Lasse, mein Knecht!

Schwedisches Märchen

Es war einmal ein Prinz oder Herzog oder was er nun war, aber von ungeheuer hoher Abkunft war er auf jeden Fall, und daheim wollte er auch nicht bleiben. So zog er in der Welt herum, und wo er auch hinkam, da wurde er wohl aufgenommen und verkehrte mit den feinsten Leuten, denn Geld hatte er unerhört viel. Freunde und Bekanntschaften hatte er gleich, wo er auch hinkam, denn wer einen vollen Trog hat, findet immer Schweine, die ihre Rüssel hineinstecken wollen. Da er aber so mit seinem Geld umging, wurde es immer weniger, und zuletzt saß er so auf dem Trockenen, dass er keinen roten Heller mehr hatte. Nun war es auch aus mit den vielen Freunden, denn die machten es wie die Schweine. Als er ganz ausgebeutelt war und ihnen nichts mehr geben konnte, fingen sie an zu grunzen und zu plärren und liefen auseinander, jeder seines Wegs. Da stand er nun genasführt und allein. Alle hatten ihm eifrig von seinem Geld geholfen, aber wieder dazu helfen wollte ihm keiner, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als wie ein Handwerksbursch heimzuwandern und unterwegs sich Brotkrusten zusammenzubetteln.

Spät eines Abends kam er in einen großen Wald und wusste schlechterdings nicht, wo er in der Nacht unterkommen sollte. Aber wie er guckte und suchte, da fiel sein Blick auf eine alte Hütte, die zwischen dem Gebüsch hervorschaute. Das war freilich kein Quartier für einen so feinen Herrn, aber wenn man nicht haben kann, was man will, so muss man nehmen, was man kriegt, und da er sich nicht anders zu helfen wusste, so ging er eben in die Hütte. Nicht eine Katze war darin und nicht einmal ein Schemel zum Sitzen. Aber an der einen Wand stand eine große Kiste. Was könnte wohl in der Kiste sein? Wenn da am Ende etliche schimmelige Brotbrocken darin wären? Das würde er sich schmecken lassen, denn er hatte den ganzen Tag nicht das kleinste Almosen bekommen und war so hungrig und leer, dass ihm die Därme an den Rippen klebten. Er machte die Kiste auf. Aber in der Kiste war wieder eine andere Kiste, und in dieser Kiste war noch eine Kiste, und so immer fort, die eine kleiner als die andere, bis es nur mehr ganz kleine Schächtelchen und Kästchen waren. Je mehr es wurden, um so mehr plagte er sich, denn es musste doch etwas Wunderschönes darin sein, weil es so sorgsam versteckt war.

Schließlich kam er an ein kleines Kästchen, und in dem Kästchen lag ein Stück Papier – und das war alles, was er von seiner Mühe hatte. Das war freilich fürs Erste sehr betrüblich. Aber auf einmal sah er, dass etwas Geschriebenes auf dem Fetzchen stand, und als er genauer zusah, konnte er sogar Worte herausbuchstabieren, obgleich es zuerst kurios aussah. Da las er:

»Lasse, mein Knecht!«

Und kaum hatte er die Worte ausgesprochen, so gab es dicht an seinem Ohr Antwort:

»Was befiehlt der Herr?«

Er schaute sich um, aber er sah keinen Menschen. Das ist doch wunderlich, dachte er und las noch einmal:

»Lasse, mein Knecht!«

Und da kam auf die gleiche Art die Antwort:

»Was befiehlt der Herr?«

»Wenn hier ein Mensch ist, der hört, was ich sage, der könnte wohl so gut sein und mir ein bisschen was zu essen verschaffen,« sagte er; und im gleichen Augenblick stand ein Tisch in der Hütte, gedeckt mit allem, was man sich Gutes nur denken kann. Er gleich ans Essen und Trinken und schlug sich tüchtig den Ranzen voll. So gut hatte er es seiner Lebtage noch nicht gehabt, dachte er. Als er sich nun gehörig satt gegessen hatte, wurde er schläfrig und griff wieder nach dem Fetzen.

