Die Seele im Beutel

Märchen aus Island

Es lebte einmal eine Frau, die war mit ihrem Mann unzufrieden. Der Mann war faul und unfreundlich, und sie schimpfte oft mit ihm und warf ihm vor, nur das zu verschleudern, was sie herangeschafft hatte. Sie selbst war eine weitsichtige und kluge Frau. Sie wusste mit Menschen und Zuständen so umzugehen, dass sie allem das Beste abgewann.

Immerhin war die Frau ihrem Mann aber letzten Endes doch wohlgesonnen, und er hatte es gut bei ihr. Eines Tages nun machte sich bei dem Mann eine schwere Krankheit bemerkbar. Er verfiel immer mehr, und die Frau kam auf den Gedanken, dass er - im Falle seines Ablebens - wohl kaum die Reife für den Himmel hätte. »Ich werde seinen Verstand und seine Seele wohl erst noch in die richtige Form bringen müssen«, dachte sie bei sich. Wie sie so nachdachte, fiel ihr der alte, bestickte Lederbeutel ein, den sie selbst gefertigt hatte. Sie nahm ihn, hielt ihn dem Kranken unter die Nase, und wie er endlich seine Seele aushauchte, fuhr sie stracks in den Beutel hinein und rumorte darin.

Die Frau nahm den Beutel, ging zum Himmelstor und klopfte an. Petrus kam und fragte: »Was willst du, gute Frau? «

»Guten Tag, ich habe hier die Seele meines Mannes mitgebracht, sei doch so gut und lasse sie in den Himmel hinein. «

»Ja, weißt du«, brummte Petrus da und kratzte sich die Backe, »ich kenne deinen Mann wohl, aber nie hörte ich was Gutes von ihm. So weiß ich nicht recht...« Da sagte die Frau: »Schämst du dich nicht, so hartherzig zu sein? Hast du vergessen, wie es dir erging, als du deinen Meister verrietest? «

Wortlos machte Petrus kehrt und schloss das Tor wieder zu. Die Frau blieb, wo sie war, und klopfte nach einer kleinen Weile erneut. Wieder kam Petrus heraus. Sie grüßte höflich und bat ihn, auf die Seele ihres Mannes, die sie in einem Beutel mitführe, aufzupassen. Davon wollte er aber nichts wissen und machte schon Anstalten wegzugehen. Da rief sie ihm bissig zu: »Du bist unmenschlich. Wahrscheinlich ist es für jeden besser, mit dir gar nichts zu tun zu haben! « Eiligst schloss er das Tor.

Die Frau pochte ein drittes Mal gegen die Pforte. Die Jungfrau Maria erschien diesmal. »Guten Tag«, sagte die Frau, »erlaubst du dass mein Mann hier Unterschlupf findet? « »Das kann ich leider nicht erlauben, meine Liebe«, flötete die Jungfrau Maria, »dein Mann war ein zu großer Tunichtgut. «

»Ich will nicht streiten«, erwiderte die Frau. »Aber solltest du nicht daran denken, dass du auch nicht vollkommen bist? Hast du nicht ein Kind bekommen, dessen Vater du nicht einmal nennen konntest? «

Maria wurde blass, hielt sich die Ohren zu und verschwand.

Als die Frau ein viertes Mal klopfte, kam Christus persönlich heraus. Sie sagte demütig: »Ich bitte dich inständig, diese arme Seele hier nicht abzuweisen. « »O nein, gute Frau«, schüttelte Christus den Kopf, »er hat nicht an mich geglaubt, - daraus wird nichts. « Als er schon das Tor schließen wollte, nahm sie schnell den Beutel, warf ihn weit in das Himmelreich hinein, wo er in einem Winkel liegenblieb, und machte auf dem Absatz kehrt. Frohgemut kehrte die Frau zur Erde zurück, war doch ihr Alter trotz allem nun im Himmel. Und ganz sicher ist es ihm dort gut gegangen.