Die Jungfrau vom See

Keltisches Märchen aus Wales

Als der ereignisvolle Kampf, den im 12. Jahrhundert die Fürsten von Süd-Wales um die Unabhängigkeit ihrer Gebiete führten, nahe bei seinem Ende angelangt war, lebte in Blaensawde, bei Llandeusant in Carmarthenshire, die Witwe eines Landmannes, der in jenen verderblichen Kriegen gefallen war.

Diese Witwe besaß einen einzigen Sohn, den sie liebevoll großzog. Die Vorsehung wachte über sie und trotz jenes schweren Verlustes war ihr Viehstand im Laufe der Zeit dermaßen angewachsen, dass es unmöglich wurde, die ganze Herde auf ihrem Landgut weiden zu lassen. Deshalb schickte sie einen Teil des Viehes auf den nahen Schwarzen Berg zum Grasen, wo dessen Lieblingsweideplätze in der Nähe des kleinen Sees Llyn y Fan Fach, an der nordwestlichen Seite des Carmarthenshire Fans, sich befanden.

Der Sohn wuchs inzwischen zur Mannbarkeit heran und die Mutter pflegte ihn dann und wann auszusenden, um auf dem Berge nach der Herde zu sehen.

Eines Tages, während er auf seiner Wanderung längs des Seeufers hin schritt, sah er zu seinem großen Erstaunen auf der regungslosen Wasserfläche eine Jungfrau sitzen, eines der herrlichsten Geschöpfe, das von Menschenaugen jemals erblickt ward. Ihr Haar floss ihr in anmutigen Ringellocken über ihre Schultern und während sie dessen Strähne mit einem Kamme glättete, diente ihr die glasige Fläche ihres feuchten Ruhebettes als Spiegel, der ihr holdes Bild widerstrahlte.

Plötzlich gewahrte auch sie den Jüngling, wie er am Rande des Sees dastand, die Augen wie gebannt auf sie gerichtet und unbewusst seinen Vorrat an Gerstenbrot und Käse, den man ihm zu Hause mitgegeben, ihr darbot.

Verwirrt durch ein Gefühl von Liebe und Bewunderung für das Wesen vor sich, fuhr er fort, seine Hand gegen das Mädchen auszustrecken, das allmählich zu ihm herangeglitten war, aber die Gabe artig zurückwies.

Da wollte er sie erhaschen; sie aber wich flink seinem Griffe aus, wobei sie sagte:

»O, du mit dem Brote hart,

Mich fangen wirst du nicht so bald!«

Und darauf tauchte sie im Wasser unter und verschwand!

Der liebestrunkene Jüngling aber kehrte nach Hause zurück, eine Beute der Enttäuschung und des Bedauerns, dass es ihm nicht vergönnt gewesen, nähere Bekanntschaft mit einem Wesen zu machen, demgegenüber all die schönen Mädchen von Llandeusant und Mydfai, soviel er auch ihrer kannte, eitel nichts waren; gleichwohl es hieß:

»Es ist weißer Schnee

Auf des Berges Höh',

Und grüner Wald am Verdrai;

Junge Birken stahn

Im Wald von Cwm-brân;

Liebliche Mädchen gibt's in Mydfai!«

Bei seiner Heimkehr erzählte der Jüngling seiner Mutter von der ungewöhnlichen Erscheinung, die er gesehen hatte. Diese wies ihn an, das nächste Mal etwas ungebackenen Brotteig in seiner Tasche mit sich zu führen, denn es musste irgendein Zauber mit dem harten Brote, dem »Bara cras«, verknüpft sein, welcher ihn hinderte, das Mädchen zu fangen.

Am nächsten Morgen, bevor noch die Sonne mit ihren Strahlen die Spitzen der Fans vergoldete, befand sich der Jüngling schon am See, aber nicht etwa zu dem Zwecke, um nach der Herde seiner Mutter zu sehen, sondern um nach jener bezaubernden Vision auszuspähen, die ihm am Tage vorher geworden war. Doch vergeblich strengte er ängstlich suchend seine Augen an, vergeblich schweiften sie über die Fläche des Sees! Seine Blicke trafen nur auf Wellenschaum, der von einer rauen Brise aufgewirbelt wurde und eine Wolke hing drohend an den Zacken des Fan, was seine ohnehin schon verstörten Sinne nur noch mehr verdüsterte.