»Lasse, mein Knecht!«

»Was befiehlt der Herr?«

»Nun hast du mir zu essen und zu trinken gegeben, nun sollst du mir auch ein Bett zum Schlafen verschaffen. Aber ein recht schönes Bett will ich haben,« sagte er, denn ihr könnt euch denken, dass er nun schon höher hinaus wollte, nachdem er sich satt gegessen hatte. Und es geschah auch; und ein Bett so fein und schön stand in der Hütte, dass der König selbst nach einer ähnlichen Schlafgelegenheit suchen könnte. Nun war ja alles schön und gut, aber das Bessere ist der Feind des Guten, und als er sich gelegt hatte, fand er die Hütte doch gar zu elend für ein so schönes Bett. Da nahm er das Papier:

»Lasse, mein Knecht!«

»Was befiehlt der Herr?«

»Wenn du ein solches Essen und ein solches Bett in den wilden Wald hier schaffen kannst, so kannst du mir auch gewiss ein schöneres Gemach verschaffen, denn siehst du, ich bin ja einer, der sonst in einem Schloss schläft mit Goldspiegeln und goldenen Tapeten und Verzierungen und Bequemlichkeiten aller Art,« sagte er. Kaum hatte er die Worte recht gesagt, so lag er auch schon im prächtigsten Zimmer, das er jemals gesehen hatte.

Nun hatte er es schön, fand er, und war gerade zufrieden, als er das Gesicht zur Wand drehte und die Augen zumachte.

Aber es war doch noch nicht genug des Prunkes, denn als er am anderen Morgen aufwachte und sich umsah, so war es ein großes Schloss, in dem er geschlafen hatte. Da war ein Zimmer neben dem anderen, und wo er hinkam, war alles voller Verzierungen und Schnörkeln aller Art, die Wände und die Decke, und alles schimmerte so herrlich, wenn die Sonne darauf schien, dass er die Hand vor die Augen halten musste, so funkelte es überall von Gold und Silber, wo er hinsah. Da schaute er durchs Fenster und hui! war das erst schön. Das war ein ander Ding als Tannenbäume und Wacholderbüsche, nein, da war der schönste Garten, den man sich wünschen konnte, mit herrlichen Bäumen und Rosen aller Art in Büschen und in Stöcken. Aber kein Mensch war zu sehen, nicht einmal eine Katze, und das war ganz natürlich, dass er es so fein hatte und wieder ein großer Herr geworden war.

Da nahm er das Stück Papier:

»Lasse, mein Knecht!«

»Was befiehlt der Herr?«

»Nun hast du mir Essen geschafft und ein Schloss darin zu wohnen – denn hier will ich bleiben – denn hier behagt es mir,« sagte er, »aber so ganz allein kann ich doch hier nicht sein. Ich muss Knechte und Mägde haben, von denen ich mich bedienen lassen kann, und sehen, was sie treiben,« sagte er. So geschah es auch; es kamen Bediente und Lakaien und Mägde und Mamsellen aller Art, und die einen verbeugten sich und die anderen machten einen Knicks, und nun fühlte sich der Herzog wirklich zufrieden.

Nun lag aber auch ein großes Schloss auf der anderen Seite des Waldes, und da wohnte ein König, dem gehörte der Wald und große, große weite Felder rings herum. Als der nun nach Hause kam und zufällig zum Fenster hinausschaute, da erblickte er das neue Schloss, auf dessen Dach die goldenen Wetterfahnen sich hin und her schwangen und ihm von Zeit zu Zeit in die Augen glitzerten. »Das ist doch kurios,« dachte er und rief seine Hofherren. Die kamen eiligst herein und machten Komplimente und Kratzfüße.

»Seht ihr das Schloss dort?« sagte der König.

Sie machten tellergroße Augen und guckten.

Ja, gewiss sahen sie das.

»Wer ist der, der gewagt hat, ein solches Schloss auf meinem Grund und Boden zu bauen?«

Sie machten Komplimente und Kratzfüße und wussten nichts. Da rief der König seine Soldaten: Die kamen hereingestampft und präsentierten das Gewehr.

