Der Widder mit dem goldenen Vlies

Märchen aus Serbien

Es war einmal ein Jäger, Als dieser einmal ins Gebirge auf die Jagd ging, erschien ein Widder mit goldenem Vlies vor ihm. Als der Jäger ihn bemerkte, legte er seine Flinte an: aber der Widder kam ihm zuvor, sprang dicht vor ihn hin und setzte ihm mit seinen Hörnern zu. Der Jäger war auf der Stelle tot. Als seine Freunde ihn später fanden, wusste niemand, wer ihn getötet hatte, und so brachten sie ihn nach Hause und bestatteten ihn. Danach hängte die Frau des Jägers vor Schmerz dessen Flinte an den Nagel.
Als ihr Sohn herangewachsen und schon kräftig war, begehrte er jene Flinte, um mit ihr auf die Jagd zu gehen. Seine Mutter aber wollte sie ihm nicht geben, sondern sprach: »Auf keinen Fall, mein Sohn! Dein Vater ist mit dieser Flinte ums Leben gekommen. Willst du, dass sie auch dich den Kopf kostet? «
Eines Tages nahm er heimlich die Flinte und ging auf die Jagd. Im Wald trat jener Widder mit dem goldenen Vlies vor ihn hin und sprach:
»Deinen Vater habe ich getötet, und auch dich werde ich töten. «
Da erschrak der Bursche und sagte:
»Hilfe! O Gott!« Und er legte an und tötete den Widder. Nun freute er sich, den Widder mit dem goldenen Vlies getötet zu haben. Dergleichen gab es im ganzen Zarenreich nicht wieder. Er zog ihm das Vlies ab und trug es nach Hause. Es dauerte nicht lange, da wurde dies auch dem Zaren bekannt, und der Zar befahl, man möge das Vlies zu ihm bringen, auf dass er sehe, was für Tiere in seinem Reich leben. Als jener Bursche das Vlies zum Zaren brachte und es diesem zeigte, sprach der Zar zu ihm:
»Verlange, was du willst für dieses Fell, ich will es dir geben. «
Und er antwortete ihm: »Ich werde es um keinen Preis verkaufen. «
Der Oheim dieses Burschen war einer der Ratgeber des Zaren, und dieser war seinem Neffen nicht freund, sondern wollte ihm nur Böses. Daher sprach er zum Zaren:
»Wenn er dir dieses Vlies nicht geben will, so trachte danach, ihm das Genick zu brechen. Heiße ihn tun, was unmöglich ist. « Und so belehrte er den Zaren. Schließlich rief dieser den Burschen zu sich und sagte zu ihm, er möge einen Weingarten pflanzen und ihm in sieben Tagen neuen Wein daraus bringen. Als der Bursche dies hörte, fing er an zu weinen und zu bitten, denn er könne das nicht tun, und so etwas gibt es überhaupt nicht. Doch der Zar blieb dabei und wiederholte:
»Wenn du innerhalb von sieben Tagen das nicht fertigbringst, so wirst du deinen Kopf einbüßen. «
Danach ging der Bursche weinend nach Hause und erzählte seiner Mutter, wie und was war. Aber die Mutter sagte zu ihm, nachdem sie ihn angehört hatte:
»Habe ich dir nicht gesagt, dass jene Flinte dich, genau wie auch deinen Vater, den Kopf kosten wird.