Stunden gingen dahin. Der Wind hatte sich beruhigt und die Wolken, welche den Berg eingehüllt, waren vor den machtvollen Strahlen der Sonne in dünne Luft auseinandergeflossen. Der Jüngling war aufgefahren, denn er hatte einige Rinder aus der Herde seiner Mutter bemerkt, die an der abschüssigsten Stelle der Böschung weideten, just am gegenüberliegenden Seeufer. Seine Pflicht erheischte es von ihm, zu versuchen, sie aus ihrer gefährlichen Lage zu befreien. In solcher Absicht wollte er eben dahineilen, als zu seinem unbeschreiblichen Entzücken der Gegenstand seines Suchens neuerdings vor ihm auftauchte, wobei jene ihm noch herrlicher erschien, als schon das erste Mal.

Da hielt er ihr wieder seine Hand entgegen, mit dem weichen Brote darin, welches er ihr zugleich mit einem eindringlichen Bekenntnis seiner Herzensneigung darbot, begleitet von den Schwüren ewiger Liebe.

Doch sie lehnte auch diesmal ab, wobei sie sagte:

»O, du mit dem weichen Brot,

Habe dein fürwahr nicht Not!«

Allein das Lächeln, das auf dem Antlitz der Jungfrau spielte, als sie zwischen den Wassern verschwunden, es ließ im Herzen des Jünglings eine Hoffnung erwachen, die ihn abhielt, über ihre Weigerung, ihm anzugehören, zu verzweifeln und dessen Erinnerung ihn auf seinem ganzen Wege nach Hause heiter stimmte.

Er berichtete seiner alten Mutter von seinem Misserfolge und sie schloss daraus, dass das Brot ein nächstes Mal wohl mürbe gebacken sein müsste, damit er dem mysteriösen Wesen gefalle, in das er sich verliebt hatte.

Getrieben von einer unwiderstehlichen Sehnsucht, verließ der Jüngling am nächsten Morgen in aller Frühe das mütterliche Heim und erstieg mit flüchtigen Schritten den Berg. Bald stand er am Rande des Sees und wartete da, mit all der Ungeduld eines glühenden Liebhabers, voll fieberhafter Ängstlichkeit, auf das Erscheinen der geheimnisvollen Jungfrau.

Die Schafe und Ziegen grasten an den abschüssigen Stellen des Fan; die Viehherde kletterte zwischen den Felsen und den großen Steinen umher, von denen hinwieder einzelne sich loslösten und polternd in den See hernieder rollten; Regen und Sonnenschein kamen dieweil und gingen vorüber; doch all dies blieb von dem Jüngling unbeachtet, der von Sehnsucht befangen einzig und allein nach dem Erscheinen der Jungfrau ausblickte.

Die Kühle des frühen Morgens war vor den sengenden Strahlen der Mittagssonne geschwunden, welche nach und nach in ihrem Kreislauf sich gegen Westen niedersenkte. Doch als auch der Abend dahinzusterben begann, um den Schatten der Nacht Raum zu schaffen, da war auch im Herzen des Jünglings schier jegliche Hoffnung geschwunden, die Jungfrau vom See jemals wiederzuschauen.

Noch einmal warf der Verliebte einen letzten trüben Abschiedsblick über den See und zu seinem Erstaunen gewahrte er einige Kühe, die auf der Wasserfläche umherschritten. Der Anblick dieser Tiere belebte in ihm die Hoffnung, dass sie von einem anderen, weit lieblicheren Wesen gefolgt werden möchten und wahrlich, er sah sich hierin nicht getäuscht, denn die Jungfrau erschien wieder und zu seinem höchsten Entzücken noch lieblicher denn je. Sie näherte sich dem Lande und er stürzte ihr entgegen in das Wasser.

Ein Lächeln ermutigte ihn, ihre Hand zu erfassen. Sie lehnte auch das mürbe gebackene Brot nicht ab, das er ihr darbot. Und nach einiger Überredung willigte sie sogar darein, seine Gattin zu werden, gegen die Bedingung, dass sie nur so lange beisammenleben sollten, als sie von ihm nicht grundlos drei Streiche bekommen. – »Drei ursachlose Hiebe«.