»Schickt alle meine Soldaten und Reiter aus,« sagte er, »und reißt das Schloss dort nieder und hängt den auf, der es gebaut hat, und das auf der Stelle!«

In der größten Eile traten die Soldaten an und machten sich auf den Weg. Die Trommler bumsten auf das Trommelfell, und die Trompeter tuteten in die Trompeten, und die anderen Musikanten betrieben ihre Kunst, jeder auf seine Weise, sodass der Herzog sie schon längst hörte, ehe er sie sehen konnte. Aber er hatte schon früher solche Musik gehört und wusste auch, was sie bedeutete, und da nahm er wieder sein Stück Papier.

»Lasse, mein Knecht!«

»Was befiehlt der Herr?«

»Hier kommen Soldaten,« sagte er, »und nun sollst du mir Soldaten und Reiter verschaffen, dass ich noch einmal so viel habe, als die da hinter dem Wald. Und Säbel und Pistolen und Büchsen und Kanonen, und alles, was dazugehört – aber schnell muss es gehen.«

Schnell ging es auch, und als der Herzog hinausschaute, da hatte er eine unerhörte Masse Soldaten rings um das Schloss aufgestellt.

Als nun die Leute des Königs kamen, blieben sie stehen und wagten sich nicht weiter vor. Aber der Herzog war nicht schüchtern und ging direkt auf den Obersten des Königs zu und fragte, was er wolle.

Der Oberst sagte seinen Auftrag.

»Das hat gar keinen Wert für euch,« sagte der Herzog. »Du siehst wohl, wie viel Leute ich habe, und wenn der König auf mich hören will, so können wir auf der Stelle Freunde werden und ich will ihm gegen seine Feinde helfen und das wird schon glücken.« Dem Oberst gefiel der Vorschlag, und da lud der Herzog ihn und alle seine Offiziere ins Schloss, und die Leute bekamen einen Schluck oder auch zwei und vieles Essbares dazu. Aber als sie nun aßen und tranken, kam man ins Erzählen, und der Herzog erfuhr, dass der König eine Tochter hatte, die noch ledig sei und so wunderschön, dass noch niemand ihresgleichen gesehen hatte. Und je mehr man den Soldaten des Königs auftrug, um so mehr waren sie der Meinung, dass die Königstochter eine gute Frau für den Herzog sei. Wie sie so sprachen, kamen auch dem Herzog selber derartige Gedanken. Das Schlimmste sei, sagten die Soldaten, dass sie sehr stolz sei und niemals einen Mann anschauen wolle. Aber da lachte der Herzog nur. »Wenn es nichts Schlimmeres ist,« sagte er, »diese Krankheit kann man schon heilen.«

Als nun die Soldaten soviel gezecht hatten, als nur in sie hineingehen wollte, riefen sie Hurra, dass es in den Bergen widerhallte, und zogen davon. Und man kann sich vorstellen, dass sie einen schönen Parademarsch machten, denn sie waren ein bisschen locker in den Knien, und es war mancher darunter, bei dem diesmal nicht alle Schrauben fest waren. Der Herzog trug ihnen Grüße an den König auf. Er wolle ihn bald besuchen, sagte er.

Als der Herzog nun wieder allein war, fing er wieder an, an die Prinzessin zu denken, und ob sie wirklich so fein und schön wäre, wie die Soldaten gesagt hatten, das hätte er gerne selber sehen wollen. Und nachdem an diesem Tag schon so viel Wunderbares passiert war, so wäre das auch nicht unmöglich, dachte er.

»Lasse, mein Knecht!«

»Was befiehlt der Herr?«

»Nun sollst du mir die Königstochter herbeischaffen, sobald sie eingeschlafen ist,« sagte er. »Aber sie darf auf dem Hinweg und auf dem Rückweg nicht aufwachen, hörst du?« sagte er. Und es dauerte nicht lange, so lag die Prinzessin auf dem Bett. Sie schlief so gut und sah so reizend aus, wie sie so da lag. Ganz zuckersüß war sie, das muss man sagen. Der Herzog ging rund um sie herum, aber von allen Seiten war sie gleich schön, und je mehr er schaute, um so besser gefiel sie ihm.

