Linori, hei, Linori!

Ein Romamärchen aus Ungarn

Geller, ein Zigeuner im Oberland, war ein armer Musikant. Nicht Hund noch Katze hatte er, nur einen Freund, den Mussaj, den mit dem einen Auge und dem Esel. Wenn der einmal eine Fuhre für seinen Karren bekam, es war selten genug, half ihm sein Freund aufladen und abladen, und während sie neben dem Esel einher trotteten, stritten sie immer darüber, wessen Beruf der schönere sei. Sagte der Geller:
»Du bist also gern Tagelöhner, Bruder? Für einen Zwanziger eine ganze Woche arbeiten? Soviel kann ich in einem halben Tag verdienen. «
»Ja, aber mir sagt keiner aufhören! Ich gehe nicht mit der Geige hausieren, und an mir wischt sich niemand seine kotigen Stiefel ab. « So stritten sie freundschaftlich miteinander, der Geller und der Mussaj, der Musikant und der Fuhrmann. Nie hätten sie sich einigen können, wenn dem Geller nicht etwas zugestoßen wäre. Es war keine große Sache, aber irgendwie erfuhren es alle, und überall erzählten es die Roma einander.
Es fing damit an, dass der Geller auf einer Bauernhochzeit aufspielen sollte. Es war bitterkalter Winter, und der Zigeuner stopfte Stroh in seine durchlöcherten Schuhe, so sehr fror er. Er zog sein großes Wams und seinen lila Mantel an, darunter trug er, um sie vor Frost zu schützen, seine Geige, und so machte er sich auf den Weg. Er kam auch glücklich an, es ging schon hoch her bei der Hochzeit. - Zigeuner, spiel das Karfreitagslied, klopf es mit dem Bogen auf dem Rücken der Geige herunter! »O, lass los, du, meinen Zopf, schieß dir eine Kugel in den Kopf« - mit einem Wort, wie sich eben die närrischen Gadscho [Nichtroma] zu vergnügen pflegen.
Sie tranken und johlten, einer hieb sein Taschenmesser in die Zimbel hinein und schrie, wer ein Mann ist, soll's herausziehen. Der arme Geller musste eine halbe Flasche Sliwowitz trinken, der war so stark, dass er einem Schwein die Borsten von der Haut weggeätzt hätte, und den Rest gössen sie ihm in den Nacken, und dabei musste er den Rumänischen Tanz aufführen... Das trieben sie so lange, bis der Vater der Braut dann eine Latte aus dem Gartenzaun brach und damit die ganze Verwandtschaft zum Teufel jagte.
Der arme Geller bekam nicht einmal sein Geld und stand nun in finsterer Nacht auf der Straße wie ein streunender Hund. Ein Glück, dass der Geige nichts passiert war, ein Glück auch für die Gadscho. Denn wenn der Geige was passiert, sieht der Zigeuner rot... packt den Bauern am Kragen, schüttelt ihn durch und durch... haut ihn zu Schanden... es kocht sein Blut!
Ihr kennt den Zigeuner, ihr wisst, wie er ist.
Weiter ging er, der arme Geller, durch die schwarze Nacht, er ging und ging, und die Kälte musizierte ihm in die Ohren auf der E-Saite, ganz oben unterm Steg. Er lauscht...
... Der König, aber nicht ein gewöhnlicher König, der Welt-König hat befohlen, dass alle Zigeuner, soviel ihrer seien auf der Welt, am nächsten Tag vor ihm zu erscheinen haben. Denn der Welt-König fühlt sein Ende kommen und will noch einmal sein Lieblingslied hören, der Welt-König, der Ärmste. Es versammeln sich auch alle die Roma bei ihm und warten gespannt und warten... Da sagt man ihnen, wer das Lied »Linori, hei Linori« kann, soll vortreten. Die Roma stoßen einer den anderen. Na, was gibt's? Von hinten zwängt sich einer nach vorn durch. Nonee [Ausruf des Staunens], der Geller? Willst du uns beschämen, Lümmel? Ist ein Dorfzigeuner und spielst ein Lied, das wir, die großen Kaffeehausprimas, nicht spielen? Zurück, zurück, du! Er kommt doch durch. Stellt sich vor den Welt-König hin. Eine Ecke des schneeweißen Taschentuchs hinter den Kragen gesteckt, schaut er dem Welt-König in die Augen. Auf einmal, hopp! die Geige unters Kinn, er zuckt mit keiner Wimper, zuerst variiert er schön langsam, dann legt er los:
Hört im Dorf die Glocken läuten:
Hochzeit bei den Zigeunersleuten.
Beim Zigeuner Hochzeitstag,
Geigenklang und Zimbelschlag,
Linori, hei, Linori...
Und wie geht's weiter? Na, macht nichts, der Welt-König weiß es, ich begleite ihn nur.
»O du, mein lieber Junge! Hast eine goldene Hand! Auf jeden Finger eins von meinen Ländern, die übrigen auf den Bogen!« Er setzt mich zu seiner Rechten, und der Mussaj ist mein Galakutscher.