Allein wenn er jemals dazu kommen sollte, ihr grundlos solche drei Schläge zu versetzen, würde sie ihn für immer verlassen.

Dieser Bedingung stimmte der Jüngling gerne zu, ja, er hätte sich mit jedweder anderen Vereinbarung ebenso bereitwillig einverstanden erklärt; war er doch nur auf eines bedacht: dieses liebliche Wesen zur Gattin zu bekommen!

Solcherart nun hatte er der Jungfrau vom See das Versprechen abgenommen, seine Ehefrau werden zu wollen. Doch als er hierauf für einen Augenblick ihre Hand fahren ließ, da entglitt sie ihm und tauchte im See unter.

Sein Schmerz und Gram waren so gewaltig, dass er beschloss, kopfüber sich in das tiefste Wasser zu werfen, um in dem Element sein Leben zu beenden, das in seiner unermesslichen Tiefe das einzige Geschöpf barg, für das er auf Erden leben wollte.

Eben schickte er sich an, diese unbesonnene Tat zu vollführen, als aus dem See zwei wunderliebliche Jungfrauen emportauchten, begleitet von einem eisgrau gelockten Manne von vornehmer Miene und außergewöhnlicher Gestalt, der aber ansonst all die Kraft und Stärke der Jugend aufwies. Dieser Mann redete den Jüngling in einem Tone an, der berechnet schien, seine verwirrten Sinne zu beruhigen.

Er sagte, dass er vernommen habe, er wolle eine seiner Töchter heiraten, welcher Verbindung er zustimme, vorausgesetzt allerdings, der junge Mann würde erraten können, welche unter den beiden Jungfrauen, die er vor sich sähe, der Gegenstand seiner Neigung wäre.

Dies war nun keine leichte Aufgabe, da die Jungfrauen solch vollkommene Ebenbilder waren, dass es ihm ganz unmöglich erschien, seine Verlobte zu unterscheiden. Wenn er aber zufällig auf die Falsche geraten hätte, wusste er, dass jene für ihn auf immer verloren gewesen wäre!

Obgleich der Jüngling die beiden Jungfrauen auf das Genaueste betrachtete, vermochte er auch nicht des geringsten Unterschiedes zwischen ihnen gewahr zu werden. Er war fast daran, die Aufgabe, an deren Lösung er verzweifelte, aufgeben zu wollen, als die eine von ihnen ihren Fuß ein wenig vorstellte.

Diese Bewegung, so unbedeutend sie auch war, entging nicht der Beobachtung des Jünglings und er entdeckte einen geringen Unterschied in der Art, wie beider Sandalen geknotet waren. Dies machte mit einem Mal seinem Zweifel ein Ende, denn da er bei früheren Gelegenheiten die gesamte Erscheinung der Jungfrau vom See genau betrachtet, hatte er auch die Schönheit ihrer Füßchen und ihre eigenartige Beschuhung bemerkt.

Sowie er nun die Besonderheit ihres Schuhknotens gewahrte, ergriff er kühn ihre Hand.

»Du hast richtig geraten«, sagte der Vater. »Sei ihr ein guter und getreuer Gatte, und ich will ihr zur Brautgabe soviel Schafe, Rinder, Ziegen und Pferde mitgeben, als sie von jeglichem in einem Atemzuge aufzuzählen vermag. Doch merke, wenn du jemals zu ihr unwirsch wirst und ihr dreimal ohne Ursache Streiche versetzt, so muss sie zu mir zurückkehren und all ihre Habe mit sich bringen.«

Dies war der mündliche Heiratsvertrag, zu dem der Jüngling freudig seine Bestimmung gab.

Nun wurde seine Verlobte aufgefordert, die Zahl der Schafe aufzuzählen, die sie haben wollte.

Sie wandte sogleich die Art mit Fünfen zu zählen an und rief:

»Eins, zwei, drei, vier, fünf,

Eins, zwei, drei, vier, fünf ...« usw.

So zählte sie so oft als möglich in rascher Folge, bis ihr Atem erschöpfte. Die nämliche Zählweise hatte die Anzahl der Ziegen zu bestimmen, der Rinder, beziehungsweise der Pferde; und im Augenblick kam die Zahl von jeglichem aus dem See hervor, sobald sie der Vater nur rief.