»Lasse, mein Knecht!«

»Was befiehlt der Herr?«

»Nun sollst du die Prinzessin wieder heimtragen,« sagte er. »Denn jetzt weiß ich, wie sie aussieht, und morgen will ich um sie werben,« sagte er.

Am nächsten Morgen schaute der König zum Fenster hinaus.

»Nun brauche ich doch das Schloss dort drüben nicht mehr zu sehen,« dachte er bei sich. Aber ging das nicht mit dem Bösen zu – da stand es noch gerade so wie zuvor, und die Sonne schien so schön aufs Dach, und die Wetterfahnen glitzerten ihm in die Augen.

Nun wurde er zornig und schrie nach allen seinen Leuten; die kamen rascher herbei als gewöhnlich. Die Hofherren machten Komplimente und Kratzfüße, und die Soldaten machten Parademarsch und präsentierten.

»Seht ihr das Schloss dort?« schrie der König.

Sie streckten die Hälse und machten Augen wie die Teller und guckten.

Ja, freilich sahen sie es.

»Habe ich euch nicht befohlen, das Schloss niederzureißen und den Bauherrn aufzuhängen?« sagte er.

Das konnten sie freilich nicht leugnen, aber nun trat der Oberst selber vor und tat Bescheid, wie alles zugegangen war, und wie unheimlich viel Soldaten der Herzog hätte, und wie wunderschön es auf seinem Schlosse sei. Dann erzählte er auch, was der Herzog gesagt hatte, und dass er ihm auch Grüße an den König aufgetragen hatte.

Dem König wurde es ganz kurios im Kopf, und er musste seine Krone auf den Tisch stellen und sich am Kopf kratzen. Das konnte er denn doch nicht begreifen – obwohl er König war, denn er konnte darauf schwören, dass das alles in einer einzigen Nacht zustande gekommen war, und wenn der Herzog dort nicht der Böse selber war, so musste er doch ein Zauberer sein.

Wie er so dasaß und sinnierte, kam die Prinzessin herein.

»Grüß Gott, Vater,« sagte sie. »Weißt du, ich habe einen so schönen und wunderlichen Traum gehabt heute Nacht,« sagte sie.

»Was hast du denn geträumt, mein Mädel?« sagte der König.

»Ja, ich habe geträumt, ich sei auf dem neuen Schloss da drüben, und da war ein so schöner und prächtiger Herzog, dass ich mir nie etwas Ähnliches vorgestellt habe; und jetzt will ich einen Mann haben.«

»Was, du willst einen Mann haben und hast dich nie herabgelassen, einen Mann auch nur anzuschauen; das ist ja sonderbar!« sagte der König.

»Das kann schon sein,« sagte die Prinzessin, »aber jetzt ist es so, und jetzt will ich einen Mann haben, und gerade den Herzog,« schloss sie.

Der König kam aus der Verwunderung über den Herzog gar nicht mehr heraus.

Aber auf einmal hörte er einen sonderlichen Klang von Trommeln und Trompeten und anderen Instrumenten aller Art. Und es kam Botschaft, der Herzog sei da mit großer Gefolgschaft, und alle seien so prächtig, dass es von Gold und Silber an jeder Naht nur so blitze. Der König, mit der Krone und in seinem schönsten Prachtgewand, schaute die Treppe hinunter, und der Prinzessin fuhr die Eile noch mehr in die Beine.

