Die heilige Dora

Spanisches Märchen - Galizien

Es war einmal ein König, der spazierte durch eine Straße seines Reiches und kam an dem Haus vorbei, in dem die heilige Dora mit ihren zwei Schwestern zusammen lebte. Die standen alle drei im Hauseingang, um den König vorbeigehen zu sehen. Die älteste sagte zu ihm, wenn er sie zur Frau nähme, würde sie ihm ein Gewand ohne Naht machen. Die mittlere sagte, wenn er sie nehmen wollte, würde sie ihm ein Hemd ohne einen einzigen Nadelstich machen. Aber er ging weiter, ohne ihnen Beachtung zu schenken. Nur auf die heilige Dora hörte er, als sie sagte, wenn er sie heiratete, würde sie ihm zwei Kinder schenken, beide mit einem goldenen Stern auf der Stirn. Der König dachte bei sich, es müsse sehr schön sein, zwei Kinder mit goldenen Sternen zu haben, und er ging hin und bat um ihre Hand.

Sie heirateten mit viel Gepränge, und dann nahm er die drei Schwestern mit in seinen Palast. Und kurz nachdem er geheiratet hatte, musste er weit fort, in den Krieg.

Wie die heilige Dora gesagt hatte, brachte sie einen Jungen und ein Mädchen zur Welt, beide mit einem goldenen Stern auf der Stirn. Aber da die Schwestern sie sehr beneideten, nahmen sie die Kinder, legten ihnen Binden um die Stirn, um die Sterne zu verdecken, und warfen sie eingeschlossen in einen Kasten in den Fluss, worauf sie dem König mitteilten, sie habe zwei schwarze Katzen zur Welt gebracht.

Als der König den Brief der Schwägerinnen erhielt, kam ihn die Lust an, seine Frau töten zu lassen, aber er meinte, der Tod sei eine zu geringe Strafe, und so ließ er sie lebendig einmauern, um sie verhungern zu lassen. Doch sie starb nicht, denn die Muttergottes schickte ihr Brot und Wasser, damit sie am Leben blieb.

Der Kasten, in dem die Kinder waren, trieb den Fluss hinunter, bis er in einem Mühlgraben landete und ihn verstopfte, so dass das Mühlrad stehenblieb. Der Müller kam heraus, um zu sehen, was los sei, und als er den Kasten sah, dachte er, der sei voll Geld, und lief schnell, um ihn herauszufischen. Er rief seine Frau, die sollte ihm beim Aufmachen helfen, und da fanden sie die zwei Kinder. Sie standen eine Zeitlang verdutzt da und sahen einander an, weil sie nicht wussten, was sie mit den beiden anfangen sollten, denn sie waren arm und hatten schon einen Sohn. Aber am Ende beschlossen sie, sie bei sich zu behalten.

Der Müller hatte sich nicht geirrt, als er glaubte, der Kasten stecke voller Geld, denn von dem Tag an, da er die Kinder im Haus hatte, ging sein Geschärt immer besser, und er war auf dem besten Wege, ein reicher Mann zu werden.

Die Kinder tummelten sich überall herum und waren sehr klug. Die Müllers Leute schickten sie zusammen mit dem eigenen Sohn in die Schule, und sie waren so klug, dass der Lehrer ihnen nach kurzer Zeit nichts mehr beizubringen wusste. Der Sohn des Müllers aber war dumm wie ein Esel und lernte nichts, und deshalb war er sehr wütend auf die anderen und beschimpfte sie und nannte sie »Findelkinder«. Eines Tages fragten die Kinder den Müller, warum der Bruder — sie dachten, sie seien alle Geschwister — sie immer »Findelkinder« nenne. Da erzählte der Müller ihnen alles. Als sie erfuhren, dass der Müller nicht ihr Vater sei, wollten sie in die Welt hinausziehen, und obwohl der Müller sie nicht ziehen lassen wollte, baten sie so hartnäckig darum, dass keine andere Wahl mehr blieb, als sie gehen zu lassen. Aber vorher gaben sie ihnen noch Verpflegung mit auf den Weg und sieben Taler, denn mehr Geld wollten sie nicht.

Sie zogen los, bis sie an eine Stelle kamen, wo sie einen toten Mann auf der Straße liegen sahen, und sie fragten, warum man ihn nicht begrabe. Man antwortete ihnen, weil er nichts hinterlassen habe, als er gestorben sei, und weil niemand ihm die Beerdigung bezahlen wolle. Sie fragten, wieviel die Beerdigung kosten würde, und man sagte ihnen, sieben Taler, und da sie gerade so viel bei sich hatten, bezahlten sie die Beerdigung und gingen ihres Weges.

