie jedoch lachte, fielen ihr Rosen von den Lippen. »Es war alles genauso«, sagte er, »wie damals, als ich deine Frau zum ersten Male sah. « Der Königssohn hörte sich alles an, hörte gespannt zu und ward froh, so dass er zu weinen begann.
»Wenn dem so ist«, sagte er, zu seinem Diener gewandt.
»So wollen wir auch heute Abend dorthin gehen, auf dass ich mich überzeuge, ob alles stimmt. Ich«, sagte er, »werde heute Nacht nicht schlafen, sondern nur zusehen, um mich zu über-zeugen. «
Am Abend also gelangten sie wieder dorthin und baten um Nachtquartier. Auch sie nahm sie wieder auf, kochte ihnen ein Abendessen und lud sie ein. Nach dem Essen legten sie sich sogleich schlafen. Ihr Mann tat so, als schliefe er bereits, und warf beide Hände auf seine Kinder: die eine nach der einen, die andere nach der anderen Seite hin. Als die Frau das sah, sprach sie zu ihrem Sohn: »Küss deines Vaters Hand, mein Söhnchen! « »Was, dieser zerlumpte Kerl soll mein Vater sein? Einen schönen Vater habe ich da! « sprach der Kleine, genau wie am ersten Abend, und er wollte die Hand nicht küssen. Dann wandte sie sich an die Tochter. Aber auch diese sprach das gleiche. Daraufhin tat es ihr leid, und sie fing an zu weinen. All dies sah ihr Mann, denn er hatte sich doch nur verstellt und tat so, als ob er schliefe. Er sah, wie ihr Diamanten statt Tränen aus den Augen kollerten. Schließlich er-hob sie sich selbst und ging hin, um ihm die Hand zu küssen. Sie nahm die Linke, küsste sie und legte sie wieder aufs Bett. Er jedoch ließ sie erneut wie tot herabfallen. Als sie nach der Rechten griff, fasste er sie, zog sie an sich und sprach: »Meine liebe Frau! Was machst du da? Du bist also noch am Leben! Ich bin dein Mann. Schon sieben Jahre lang irre ich im Wald umher und ernähre mich meist nur von Gras und Wurzelwerk. «
Dann erzählte er ihr alles im Einzelnen, was ihm widerfahren ist, seitdem er geflohen, als ihr zwei Schlangen von den Lippen fielen. Er war auch jetzt noch bereit, zu glauben, jene sei seine Frau, die in Wirklichkeit der Köchin Tochter war. Danach begann sie zu erzählen, was ihr in der Kutsche zugestoßen und dass ihr die Köchin und deren Tochter die Augen ausstachen und sie im Glauben ließen, er habe das befohlen. Sie erzählte weiter, wie jene beiden ihr die Hände ab-hackten und sie schließlich ins Wasser warfen, und all das habe er befohlen. Sodann hat ein Einsiedler sie befreit und ihr zum Augenlicht und zu den Händen verholfen. Hier im Tal hat sie schließlich die Kinder geboren und das Häuschen errichtet und lebte trotz aller Trauer friedlich dahin. Da sah er vollends ein, wie sehr er betrogen worden war. Und auch er erzählte ihr alles. Danach bat er sie, in die Stadt zu gehen, um ihm Stoff für Kleider zu besorgen. Sie ging, kaufte ein und fertigte ihm und seinem Diener neue Kleider an. Auch für sich selbst und die Kinder nähte sie neue Kleider. Nachdem dies alles geschehen war, zogen alle zusammen nach Hause zu dem König. Im Schloss angekommen, schloss der Königssohn seine Frau und die Kinder in eine Kammer ein und ließ von allen Enden Gäste herbeirufen. Allein, seine Mutter und sein Vater wussten nichts von dem Freudenfest, das bevorstand, so sehr lieb war ihnen allein schon die Rück-kehr ihres Sohnes.
Die Gäste versammelten sich und ließen sich an der Tafel nie-der; auch die Köchin und deren Tochter, die sich noch immer als seine Frau fühlte, waren erschienen. Da erhob sich der Königssohn und sprach:
Meine lieben Gäste, was hat jenes Weibsbild verdient, das auf diese Weise Menschen betrügt, dass sie die Frau eines Mannes sein will, dem sie nicht angetraut ist? « Da übereiferte sich der Köchin Tochter und sagte:
Ein solches Weib verdient es, auf dem Marktplatz mit Öl übergössen und angezündet zu werden. «
Gut«, entgegnete er.
»Was aber verdient jenes Weib, das einem anderen ehrlichen die Augen ausstach, die Hände abhackte und es sodann ins Wasser warf? «
Da fuhr die Köchin hoch und sprach:
Ein solches Weib verdient, vier Pferden an die Schwänze gebunden und zerrissen zu werden. «
»Nun, das soll dir und deiner Tochter zuteilwerden«, sprach der Königssohn.
Sodann führte er seine wirkliche Frau und deren Kinder aus der Kammer heraus, stellte sie den Gästen vor und erzählte, wie sich alles zugetragen hat. Die Köchin und deren Tochter ließ er auf die gleiche Weise töten, in der sie sich selbst gerichtet hatten. Danach feierte das ganze Königshaus ein großes Fest, und auch ich war dabei und denke noch heute gern daran.