Der Herzog grüßte freundlich, und der König tat das Gleiche, und wie sie so über ihre Sachen und Angelegenheiten sprachen, so wurden sie gute Bekannte. Es gab ein großes Gelage, und der Herzog saß bei Tisch neben der Prinzessin. Was sie unter sich besprachen, weiß ich freilich nicht, aber der Herzog verstand so schön zu sprechen, dass, was er auch sagte, die Prinzessin nicht ›Nein‹ darauf sagen konnte, und so ging er zum König und warb um sie. Der König konnte auch gerade nicht ›Nein‹ sagen, denn der Herzog war ein Mann, mit dem er lieber essen als Prozessen wollte, das wusste der König wohl, aber so auf einmal seine Zusage geben, das konnte er auch nicht. Er wolle zuerst das Schloss des Herzogs sehen und wissen, wie es bei ihm aussehe in der und jener Hinsicht – das sei ja klar.

Es wurde also ausgemacht, dass er zum Herzog auf Besuch kommen und die Prinzessin mitnehmen sollte, damit sie sein Hab und Gut besehen könnten, und damit schieden sie.

Als nun der Herzog heimkam, da gab es viel zu springen für Lasse, denn nun bekam er viele Aufträge. Aber wie er sprang und schaffte, da wurde alles so schön und fein, als der König kam mit seiner Tochter, dass es tausend Leute nicht beschreiben könnten. Sie gingen durch alle Räume und schauten sich um, und es war alles, wie es sein sollte, und noch viel schöner, dachte der König, und er war sehr vergnügt. Nun wurde die Hochzeit gefeiert, und als sie aus war, und der Herzog mit seiner jungen Frau nach Hause kam, da hielt er auch ein prachtvolles Gelage, und so war es mit der Sache.

Als eine Zeit vergangen war, hörte der Herzog eines Abends die Worte:

»Ist der Herr jetzt zufrieden?«

Das war Lasse, obgleich der Herzog ihn nicht sehen konnte.

»Wohl zufrieden,« sagte der Herzog. »Du hast mir ja alles verschafft, was ich habe,« sagte er.

»Aber was habe ich dafür bekommen?« sagte Lasse.

»Nichts,« sagte der Herzog, »aber, lieber Gott! Was sollte ich dir geben können, der du nicht aus Fleisch und Blut bist, und den ich nicht einmal sehen kann,« sagte er. »Aber wenn es etwas gibt, mit dem ich dir dienen kann, so sage, was es ist, und ich will es tun.«

»Ich möchte gar so gerne das kleine Stückchen Papier haben, das Ihr in dem Kästchen habt,« sagte Lasse.

»Wenn es sonst nichts ist!« sagte der Herzog, »wenn ich dir mit so wenig helfen kann, so geht es wohl an, denn die Worte kann ich, glaube ich, nun auswendig,« sagte er.

Lasse dankte und sagte, der Herzog möge das Papier auf den Stuhl vor seinem Bett legen, wenn er schlafen gehe, dann wolle er es in der Nacht schon holen.

Der Herzog tat so, und dann gingen er und die Prinzessin ins Bett und schliefen.

Aber als es gegen Morgen ging, da wachte der Herzog auf und fror, dass ihm die Zähne klapperten, und wie er die Augen richtig aufbekam, da war er ganz nackt und hatte nicht einen Faden mehr am Leibe, und statt des schönen Bettes und des schönen Schlafgemachs und des prächtigen Schlosses lag er auf der großen Kiste in der alten Hütte. Gleich rief er:

»Lasse, mein Knecht!«

Aber er bekam keine Antwort. Da rief er noch einmal:

»Lasse, mein Knecht!«

Aber auch diesmal bekam er keine Antwort. Da schrie er, so laut er konnte:

»Lasse, mein Knecht!«

Aber auch das war vergebens.

Nun fing er an zu begreifen, wie das zuging, und dass Lasse, als er das Papier bekam, des Dienstes ledig wurde, und nun hatte er selber dazu geholfen. Aber nun war es, wie es war, und da stand der Herzog in der alten Hütte ganz nackt. Aber die Prinzessin war auch nicht viel besser dran, obgleich sie ihre Kleider behalten hatte, denn die hatte sie von ihrem Vater, und Lasse hatte keine Macht darüber.

