Der goldene Fisch

usbekisches Volksmärchen

Es war in alten, längst vergangenen Zeiten. Da lebte ein armer alter Mann. Dieser Alte lebte zusammen mit seinem einzigen Sohn nicht weit von einem Meer. Sie waren sehr arm, lebten nur von ihrer Handarbeit. Ihr ganzer Reichtum - ein altes Boot und ein Fischernetz. Der Sohn des Alten sang oft schöne Lieder.
Eines Tages legte der alte Fischer sein Fischernetz ins Wasser, um Fische zu fangen. Nach kurzer Zelt hob er das Netz aus dem Wasser und sah, dass im Netz nicht ein einfacher, sondern ein goldener Fisch lag. Er war sehr erstaunt und sagte seinem Sohn: «Mein Sohn, pass mal gut auf! Lasse diesen wundersamen Fisch nicht frei! Ich gehe zum Chan und erzähle ihm alles. Vielleicht belohnt er uns dafür.» Und er ging in die Stadt, wo der Chan lebte.
Nun blieb der Junge allein mit dem goldenen Fisch. Es tat ihm aber leid, dass der Fisch sich im Fischernetz quälte. Er hatte Mitleid mit ihm und warf ihn ins Wasser, ohne auf die Rückkehr seines Vaters zu warten. Der goldene Fisch sprang munter ins Wasser und verschwand. Bald danach erschien der Chan mit seinen Hofleuten und Leibwächtern und befahl dem Jungen: «Nun, zeige uns mal den wundersamen Fisch!»
Der junge Fischer konnte dem Chan nicht in die Augen schauen. Mit gesenktem Kopf sagte er:
-    Der Fisch hat mir leidgetan, deshalb warf ich ihn zurück ins Wasser.
Der Chan wurde zornig und schrie den Alten an:
-    Du, alter Schuft! Wie konntest du wagen, mich wegen solcher Dummheiten in meiner Ruhe zu stören? Gibt es denn überhaupt in der Welt einen lebendigen goldenen Fisch?! Wer hat schon so was gesehen?
Da antwortete ihm einer der alten Wesire:
«Eure Majestät ich bin schon mehr als hundert Jahre alt, aber von solch einem Wunder habe ich noch nie gehört».
Der alte Fischer versuchte den Chan zu überzeugen, so gut er es konnte, aber der Chan glaubte seinen Worten nicht, Er befahl den Fischerjungen zu fesseln, ließ ihn in ein altes Boot setzen und ins offene Meer hinaustreiben. Erst dann kehrte der Chan mit seinem prachtvollen Gefolge auf sein Schloss zurück. Der alte Fischer blieb allein am Meer, weinte und klagte um seinen unglücklichen Sohn. Bald war das Boot nicht mehr zu sehen. Der Alte weinte bittere Tränen; er war empört über die Grausamkeit des Chans und verfluchte ihn.
Und nun lasst uns hören, wie es dem jungen Fischer erging.
Der Fischerjunge wartete jeden Augenblick auf seinen Untergang, Aber das Boot schwamm immer schneller und schneller, denn der Meereswind trieb es vorwärts. Nach einiger Zeit zeigte sich am Horizont eine Insel Der starke Wind trieb das Fischerboot in wenigen Minuten hin zu dieser Insel. Sobald das Boot an Land stieß, kam ein Jüngling daher, der dem Fischersohn wie zwei Tropfen Meereswasser glich. Dieser Jüngling eilte auf den Fischersohn zu und befreite ihn von den Ketten. Beide Jungen umarmten sich vor Freude. Der Inseljunge hatte Brot mitgebracht, das sie beide redlich teilten. So entstand zwischen ihnen eine feste Freundschaft.