Sie gelangten zum Palaste des Königs und legten dort einen Garten an, der herrlich anzusehen war, mit so vielen Blumen und so vielen Pflanzen, dass alle Leute sich wunderten. Alle Welt fragte sich, woher wohl diese Kinder kämen, und alle gingen hin, um den Garten zu sehen wegen der Wunderdinge, die darin standen. Und man sprach so viel von dem Garten, dass auch die Tanten der Kinder dorthin gingen. Als sie ankamen, erkannten sie ihren Neffen und ihre Nichte sofort, und es war ihnen, als sähen sie Traumgespenster, denn sie dachten, die beiden wären ertrunken. Sie erkannten sie wieder, weil sie noch die Binden um den Kopf trugen, die sie ihnen umgebunden hatten und die niemand imstande gewesen war abzunehmen.

Sie kehrten zum Palast zurück und begannen nachzudenken, was der König wohl tun würde, wenn er den Garten der Kinder zu sehen bekäme und sie erkannte. Und da die Kinder immer berühmter wurden, ließen sie den König nie allein gehen, um zu verhindern, dass jemand ihm davon erzählte. Schließlich fragten sie eine Hexe um Rat, was zu tun sei, um die beiden von dort fortzubringen. Sie gab zur Antwort, wenn man es ihr gut bezahle, werde sie es schon übernehmen, das Hindernis aus dem Weg zu räumen.

Die Hexe ging nun jeden Tag in den Garten. Sie lobte die Dinge, die darin standen, und sagte den Kindern, dass noch etwas darin fehle. »Und was ist das? « — »Eine schöne Musik.« — »Wo gibt es die? « — »Im Schloss Geh-und-komm-nie-mehr-wieder.« Da begannen die zwei Geschwister zu beraten, wie sie die Musik herschaffen sollten, und sie kamen überein, der Junge solle sie suchen gehen, und als Zeichen hinterließ er der Schwester ein Brot, das sich in Blut verwandeln würde, wenn ihm etwas Schlimmes widerführe.

Er machte sich auf die Suche nach dem Schloss, und auf dem Weg dahin erschien ihm die Gestalt des Mannes, den sie hatten begraben lassen, der sagte zu ihm: »Hör, im Schloss wirst du drei Musikinstrumente finden: eines, das sehr gut spielt, ein anderes, das nur mittelmäßig spielt, und ein drittes, das nur traurige Musik von sich gibt, so dass man es nicht hören mag. Nimm dir das mit der traurigen Musik, denn wenn du das nimmst, das besser spielt, gehen die Tore des Schlosses zu, und du bleibst darin eingeschlossen. «

Der Junge ging zum Schloss, sah die drei Instrumente und tat, wie der Mann ihm gesagt hatte: er nahm das Instrument mit der traurigen Musik, und als er zum Garten zurückkam, waren alle Leute erstaunt, als sie hörten, wie schön es spielte. Die Hexe war fuchsteufelswild, als sie sah, dass der Junge nicht im Schloss gefangen geblieben war, aber sie machte gute Miene zum bösen Spiel und sagte zu ihm: »Siehst du, wie schön die Musik ist! Aber nun fehlt noch etwas hier im Garten. « — »Und was fehlt denn noch?« — »Ein kostbarer Brunnen.« — »Wo gibt es denn? « — »Im Schloss Geh-und-komm-nie-mehr-wieder.« — »Dann will ich ihn holen. «

Auf dem Weg traf er den Mann von damals, der sagte zu ihm: »Du wirst drei Brunnen im Schloss finden, einen, der ganz klares Wasser gibt, einen anderen, der etwas schmutzigeres, und noch einen, der ganz schmutziges gibt. Wähle das Wasser des Brunnens, der das schmutzigste hat, sonst gehen die Tore des Schlosses zu, und du bleibst darin gefangen. « Der Junge tat wieder, wie der Mann ihm gesagt hatte, und wählte das Wasser des trübsten Brunnens. Aber als er es in den Garten brachte, bildete sich ein kostbarer Brunnen, der alle zum Staunen brachte, die ihn sahen.