Nun musste der Herzog der Prinzessin das alles auseinandersetzen und sie bitten, von ihm zu gehen, er würde wohl allein am besten zurechtkommen, sagte er. Aber sie wollte nicht. Sie erinnere sich besser an das, was der Pfarrer gesagt hätte, als er sie einsegnete, dass sie niemals, niemals von ihm gehen sollte, sagte sie.

Schließlich wachte auch der König auf seinem Schloss auf, und als er aus dem Fenster schaute, da sah er nicht ein Stäubchen mehr von dem anderen Schloss, wo seine Tochter und sein Schwiegersohn wohnten. Da wurde er unruhig und rief nach seinen Hofherren.

Die kamen herein und verbeugten und krümmten sich.

»Seht ihr das Schloss da drüben hinter dem Wald?« fragte er.

Die streckten die Hälse und machten große Augen.

Aber sie sahen nichts.

»Wo ist das hingekommen?« sagte der König.

Das wussten sie erst recht nicht.

Nun stand es nicht lange an, so machte sich der König mit seinem ganzen Hof auf, ging durch den Wald, und als er an die Stelle kam, wo das Schloss mit dem großen Garten stehen sollte, da sah er nichts anderes als Heidekraut und Wacholder und Kiefernbüsche. Aber er erblickte die kleine Hütte, die da zwischen den Büschen stand. Da ging er hinein, und, ach, der Arme! Was bekam er da zu sehen! Da stand sein Schwiegersohn ganz nackt, und seine Tochter hatte auch nicht allzu viel mehr an, und sie weinte und flennte ganz schrecklich.

»Um Himmels willen! Was ist denn hier los?« sagte der König. Aber er bekam keine Antwort, denn der Herzog hätte lieber sterben wollen, als ihm die Geschichte erklären.

Der König redete gewaltig auf ihn ein, im Guten und im Bösen, aber er war immer gleich widerborstig und ließ alles an sich ablaufen. Da wurde der König wütend, was wohl niemand wundern wird, denn nun merkte er, dass dieser feine Herzog nicht der war, der er sein sollte, und darum befahl er, man solle ihn aufhängen, und zwar auf der Stelle. Wohl bat die Prinzessin so herzlich für ihn, aber nun half kein Bitten und Weinen, denn ein Schuft war er, und wie ein Schuft sollte er sterben – meinte der König.

Und so ging es auch. Die Leute richteten einen Galgen auf und legten dem Herzog eine Schlinge um den Hals. Aber als sie den Galgen zurüsteten, erwischte die Prinzessin den Henker und gab ihm und seinen Burschen ein Trinkgeld, damit sie es so einrichten sollten, dass der Herzog nicht sterben brauche. Und gegen Abend sollten sie ihn abschneiden, und dann werde er und die Prinzessin sich davon machen. So wurde es ausgemacht. Inzwischen zogen sie ihn hinauf, und dann ging der König mit seinem Hofstaat und der ganzen Volksmenge fort.

Nun war es Matthäi am Letzten mit dem Herzog. Aber er hatte auch gut Zeit, um nachzudenken, wie übel er getan hatte, dass er nicht mit den Brocken angefangen, sondern sich gleich in den vollen Brotkorb gesetzt hatte; und dass er gar so dumm gewesen war und Lasse den Papierfetzen wiedergegeben hatte, das ärgerte ihn noch am allermeisten. Wenn ich nur den zurückhätte, so sollten alle Leute sehen, dass ich durch Schaden klug geworden bin, dachte er bei sich. Aber wenn die Kuh hineingefallen ist, deckt man den Brunnen zu! Ja ja, so so! Und er baumelte mit den Beinen, denn etwas anderes konnte er zurzeit nicht anfangen.

Das war ein böser Tag für ihn, und er war nicht betrübt, als er merkte, dass die Sonne hinter den Wald hinuntersank. Aber gerade bei Sonnenuntergang hörte er auf einmal ein erschreckliches Hoiho! Und als er hinunterschaute, kamen da sieben Wagen voll zerrissene Schuhe, und zu oberst auf der letzten Fuhre saß ein kleiner Alter in grauen Kleidern und mit einer Zipfelmütze auf dem Kopf. Ein Gesicht hatte er wie das gräulichste Gespenst, und sonst war er auch nicht viel schöner.