Eines Tages begegneten sie einem alten Hirten. Die Freunde aber dachten, sie wären allein auf der Insel und es gäbe dort keinen Menschen außer ihnen. Der Hirt fragte sie nach ihrem Befinden. Dann erzählte er ihnen eine Geschichte; darin heißt es unter anderem: «Es gibt ein Land, das sich von hier in drei Tagen erreichen lässt. Der Herrscher dieses Landes ist aber unglücklich: seine einzige Tochter, die in ihrer Schönheit nicht ihresgleichen in der Welt hat, ist stumm. Sie hat von ihrer Gehurt an bis heute noch kein einziges Wort gesprochen. Der Chan hat sich an das Volk gewendet und verkündet:
«Wer meine Tochter heilt und sie sprechen lehrt, den werde ich reich beschenken. Wenn aber der Versuch nicht gelingt den lasse ich enthaupten, » Aber seit jener Zeit haben schon viele junge Leute ihr Leben deswegen verloren.»
Die Freunde hatten aufmerksam zugehört. Sie überlegten nicht lange und beschlossen, ihr Glück zu versuchen. Sie machten sich auf den Weg. Als sie nun vor dem Schloss des Chans standen, sagte der Freund zu dem Fischerjungen:
- Ich möchte als erster mein Glück versuchen. Wenn es mir gelingt die Prinzessin zu heilen, dann wollen wir die Belohnung ehrlich untereinander teilen.
Der junge Fischer war damit einverstanden. Daraufhin ging der Inseljunge ins Schloss hinein. Dort traf er zwei Dienerinnen.
Eine von ihnen sagte mitleidig zu dem Jungen: «Viele deinesgleichen, junge mutige Menschen, haben sich bemüht die Prinzessin zu heilen. Aber, oh weh, sie haben ihren Kopf verloren. Sieh her, jener Turm ist aus den Schädeln solcher Burschen aufgebaut. Dich erwartet das gleiche Schicksal!»
Der mutige Junge bestand aber auf seinem Willen und ließ sich von diesen grausamen Worten nicht abschrecken. Er betrat mutig das Zimmer der Prinzessin, Als er sie erblickte, machte er eine tiefe Verbeugung und begann zu erzählen:
- Oh, schönste Prinzessin! Wir sind drei Söhne bei unseren Eltern. Eines Tages sind wir in den Wald gegangen, um Holz zu fallen. Unser ältester Bruder spielte mit Holz und bastelte daraus einen schönen Vogel. Der Vogel war so meisterhaft gebastelt, dass er einem lebendigen glich. Der mittlere Bruder ging in den Wald und sammelte unter den Bäumen die bunten Federn seltener Vögel und schmückte damit das gebastelte Vögelchen, Es wurde dadurch noch schöner. Ich hatte unterdessen einen Quell gefunden und badete das Vögelchen im Quellwasser. Das Vögelchen wurde auf einmal lebendig und begann zu singen. Seit jener Zeit und bis auf den heutigen Tag streiten wir Brüder uns untereinander! Jeder behauptet, er habe Anspruch auf den Wundervogel. Unser Streit wurde in der letzten Zeit sehr heftig. Ihr könnt Euch das gar nicht vorstellen. Oh, schönste Prinzessin! Sagt mir nun, wem soll das Vögelchen eigentlich gehören? Wir bitten Euch! Helft uns. unser strittiges Problem zu lösen!
Mit diesen Worten endete der Junge seine Rede. Als das Mädchen diese Worte des Jungen hörte, richtete sie sich auf und spielte mit ihren langen schwarzen Augenwimpern. Die Erzählung hatte ihr gefallen und sie lächelte. Ohne jedoch einen Laut von sich zu geben, deutete sie mit dem Zeigefinger auf ihren Mund und schüttelte verneinend ihren Kopf Das Schweigen der Prinzessin machte den Jungen verzweifelt. «Da ich nun Deinetwegen mein Leben opfere, so sollst Du auch wissen, dass Du mit mir zusammen ums Leben kommen wirst!» Mit diesen Worten erhob der Junge sein Schwert gegen die Prinzessin. Das Mädchen bekam solch eine Angst, dass sie sich sofort niederwarf und laut schrie. Mit dem Schreckensschrei flog aus ihrem Mund eine weiße Schlange heraus, die das Mädchen immer am Sprechen behindert halte. Die Schlange warf sich auf den ledernen Stiefel des Jungen. Aber der Junge zertrat mit den Stiefelabsätzen den Kopf des wütenden Tieres und tötete es.