« Weinend überlegte er, was er tun und wohin er gehen soll, damit er von dieser Welt verschwinde. So verließ er das Dorf und entfernte sich ziemlich weit. Auf einmal trat ein Mädchen vor ihn hin und fragte ihn:
»Warum weinst du, Bruder? «
Er aber entgegnete erzürnt:
»Geh zum Teufel, wenn du mir nicht helfen kannst«, und ging weiter. Aber das Mädchen folgte ihm und bat ihn, ihr doch zu sagen, worum es gehe. »Es könnte sein«, sagte sie, »dass ich dir helfen kann. « Da blieb er stehen und sprach zu ihr:
»Ich werde es dir sagen, obgleich mir nur Gott helfen kann und sonst niemand. « Und er erzählte ihr alles, was ihm widerfahren und was ihn der Zar geheißen. Als sie dies hörte, sprach sie zu ihm:
»Fürchte dich nicht, Bruder! Geh hin zum Zaren und erkundige dich, an welcher Stelle der Weingarten stehen soll. Er möge dir das Feld abstecken. Nimm einen Strauch Basilienkraut in deinen Ranzen und gehe an jenen Ort und lege dich nieder und schlafe. In sieben Tagen wirst du reife Weintrauben haben. « Daraufhin kehrte er nach Hause und erzählte seiner Mutter, dass er ein Mädchen getroffen habe und was sie ihm gesagt hatte. Als die Mutter dies hörte, sprach sie zu ihm:
»Los, geh hin und sieh zu; denn um dich ist es sowieso geschehen. « Dann ging er zum Zaren und erkundigte sich, wo er den Weingarten anlegen soll, und man möge ihm das Feld abstecken und die einzelnen Reihen. Der Zar ließ alles ausführen, wie er es forderte. Der Bursche aber nahm den Ranzen, legte einen Strauch Basilienkraut hinein und ließ sich vergnügt nieder und schlief. Als er sich am nächsten Morgen erhob, war der Weingarten gepflanzt. Am anderen Morgen war er belaubt, und am siebenten Tage waren die Weintrauben reif, und das zu einer Zeit, da es nirgends Weintrauben gab. Er pflückte Trauben, quetschte sie aus und brachte dem Zaren den Most und in einem Tuch Weintrauben. Als der Zar dies sah, war er sehr erstaunt und mit ihm alle im Schloss. Dann sprach der Oheim jenes Burschen zum Zaren:
»Nunmehr wollen wir ihn etwas anderes heißen, was er wahrhaftig nicht vollbringen wird. «
Und er belehrte den Zaren. Dieser ließ den Burschen rufen und sprach zu ihm:
»Aus Elfenbein sollst du mir ein Schloss erbauen. «
Als er das hörte, ging er weinend nach Hause und erzählte es seiner Mutter. Er sprach zu ihr:
»Dergleichen kann es weder geben noch kann ich es ausführen. « Die Mutter indes entgegnete ihm: »Geh, mein Sohn, wiederum außerhalb des Dorfes. Vielleicht führt dich Gott wieder zu jenem Mädchen. « Er verließ das Dorf, und als er wieder an jene Stelle kam, wo er dem Mädchen begegnet war, trat es erneut vor ihn hin und sprach:
»Wieder bist du so traurig und verweint, Bruder. « Und er klagte ihr sein Leid und was ihm nunmehr befohlen wurde. Als sie ihn gehört hatte, sagte sie:
»Auch das wird leicht sein. Geh hin zum Zaren und verlange ein Schiff, das mit dreihundert Scheffel Wein und dreihundert Scheffel Schnaps beladen ist; dazu noch zwanzig Zimmerlüfte. So du mit dem Schiff an jene und jene Stelle gelangt bist, dort zwischen den zwei Felsblöcken, dämme das Wasser ein, das dort ist, und schütte allen Wein und Schnaps hinein. Die Elefanten werden dorthin zur Tränke kommen, und sie werden betrunken umfallen. Die Zimmerleute mögen ihnen alle Zähne absägen und an jenen Ort tragen, wo der Zar das Schloss errichtet haben will. Lege dich inzwischen hin und schlafe, und in sieben Tagen wird das Schloss fertig sein. «