Das junge Paar vermählte sich nun, durch welche Zeremonie, ist niemals festgestellt worden. Dann wählten sie sich eine Farm mit Namen Esgair Llaethdy zum Wohnsitz, etwas mehr denn eine Meile vom Dorfe Mydfai entfernt, wo sie für einige Jahre im Wohlstand und Glück lebten und zu Eltern dreier Söhne wurden, die wahrhaft prächtige Kinder waren.

Einmal nun, da sollte in der Nachbarschaft eine Taufe stattfinden, zu der die Eheleute geladen waren. Als der Tag herankam, schien die Gattin nur widerwillig sich zur Teilnahme rüsten zu wollen, indem sie vorgab, dass die Entfernung für sie zu weit wäre, um sie zu Fuß zurückzulegen.

Ihr Gatte meinte darauf, sie möge sich eines der Pferde nehmen, die auf dem nahen Anger grasten.

»Ich will es tun«, entgegnete sie, »doch hole du inzwischen mir meine Handschuhe, die ich in unserem Hause zurückgelassen habe.«

Er ging ins Haus und kehrte mit den Handschuhen zurück. Da gewahrte er, dass sie das Pferd nicht geholt hatte, weshalb er mit einem von ihnen scherzweise auf ihre Schulter schlug und sagte:

»So geh' doch! Geh'!«

Auf dieses hin erinnerte sie ihn an den Pakt, den sie bei ihrer Verheiratung geschlossen: Dass er sie nie ohne Ursache schlagen sollte, und ermahnte ihn, in Zukunft vorsichtiger zu sein.

Ein anderes Mal, als sie zusammen auf einer Hochzeit waren, geschah es inmitten der Festesfreude und Heiterkeit der versammelten Gäste, die aus der ganzen Umgebung herbeigeströmt waren, dass die Frau in Tränen ausbrach und bitterlich aufschluchzte. Der Gatte klopfte ihr erschrocken auf die Schulter und fragte nach dem Grunde ihres Weinens, worauf sie entgegnete:

»Nun werden für das junge Paar Mühe und Sorge beginnen; doch auch dir wird Sorge sich nahen, da du mich zum zweiten Male ohne Ursache geschlagen hast.«

Jahre gingen dahin, ihre Kinder waren herangewachsen und zu stattlichen jungen Leuten geworden. Inmitten so vieler irdischer Segnungen in seiner Behausung hatte der Gatte fast vergessen, dass nur noch ein einziger grundloser Schlag übrig war und dass dieser verabfolgt genügte, um all sein Glück und Gedeihen zunichtezumachen. Dennoch war es lange nicht dazu gekommen, bis dass ein nichtiger Anlass eingreifen sollte, den sein Weib als einen Bruch ihres Ehevertrages betrachten musste.

Diese hatte in der Zeit ihres Zusammenlebens, da ihre Neigung für ihn unverändert geblieben, wiederholt ihren Mann aufmerksam gemacht, sorgsam darauf zu achten, dass er nicht durch irgendeine Unvorsichtigkeit ihr den letzten und einzigen Streich versetze, der – durch ein unabänderliches Schicksal, über das sie keine Macht besitze – sie für immer von ihm trennen müsste.

Nun aber geschah es eines Tages, dass sie zusammen bei einem Leichenbegängnis waren, wo inmitten der Trauer und der Niedergeschlagenheit, die im Hause des Verschiedenen herrschten, die Frau in der lebhaftesten und heitersten Laune sich zeigte und unbezwingbare Lachanfälle hatte, was ihren Gatten dermaßen erschreckte, dass er sie an der Schulter erfasste und zu ihr sagte:

»Husch! Husch! Lach' doch nicht!«

Sie aber entgegnete, dass sie darum lache, weil, wenn die Leute dahingehen, all deren Leid ein Ende habe. Und sich darauf erhebend, trat sie aus dem Hause und sagte:

»Der letzte Streich wurde gegeben, unsere Heiratsabmachung ist gebrochen und alles zu Ende! Lebe wohl!«

Dann machte sie sich nach Esgair Llaethdy auf, wo sie ihre Rinder und die übrigen Haustiere zusammenrief, und zwar jegliches bei seinem Namen. Sie rief die Herde folgendermaßen:

»Sprenklichte Kuh, weiß gefleckt,

Fleckige Kuh, braun gescheckt,

Ihr vier, gelb wie Stroh vom Reis,

Du Alte mit der Schnauze weiß;

Und du graue Geingen,

Auch du weißer Bull

Von dem Hof des Königs;

Und du kleines schwarzes Kalb,

Dass du dort am Haken hängst,

Kommet all, denn ich will heim!«

Sie alle gehorchten sogleich dem Rufe ihrer Herrin.