Mit weinenden Augen sah das Mädchen den Jungen an und zog einen schönen Ring von ihrem Finger. Dabei sagte sie «Nimm diesen Ring und gehe zu meinem Vater. Er wird dich reich beschenken». Mit diesen Worten gab sie ihrem Retter ihren Fingerring.
Der Inseljunge nahm den Ring und brachte ihn dem Fischerjungen. Der junge Fischer, der seinen Freund vom Schloss kommen sah, lief ihm entgegen und umarmte ihn. Da erzählte der Inseljunge, der im Schloss bei der Prinzessin gewesen war, was dort geschehen war. Er überreichte seinem Freund den Fingerring und sagte ihm:
- Nun will ich dir das Geheimnis verraten. Ich bin derjenige goldene Fisch, den du damals aus Mitleid freigelassen hast. Du hast früher immer so schöne Lieder gesungen, so dass bei uns unter dem Wasser davon viel erzählt wurde. Ich hatte beschlossen, mir auch deine Lieder anzuhören und war daher viel zu nahe an Ufer geschwommen. Da hörte ich deine Lieder und war davon so entzückt, dass ich nicht einmal merkte, wie ich ins Fischernetz geraten war. Nur dank deiner Hilfe wurde ich aus dem Netz befreit und bin so dem Unglück entkommen. Ich war empört über die Bosheit des Chans und seiner Leute, als sie dich gefesselt in einem alten Boot allein ins Meer hinausstießen. So beschloss ich, dich zu retten. Ich rief einige Fische, die meine besten Freunde waren, um Hilfe. Ich bat sie, dein Boot auf ihren Rücken an ein anderes Ufer zu tragen. Meine guten Freunde haben meine Bitte erfüllt und brachten dich auf diese Insel Hier verwandelte ich mich in deine Gestalt und kam dir entgegen. In dieser kurzen Zeit habe ich mich wieder überzeugt, dass du ein gutherziger Junge bist. Deshalb liebe und achte ich dich wie meinen eigenen Bruder. Nun ist es aber schon höchste Zeit, ich muss dich verlassen und nach Hause - ins Meer zurückkehren. Nimm diesen Fingerring und übergib ihn dem Chan, Falls du mich jemals brauchen solltest, komm ans Ufer des blauen Meeres und rufe mich dreimal. Sofort werde ich dir zur Hille kommen.
Nach diesen Worten verabschiedete sich der Fisch von dem Jungen und verschwand im Meer.
Der junge Fischer war sehr betrübt dass er sich von seinem treuen Freund trennen musste. Nach einiger Zeit ging er zum Chan. Der aber hielt sein Versprechen nicht und wollte seine Tochter dem Jungen nicht zur Frau geben. Er verbot ihm, das Schloss zu betreten.
Schlecht gelaunt machte sich der junge Fischer auf den Weg und kam an einen Vorort der Stadt. Hier bewarb er sich als Lehrling bei einem Schmied. Nach einigen Tagen erfuhr das die Prinzessin. Sie war todunglücklich, weinte lange und sagte ihrem Vater:
- Wenn Ihr mich jenem jungen Mann, der mich geheilt hat, nicht zur Frau gebt, dann verliert Ihr mich noch heute. Ich will nicht mehr leben! Ich mache mit meinem Leben Schluss!
Nach diesen Worten wollte sie sich in einen großen Aryk (Bewässerungskanal) werfen, der durch den Schlosshof floss. Nur mit großer Mühe hielt man das Mädchen zurück und rettete es. Nun war der Chan gezwungen, sein Versprechen doch einzuhalten.