Danach kehrte er nach Hause und erzählte seiner Mutter, dass er wieder das Mädchen getroffen und was sie ihm gesagt hatte. Hernach begab er sich zum Zaren, verlangte alles, was er brauchte, und tat, wie ihm das Mädchen geraten. Die Elefanten kamen, betranken sich und fielen um. Die Zimmerlüfte sägten ihnen die Zähne ab und brachten sie an jene Stelle, wo das Schloss zu errichten war. Am Abend gab er einen Strauch Basilienkraut in seinen Ranzen und legte sich schlafen. Nach sieben Tagen war das Schloss fertig. Als der Zar das fertige Schloss erblickte, geriet er in Staunen und sprach zum Oheim jenes Burschen, seinem Ratgeber: »Was sollen wir ihm antun? Das ist kein Mensch! Gott weiß, -was er ist. « Und dieser antwortete ihm:
»Noch eins sollst du ihm befehlen, und wenn er auch das vollführt, dann ist er wahrhaftig etwas Höheres als ein Mensch. « Auf diese Weise überredete er abermals den Zaren. Dieser ließ den Burschen rufen und sagte zu ihm:
»Nunmehr sollst du mir noch die Zarentochter aus jenem und jenem Reich und aus jener und jener Stadt bringen. Gelingt es dir nicht, so wirst du deinen Kopf einbüßen. «
Als der Bursche dies hörte, ging er zu seiner Mutter und erzählte ihr, was ihm der Zar befohlen hat. Sie aber sprach zu ihm: »Gehe und suche abermals jenes Mädchen; vielleicht fügt es Gott, und sie rettet dich erneut. «
Er verließ das Dorf und begegnete jenem Mädchen. Er erzählte ihr, was ihm diesmal befohlen wurde. Als das Mädchen dies gehört hatte, sprach sie zu ihm:
»Verlange eine Galeere vom Zaren. Darin mögen zwanzig Geschäfte sein und in jedem Laden Waren besonderer Art: in einem bessere als im anderen. Verlange von ihm, man möge die schönsten Burschen auswählen, diese recht nett kleiden und als Verkäufer einstellen, in jeden Laden einen. Sodann wirst du mit dieser Galeere losziehen und zuerst einem Menschen begegnen, der einen lebenden Adler trägt. Frag ihn, ob er ihn verkauft, und er wird dir sagen: >Ja. < Gib ihm, was immer er auch verlangt. Sodann wirst du einem anderen begegnen, der einen Hecht im Kahn mitführt, mit lauter goldenen Schuppen. Kaufe auch ihn, einerlei, was er kostet. Und einem dritten wirst du begegnen. Dieser trägt eine lebende Taube. Bezahle auch für diese Taube, was man verlangt. Dem Adler wirst du eine Feder aus dem Schwanz herausreißen, vom Hecht eine Schuppe nehmen und der Taube vom linken Flügel eine Feder. Danach sollst du sie alle drei wieder freilassen.
So du in das andere Zarenreich und vor die Tore jener Stadt gelangst, öffne alle Läden und befehle, jeder Bursche möge sich vor seinen Laden hinstellen. Alle Bürger werden kommen und deine Ware betrachten. Sie werden sich wundern und werden staunen. Die Mädchen, die nach Wasser kommen, werden in der Stadt erzählen: >Seit die Stadt besteht, war noch nie eine solche Galeere hier, und niemals noch gab es dergleichen Ware. < Das wird auch der Zarentochter zu Ohren kommen. Sie wird ihren Vater bitten, er möge ihr gewähren, all dies zu sehen. So sie mit ihren Freundinnen die Galeere betritt, führe sie von einem Laden in den anderen, bringe allerlei Ware vor sie hin, eine schöner als die andere, und vergnüge sie so lange, bis es anfängt dunkel zu werden. Sobald die Dämmerung hereingebrochen ist, setze die Galeere in Bewegung. In diesem Augenblick wird sich eine Finsternis herablassen, und man wird nichts mehr sehen. Die Zarentochter wird einen Vogel auf der Schulter tragen, der sie immer begleitet. Sobald sie sieht, dass sich das Schiff in Bewegung gesetzt hat, wird sie jenen Vogel von ihrer Schulter freigeben, auf dass dieser im Schloss berichte, wie und was geschehen ist. Stecke sodann die Adlerfeder in Brand, und der Adler wird sogleich erscheinen. Sage ihm, er soll jenen Vogel