Das »kleine schwarze Kalb«, obgleich es geschlachtet worden, wurde wieder lebendig und ging mit dem Rest des Viehstandes auf den Befehl der Eignerin von dannen.

Dies geschah im Frühling und es waren gerade vier Ochsen draußen, die auf einem der Felder pflügten. Diesen rief sie zu:

»Ihr vier Ochsen

Dort auf dem Feld,

Kommet auch ihr,

Denn ich will heim!«

Alle Tiere zogen nun mit der Herrin dahin, den Berg von Mydfai hinan und gegen den See, aus dem sie gekommen. Sie legten eine Entfernung von sechs Meilen zurück, worauf sie alle zwischen den Fluten verschwanden, ohne dass irgendwelche Spur von ihnen blieb, mit Ausnahme einer deutlich sichtbaren Furche, welche bis in den See reichte und durch den Pflug, den die Ochsen hinter sich einhergezogen, verursacht worden war. Diese ist bis zum Tage verblieben und gilt als Zeugnis für die Wahrheit dieser Begebenheit.

Was aus dem bestürzten Landmann geworden – ob er zurückgeblieben, als seine Ochsen davoneilten, oder ob er ihnen zum See nachfolgte, – das ist nicht überliefert worden; niemand hat das fernere Schicksal des so schrecklich heimgesuchten Gatten in Erinnerung behalten. Doch von den Söhnen weiß man, dass sie oft am See und in dessen Nachbarschaft umherstreiften, wohl in der Hoffnung, es möchte ihrer Mutter gestattet werden, noch einmal die Erdoberfläche zu betreten. Denn sie hatten inzwischen von deren Herkunft erfahren, von ihrem ersten Erscheinen vor dem Vater und den widrigen Umständen, die sie unglückseligerweise der mütterlichen Obhut beraubt hatten.

Bei solch einem Umherstreifen auf dem Berge, an einer Stelle, die noch jetzt Llidiad y Medygon, d.i. das Chirurgentor, genannt wird, erschien einmal die Mutter ganz plötzlich vor ihrem ältesten Sohne, der Rhiwallon hieß, und sagte zu ihm, dass sein Beruf auf Erden der eines Wohltäters vieler werden solle, indem er durch das Heilen aller Arten von Krankheiten seine Nebenmenschen von Schmerz und Leid befreien möge.

Zu diesem Behufe versah sie ihn mit einem Sack, voll mit ärztlichen Vorschriften und Unterweisungen für die Wahrung der Gesundheit. Und sie verhieß ihm, dass bei strenger Befolgung dieser Anordnungen, er und seine Familie durch Generationen als die kundigsten Ärzte des ganzen Landes gerühmt werden sollten. Dann, nachdem sie noch versprochen, ihm zu erscheinen, sobald er ihres Rates bedürftig wäre, verschwand sie wieder in den Fluten.

Noch bei so manchen Gelegenheiten begegnete sie sich mit ihren Söhnen am Seeufer und einmal begleitete sie diese sogar auf ihrem Heimweg bis zu einer Stelle, die heute noch Pant y Medygon, d.h. das Arztental, genannt wird und woselbst sie ihnen die verschiedenen Pflanzen und Kräuter bezeichnete, die in dem Engtal wuchsen und ihnen gleichzeitig deren heilende Kräfte und sonstigen Wirkungen enthüllte. Diese Kenntnisse, die sie ihnen beigebracht, unterstützt von ihrer unnachahmlichen Geschicklichkeit, verhalfen ihnen alsbald zu einer Berühmtheit, wie sie noch kein Arzt vor ihnen besessen. Und damit ihr Wissen nicht verloren ging, schrieben sie alles wohlweislich nieder, und so ist es uns erhalten geblieben bis zum heutigen Tage, zum Wohle und Heile der gesamten Menschheit.