Man lud alle Welt zur Hochzeit ein. Der junge Fischer zog königliche Kleider an. Am anderen Morgen begann die Hochzeit. Man trommelte und sang, blass Karnei und Surnei (Musik. Blasinstrumnete). So wurde der Fischerjunge zum Schwiegersohn des Chans. Aber der Chan liebte ihn nicht. Der Chan dachte immer daran, wie er seinen Schwiegersohn loswerden könnte.
Eines Tages saß der junge Fischer traurig am Tisch. Die Prinzessin fragte ihn, warum er so betrübt sei. Er antwortete ihr:
-    Ich kann in diesem prachtvollen Schloss nicht bleiben. Nichts kann mir Freude bereiten. Meine Jugendzeit verbrachte ich jenseits des Meeres. Dort ist mein alter Vater geblieben, den ich über alles liebe, ich weiß nicht einmal, wie es ihm geht. Wenn Ihr einverstanden seid, mit mir zu meinem Vater zu fahren, dann wäre ich der glücklichste Mensch auf dieser Welt. Aber Ihr werdet in meinem Land als Frau eines armen Fischers leben müssen, Goldstücke und königlichen Reichtum und Dienerinnen wird es dort nicht geben.
Darauf erwiderte die Prinzessin:
-    Ich bin bereit! Ich will, dass Ihr froh seid! Aber wie kommen wir an das andere Ufer des Meeres? Wir haben weder ein Boot, noch einen Meister, der uns ein Boot anfertigen könnte.
Da sagte ihr Mann:
-    Macht Euch keine Sorgen darüber. Alles werde ich selbst regeln. Wenn Ihr mich begleitet, so bereitet Euch auf den Weg vor!
Mit diesen Worten verabschiedete er sich von seiner Gemahlin. Er ging ans Ufer des Meeres und rief dreimal nach dem goldenen Fisch. In demselben Augenblick tauchte der goldene Fisch im Wasser auf und fragte:
-    O, teurer Freund, was wünschst du?
Der junge Fischer - sein Freund - antwortete:
-    Ich sehne mich nach meiner Heimat, nach meinem Vater! Wie kann ich zu ihm kommen? Es gibt kein Schiff. Mein Boot, mit dem ich hergekommen bin, ist alt und kann uns nicht tragen!
Darauf erwiderte der goldene Fisch:
-    Ich werde deinen Wunsch erfüllen. Am Abend schicke ich einen großen Fisch hierher. Sobald er sein Maul aufmacht, kriecht Ihr hinein. Er wird Euch ans andere Ufer bringen. Am anderen Morgen werdet Ihr zu Hause sein.
Nach diesen Worten verschwand der Fisch unter dem Wasser.
Als der Abend anbrach, wurde das Meer unruhig. Die Wellen schlugen heftig ans Ufer. Da kam ein riesiger Fisch ans Ufer geschwommen. Aus seiner Nase stieß er einen starken Wasserstrahl in die Luft. Die Prinzessin erschrak, als sie diesen Fisch erblickte. Ihr Gemahl beruhigte sie und stieg mit ihr in das Maul des Fisches ein. Schnell schwamm der Fisch mit ihnen fort.
Das Schwimmen im Bauch des riesigen Fisches schien dem jungen Fischer und seiner Gattin so, als ob sie in einer Wiege lägen. Sie waren fest eingeschlafen. Der wundersame Fisch erreichte das andere Ufer und machte sein Maul weit auf. Gerade zu dieser Zeit wachten die beiden Eheleute auf und begaben sich ans Land. Kurz danach erreichten sie das Haus des alten Fischers.
Als der Fischerjunge sein halbzerstörtes Elternhaus und seinen alten Vater vor diesem alten Haus traurig sitzen sah, brach er in Tränen aus. Er ging auf seinen Vater zu umarmte ihn innig und streichelte seine grauen Haare und seinen grauen Bart. Danach stellte er seine Frau dem Vater vor. Der Alte freute sich über seine Schwiegertochter.
Und von nun an lebten sie vergnügt zu dritt in der alten Fischerstube und hatten ihr Ziel erreicht.