einfangen, und der Adler wird dies tun. Danach wird die Zarentochter einen kleinen Stein ins Wasser werfen, und die Galeere wird sogleich stehenbleiben. Nimm die Schuppe vom Hecht und zünde sie an. Der Hecht wird auf der Stelle erscheinen. Sage ihm, er soll das Steinchen suchen und verschlucken. Der Hecht wird es finden und verschlucken. Danach kann die Galeere weiterziehen. Sodann werdet ihr lange Zeit ungestört reisen und schließlich zwischen zwei Felsen gelangen. Dort wird die Galeere versteinern, und ihr werdet eine große Angst durchstehen. Die Zarentochter wird Quellwasser von dir verlangen. Brenne sodann die Taubenfeder an, und die Taube wird sogleich erscheinen. Gib ihr ein Gläschen, und sie wird Quellwasser bringen. Danach wird sich die Galeere gleich wieder in Bewegung setzen, und du wirst mit der Zarentochter glücklich nach Hause kommen. «
Nachdem der Bursche das Mädchen gehört hatte, ging er nach Hause und erzählte alles seiner Mutter. Sodann trat er vor den Zaren hin und begehrte alles, was er brauchte. Der Zar konnte es ihm nicht abschlagen, sondern gab es ihm. So setzte er sich mit der Galeere in Bewegung. Indem er so fuhr, verlief unterwegs alles ganz genau so, wie er es von dem Mädchen erfahren hatte. Schließlich gelangte er in den Hafen jener Stadt im anderen Zarenreich. Auch hier kam alles so, wie es kommen musste. So erwarb erwarb er die Zarentochter und kehrte glücklich mm ihr nach Hause. Der Zar und seine Ratgeber erblickten vom Fenster des Zarenschlosses aus in der Ferne die Galeere, die sich immer mehr und mehr näherte. Da sprach jener Ratgeber zu dem Zaren:
»Laß ihn töten, sobald er die Galeere verlässt. Auf andere Art kannst du dich seiner nicht entledigen. «
Als die Galeere am Ufer angelegt hatte, verließen alle der Reihe nach das Schiff: zuerst die Zarentochter mit ihren Freundinnen, dann die Burschen und schließlich er. Der Zar aber hatte einen Henker aufgestellt, der, sobald jener aus der Galeere kroch, ihm den Kopf abschlagen sollte. Der Zar gedachte nämlich, sich selbst die Zarentochter zur Frau zu nehmen. Daher sprang er hinzu, als diese aus der Galeere heraustrat, und begann sie zu liebkosen. Sie aber wandte sich von ihm ab und sprach:
»Wo ist jener, der sich um mich bemüht hat? « Und da sie sah, dass ihm der Kopf abgeschlagen war, nahm sie das Gläschen mit Lebenswasser, übergoss den Rumpf und drückte ihm den Kopf auf. So begann er zu leben wie ehedem. Als der Zar und dessen Ratgeber dies sahen, sprach der Ratgeber zum Zaren:
»Nunmehr wird er noch mehr vermögen als ehedem, denn er war tot und ist nun wieder lebendig. «
Der Zar wollte nun wissen, ob man wahrhaftig mehr weiß und kann, so man von neuem zu leben beginnt. Daher befahl er, man möge ihm den Kopf abschneiden, auf dass ihn die Zarentochter hernach mit Lebenswasser wieder erwecke. Nachdem man dem Zaren den Kopf abgeschlagen hatte, wollte aber die Zarentochter von ihm nichts mehr wissen. Sie schrieb ihrem Vater einen Brief und teilte ihm alles mit, wie es war. Auch bat sie ihn um seine Einwilligung, auf dass sie die Frau jenes Burschen werde. Der Vater antwortete ihr, das Volk möge jenen Helden zuerst als seinen Zaren anerkennen. Will es das nicht, so werde er mit seinem Heere gegen die Rebellen zu Felde ziehen. Das Volk sah ein, dass es so recht war, und bot ihm an, die Zarentochter zur Frau zu nehmen und zu herrschen. Da heiratete jener Bursche die Zarentochter und wurde Zar. Die übrigen Burschen aber, die mit ihm ausgezogen waren, heirateten jene Mädchen, die Gefährtinnen der Zarentochter, und gehörten zum Gefolge des Zaren.