Er nahm den kürzeren Weg hinter den Gärten. »Bist auf dem falschen Weg, du, Geller, auf dem falschen Weg. Würdest ihn nicht gehen, wenn du auf mich hörtest. « Es knackt unter seinen Füßen, und er versinkt in eine tiefe, tiefe Grube. Aus mit dem Musizieren am Sonntag. Es ist eine Wolfsgrube! »O, Maria, Gebenedeite, was hast du mir angetan! Hast mich in eine tiefe, bodenlose Grube fallen lassen!« Der arme Geller versuchte nach oben zu klimmen, aber umsonst tastete er mit der Hand nach einer Wurzel oder Ranke, nichts! Als hätte der Bauer die Grube in Felsen gehauen, die Wolfsgrube. Er überlegte, bis zum Morgen wird er es irgendwie aushalten, dann wird doch irgendjemand hier herauskommen und ihn aus der Gefangenschaft befreien. Aber was geschieht da? Der Zigeuner hört von oben ein Rascheln, dann, bums, fällt etwas neben ihm in die Grube herunter. Ein Glück, dass er nicht danach greift, sondern beim Anblick der zwei glühenden Augen zurückfährt. Denn es war ein Wolf, ein Wolf - wenn ich's sage!
Im Augenblick reißt der Geller die Geige unter dem Arm hervor und beginnt wie verrückt draufloszuspielen.
Der Wolf ist baff vor Staunen, er staunt und staunt. So ein Wunder hat er noch nicht erlebt, da plumpst er neben einem Menschen herunter, starrt ihn mit seinen roten Augen an, und der Mensch hat nichts bei sich, nicht einmal einen Knüttel, nur so ein komisches Werkzeug, und nicht, dass er damit zuschlägt, er zersägt es, er sägt Töne, wunderschöne Töne.
So hatte es sich der arme Geller gedacht! Er wusste, dass sein Leben nur so lange dauert, wie die Musik den Wolf verzaubert. Als wäre es der Welt-König, so musizierte er! Als ob einer der umstehenden Herren sagte: »Bist ein raffinierter Bursche, du Vagabund von einem Zigeuner! Hast frech den Bogen angesetzt und angefangen >Linori, hei, Linori! < Kannst nicht das Ende des Liedes, und jetzt bist du frech in die Grube gekommen! Entweder du spielst auch den Schluss, oder ich lass dir den Kopf abschlagen! « Und der Welt-König nickte dazu!
Musizieren, musizieren! Er musizierte um sein Leben, der arme Geller.
Und der Wolf staunte und staunte und starrte ihn an.
Halt die Finger, einen am andern, um den Hals der Geige, dass sie dir nur nicht klamm werden! Um Brot und Wurst, um Brot und Wurst, wie dem Herrn ins Ohr! Spiel, spiel, hör nicht auf! Frisch, Tempo. Zeig, dass du Romablut in den Adern hast.
»Schön, schön, mein Sohn, aber es ist nicht das Ende des Liedes! Linori, hei, Linori, aber was kommt dann? Du verlierst den Kopf, ich seh' es schon, noch diese Nacht! « Und der Wolf schaut und schaut und staunt.
Balthasar, komm, sei kein Lümmel,
Trink mit mir noch einen Kümmel.
Zweie, dreie, viere, fünfe...
Retsch! Eine Saite ist gesprungen.
Weiter auf drei Saiten! Drei Saiten sind dein Leben!
Retsch, auch die zweite Saite!
Und der Wolf schaut und schaut und staunt.
Zwei Saiten sind weg! Spiel auf zwei Saiten! Soll ich dich zum Welt-König machen? Soll ich dich in die Wolfsgrube werfen?
Ich habe mein' Schimmel verkauft,
Da gehe ich ins Wirtshaus und sauf'.
Und der Wolf schaut und schaut. Uju-juju-juju-juj! Der Bogen kreischt oben auf der E-Saite... Wie der Frost. Lass nicht locker, schau, der Welt-König schüttelt die Faust! …
Langsam, ganz langsam wird es hell. Der Bauer ist ein Frühaufsteher, er ist noch vor der Sonne wach, er jagt den Hund aus dem Haus, heulend kommt der Hund zurück. Der Bauer gibt ihm einen Tritt, geh zur Hölle! Aber der Hund winselt und heult, der Bauer fährt in den Mantel und geht hinaus. Wer feiert da noch? Der Bauer geht der Musik nach. Auf einmal stutzt er und steht da, wie angefroren. Er rafft sich auf, rennt und klopft bei dem einen, dann bei dem anderen Nachbarn an. »Komm, Jänos! Komm, Pista! Fragt nicht viel, nehmt nur gute starke Stricke mit! Und jeder die Forke gefasst!« Die Bauern stürzen davon; auf einmal bleiben sie stehen, einer nimmt den Strick, knüpft das Ende zur Schlinge. Was jetzt? Sie beraten. Wer versucht's?
Der die Schlinge geknüpft hat, geht an die Grube heran, lässt den Strick hinunter; alle greifen zu, ziehen aus allen Kräften. Wer kommt da hoch? Der Wolf! Zur Hand die Forke, Hiebe klatschen, die Bestie haucht ihre schwarze Seele aus.
Die Schlinge hat ihn sofort erwischt, wie er so dastand und auf den Zigeuner gaffte, der spielte und spielte und spielte.
Als sie dann den Musikanten hochzogen, war kaum noch Leben in ihm. Ein Wagen wurde geholt, darauf legte man den armen Kerl und brachte ihn ins Dorf.
Zwei Wochen lang schwebte der gute Geller zwischen Leben und Tod. Er schwitzte und zitterte am ganzen Körper, und im Fieber redete er unentwegt vom Welt-König und von der Linori. Mussaj, sein Freund, der Eseltreiber, pflegte ihn gesund.
Als er schließlich aufstand, ging er zum Schwager seines Freundes Mussaj, einem Nagelschmied, und trat bei ihm ein, um das Handwerk zu lernen. Die Geige hat er seither nicht mehr in die Hand genommen. Wenn er auch nicht gar so närrisch gewesen ist, sie zu zerschlagen.