Er fuhr geradewegs auf den Galgen zu, und als er darunter war, hielt er und schaute zu dem Herzog hinauf, und dann lachte er – der abscheuliche Alte.

»So dumm bist du gewesen?« sagte er, »aber was sollte so ein Kerl mit seiner Dummheit anfangen, wenn er sie nicht benützen wollte« – und da lachte er wieder. »Ja, dort hängst du nun, und hier fahre ich mit allen den Schuhen, die ich für dein dummes Zeug zerrissen habe. Es wundert mich nur, ob du lesen kannst, was auf dem Fetzen da steht, und ob du ihn kennst,« sagte er und lachte wieder und machte wüste Faxen und fuhr dem Herzog mit dem Fetzen unter die Nase.

Aber es sind nicht alle tot, die am Galgen hängen, und diesmal war doch Lasse der Dümmere.

Der Herzog packte zu und riss ihm den Fetzen aus der Hand.

»Lasse, mein Knecht!«

»Was befiehlt der Herr?«

»Nun schneide mich vom Galgen herunter und richte das Schloss und alles wieder her, genau, wie es war, und wenn es Nacht wird, so führe die Prinzessin wieder her.«

Es ging unheimlich schnell, und bald war alles wieder genau, wie es war, ehe sich Lasse davonmachte.

Als der König am andern Morgen aufwachte, schaute er zum Fenster hinaus, wie gewöhnlich, und da stand das Schloss wieder, und die Wetterfahnen glänzten wunderschön im Sonnenschein. Er rief nach seinen Hofherren, und die kamen herein und machten Komplimente und Kratzfüße.

»Seht ihr das Schloss dort?« sagte der König.

Sie streckten die Hälse so lang sie konnten und glotzten und stierten.

Ja, ja, sie sähen es schon.

Da schickte der König nach der Prinzessin, aber sie war nicht da. Nun ging der König, um zu schauen, ob der Schwiegersohn an seinem Ort hinge, aber da war weder Schwiegersohn noch Galgen zu sehen.

Da musste er die Krone absetzen und sich am Kopf kratzen. Aber es wurde deswegen nicht anders, und wie es so richtig zusammenhing, das konnte er wahrhaftig nicht begreifen. Schließlich machte er sich mit seinem ganzen Hofstaat auf den Weg, und als er an die Stelle kam, wo das Schloss stehen sollte, da stand es auch. Die Gärten und die Rosen waren ganz wie sonst, und die Leute des Herzogs waren scharenweise überall unter den Bäumen zu sehen. Der Schwiegersohn selber und seine Tochter kamen ihm in den feinsten Kleidern auf der Treppe entgegen.

Das geht mit dem Teufel zu, dachte der König, und er wagte kaum seinen Augen zu trauen, so kurios kam ihm das vor.

»Grüß Gott und willkommen, Vater,« sagte der Herzog. Der König starrte ihn nur so an. »Bist du mein Schwiegersohn, du?« fragte er. »Ja freilich,« sagte der Herzog, »wer soll ich denn sonst sein?« »Hab ich dich nicht gestern wie einen Dieb und Landstreicher hängen lassen?« sagte der König.

»Nun glaube ich wirklich, der Vater ist unterwegs irrgeworden,« sagte der Herzog und lachte. »Glaubt Vater denn, dass ich mich so ruhig hängen ließe? – Oder ist hier jemand, der das zu glauben wagt?« sagte er und richtete die Augen fest auf die Leute, dass sie genau merkten, dass er sie anschaute.

Sie krümmten sich und machten Komplimente und Kratzfüße.

Wer könnte auch so etwas glauben? Wäre das denn möglich? »Oder ist hier einer, der zu sagen wagt, dass der König mir übelwill, der soll es sagen,« sagte der Herzog und schaute sie noch schärfer an als das erste Mal. Sie krümmten sich und machten Komplimente und Kratzfüße.