Als die Hexe wiederkam und sah, dass der Junge wieder heil davongekommen war, wusste sie nicht, was sie denken sollte. Sie machte wie immer gute Miene zum bösen Spiel und sagte zu ihm: »Hör, es fehlt noch etwas, damit der Garten vollkommen ist. « — »Was fehlt denn? « — »Der Vogel, der alles sprechen kann.« — »Und wo ist der?« — »In demselben Schloss Geh-und-komm-nie-mehr-wieder.«

Da ging der Junge wieder zum Schloss Geh-und-komm-nie-mehr-wieder, und auf dem Weg traf er auf den Mann von früher, der zu ihm sagte: »Im Schloss Geh-und-komm-nie-mehr-wieder wirst du drei Vögel finden, einen, der sehr viel spricht, einen anderen, der ein wenig spricht, und noch einen, der aussieht, als sei er sehr krank, und wehmütig seinen Schnabel unter einem Flügel versteckt. Nimm du den Weh¬mutsvogel, denn wenn du einen von den anderen nimmst, werden die Tore des Schlosses zugehen, und du musst für immer drinnen bleiben. «

Doch der Junge befolgte den Rat des Mannes nicht, denn er hatte Angst, der kranke Vogel könne ihm unterwegs sterben, so schlecht schien er daran zu sein. Er nahm also den, der am meisten sprach. Aber kaum hatte er ihn berührt, da fiel er wie tot hin, und die Tore des Schlosses schlugen zu.

Die Schwester, die den ganzen langen Tag das Brot im Auge behielt, sah, wie es sich in Blut verwandelte, und wusste gleich, dass ihrem Bruder etwas Schlimmes zustieß, und sofort machte sie sich auf den Weg, um ihm zu Hilfe zu eilen. Unterwegs begegnete sie dem Mann, der auch den Bruder angesprochen hatte, und der sagte zu ihr: »Ich bin der Mann, den ihr habt begraben lassen, dafür schulde ich euch Dank. Deinem Bruder habe ich gesagt, was er tun sollte, aber da er meinen Rat ausgeschlagen hat, blieb er im Schloss gefangen. Du brauchst aber keine Angst zu haben, denn es wird alles wieder gut werden, wenn du auf mich hörst. Hör, wenn du ins Schloss kommst, wirst du drei Vögel sehen, einen, der viel spricht, einen, der nur etwas spricht, und noch einen, der den Schnabel unter einem Flügel verbirgt, als ob er krank wäre. Nimm diesen letzteren, aber hör gut zu, wie du es anstellen musst: Du wirst dort drei Männer sehen, die wie tot sind, zwei am Eingang und einen dritten etwas weiter hinten, das ist dein Bruder. Schöpfe Wasser aus dem schmutzigsten Brunnen, den du dort siehst, pack den Vogel mit der Hand, sprenge deinem Bruder einige Tropfen ins Gesicht, dann wird er wieder zu sich kommen, und ihr sucht schnell das Weite, denn die Tore des Schlosses werden zuschlagen.«

Sie tat alles, was der Mann ihr gesagt hatte, und selbst so wären sie beinahe eingeschlossen worden, denn die Tore schlugen zu, als sie gerade hinausgingen, und quetschten noch das Wams des Bruders ein. Aber sie schnitt das Stück mit einer Schere ab, die sie bei sich hatte, und sie kamen davon.

Der Vogel, den sie mitnahmen, war das größte Wunder der Welt, denn es gab nichts, was er nicht sagen konnte, und ei hatte eine Antwort auf alles, was man ihn auch fragte.

Alle Welt sprach so viel von dem wundersamen Vogel und den anderen Wunderdingen im Garten, dass es dem König zu Ohren kam und dieser ihn auch sehen wollte. Er ging umher und sah sich alles an, und als er bei dem Vogel ankam, wollte der nichts mehr sagen und steckte den Schnabel unter einen Flügel. Da fragte der König ihn, warum er das tue, und er antwortete ihm: »Weil du immer noch in der Täuschung lebst und deiner Frau Unrecht tust. « Und er erzählte ihm alles, was geschehen war, und sagte ihm, um das Recht wiederherzustellen, müsse er verbrennen, was er bisher am liebsten gehabt habe.

Der König wollte den Kindern die Binden abnehmen, um zu sehen, ob sie die Sterne trugen, aber es gelang ihm nicht. Da sagte ihm der Vogel, er solle die Königin holen lassen, denn sie sei die einzige, die es tun könne. »Ach«, sagte der König, »die Arme wird tot sein. « »Nein«, antwortete der Vogel, »die Königin ist eine Heilige und lebt. «

Als der König das hörte, war er außer sich vor Freude, und er ließ sofort nach ihr schicken, und sie nahm den Kindern, die an dem Tag zehn Jahre alt wurden, die Binden ab. Die Königin wollte, dass der König ihren Schwestern vergebe, die er so lieb gehabt hatte. Aber er antwortete, dass alle Strafen zu gering seien für das, was sie getan hätten, und so ließ er sie verbrennen, wie der Vogel es ihm gesagt hatte.