Einladung zum Sterben

Vietnamesisches Märchen

In China, im Lande Te Duong, lebte einmal ein alter Mann. Mit sechzig Jahren starb er an Altersschwäche. Während sich die Familie weinend mit all den tausend Einzelheiten des Begräbnisses befasste, hörte man plötzlich den Toten mit lauter Stimme rufen. Man stürzte in sein Zimmer: er war wieder lebendig geworden.
Freude leuchtete auf allen Gesichtern, und es regnete Fragen. Der Alte aber sprach nur zu seiner Frau:
»Ich wollte endgültig die Welt verlassen. Auf dem Wege dachte ich jedoch plötzlich an dich, dachte daran, dass ich dich allein ließe, ohne jemanden, der Kälte und Wärme mit dir teilt. Es ist besser für dich, mich zu begleiten, als unter diesen Bedingungen zu leben. Darum bin ich zurückgekommen, um dich mit mir zu nehmen. «
Diese Sätze schienen allen vollkommen unvernünftig, und man maß ihnen nicht die geringste Bedeutung bei. Aber der Alte wiederholte seine Worte, und seine Frau antwortete ihm schließlich:
»Es ist richtig, was du da sagst, und ich folge dir gern freiwillig. Nur lebe ich noch. Wie könnte ich sterben, um mit dir zu kommen? «
»Du wirst sehen«, erwiderte er, »dass es gar nicht schwer ist. Bringe nur schnell deine Angelegenheiten in Ordnung. « Die alte Frau lächelte, aber sie ging nicht. Als ihr Mann sie drängte, verließ sie schließlich das Zimmer. Nach einiger Zeit kam sie zurück und erklärte, da sie ihm nicht widersprechen wolle, habe sie alles geregelt. Der Alte bat sie nun, sich für die Abreise umzukleiden. Zuerst weigerte sie sich, gab aber dann seinen eindringlichen Vorhaltungen nach und ging sich bereitzumachen. Alle Anwesenden, selbst die Kinder, konnten nur mühsam ein Lächeln unterdrücken. Der Alte blieb ernst und rückte ein wenig zur Seite, um seiner Frau Platz zu machen. Er berührte sie und sagte zu ihr, sie solle sich neben ihm ausstrecken. Lächelnd protestierte sie: »Aber mein Freund! Vor der ganzen Familie? Das ziemt sich nicht. «
Er klopfte auf das Bett und schrie:
»Wir wollen doch zusammen sterben. Ist das etwa eine Frage der Schicklichkeit? «
Seiner Ungeduld wegen bat man die Großmutter, sein Lager zu teilen. Das Hausgesinde zog sich zurück, um nicht laut lachen zu müssen.
Das Lachen verging allen, als die Alte die Augen schloss. Bald lag sie unbeweglich da, wie in tiefem Schlaf. Als man sie berührte, fühlte sie sich kalt wie Kupfer an; sie hatte aufgehört zu atmen. Ihr Gatte war ebenfalls tot.