Wie könnte auch einer auf so etwas kommen? Nein, so dumm sei keiner von ihnen, sagten sie.

Nun wusste der König wirklich nicht, was er glauben sollte. Denn wenn er den Herzog anschaute, so glaubte er, dass er ihm nie in seinem Leben hätte Übles tun können, aber ganz sicher war er seiner Sache nicht.

»Bin ich denn nicht gestern hierher gekommen, und war da nicht das ganze Schloss weg und statt dessen eine alte Hütte da, und war ich denn nicht in der Hütte und bist du denn nicht ganz nackt gerade vor meinen Augen gestanden?« fragte er.

»Was der Vater nicht alles sagt!« sagte der Herzog. »Ich glaube, ich glaube, Trolle haben euch das Gesicht verwirrt und euch im Walde irrgeführt – oder was dünkt euch?« sagte er und wandte sich zu dem Hofstaat.

Die verbeugten sich und katzbuckelten gleich fünfzehn Mal hintereinander und hielten es allesamt mit dem Herzog, das war ja doch selbstverständlich.

Der König rieb sich die Augen und schaute sich um.

»Es muss wohl so sein, wie du sagst,« sagte er zum Herzog, »und ich glaube, ich bin jetzt wieder zu Verstand gekommen und habe wieder meine Augen im Kopf. Denn es wäre doch Sünde und Schande gewesen, wenn ich dich hätte aufhängen lassen,« sagte er, und da wurde er wieder froh und niemand dachte mehr an die Sache.

Aber durch Schaden wird man klug, sagen die Leute, und der Herzog fing nun an das meiste selber zu schaffen und zu besorgen, sodass Lasse nicht viel Schuhe zu zerreißen hatte. Der König gab ihm gleich das halbe Reich, und er hatte viel Arbeit damit, und die Leute sagten, einen solch guten Regenten könne man weit und breit suchen.

Da kam Lasse eines Tages zum Herzog, und er sah nicht viel schöner aus als beim ersten Mal, aber nun war er manierlicher und traute sich nicht zu grinsen und zu feixen.

»Nun braucht Ihr meine Hilfe nicht länger,« sagte er, »denn, wenn ich früher Schuhe zerrissen habe, so kann ich nun nicht einmal ein einziges Paar auftragen und glaube fast, dass an meinen Beinen Moos wächst; da könnte ich wohl meinen Laufpass bekommen,« sagte er.

Der Herzog war der gleichen Meinung. »Ich habe mich sehr bemüht, dich zu schonen, und ich glaube wirklich, ich kann dich entbehren,« sagte er. »Aber das Schloss hier und alle die anderen Sachen, die kann ich nicht entbehren, denn einen solchen Baumeister wie dich kann ich nie mehr bekommen, und dass ich nicht noch einmal den Galgen schmücken möchte, das kannst du wohl begreifen, also das Papier hergeben, das tu ich nicht mit freiem Willen,« sagte er.

»Solange Ihr es habt, ist keine Gefahr für mich,« sagte Lasse. »Aber wenn nun das Papier in fremde Hände kommt, so darf ich wieder anfangen zu rennen und zu schaffen, und das, ja, das möchte ich eben nicht. Denn wenn einer tausend Jahre lang so geschafft hat wie ich, so wird er schließlich müde,« sagte er.

Wie sie so verhandelten, kamen sie überein, dass der Herzog das Papier in das Kästchen legen und sieben Ellen unter die Erde graben solle, unter einen Stein, der da gewachsen war und auch da bleiben würde. Dann dankten sie einander für die gute Gesellschaft und trennten sich. Der Herzog tat nach dem Übereinkommen, und keinen Menschen ließ er es sehen. Er lebte glücklich und vergnügt zusammen mit der Prinzessin und bekam Söhne und Töchter. Als der König starb, erbte er das ganze Reich, und, ihr könnt euch denken, er stand sich nicht schlechter dabei, und dort lebt und regiert er wohl noch, wenn er nicht gestorben ist.

Aber das Kästchen mit dem Papier darin, nach dem graben und suchen viele.

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