Der Sohn der Königstochter

Märchen aus Mazedonien

Es war einmal ein König, der hatte eine wunderschöne Tochter, die er viel mehr liebte als seine Gemahlin. So kam es, dass er seine Gemahlin wie einen Dienstboten, die Tochter aber wie seine Frau behandelte. Die Gemahlin des Königs weinte immer bitterlich, dass sie gemeine Arbeiten wie ein Dienstbote verrichten und in der Küche schlafen musste. Nun traf es sich einmal, dass ein Wanderer des Weges einherkam, die weinende Königin sah und sie anredete: »Gnädige Frau, was fehlt Euch, dass Ihr so bitterlich weint? « Sie klagte ihm offen und frei ihr ganzes Leid und er gab ihr folgenden Rat: »Gnädige Frau, verfügt Euch am Karfreitag auf den Friedhof, grabt dort ein Grab auf, nehmt ein Totenbein, schabt das Bein ab und gebt das Abgeschabte am nächsten Morgen Eurer Tochter in den Kaffee und sie wird augenblicklich in gesegnete Umstände kommen.« Die Königin befolgte genau des Wanderers Worte, und wirklich, die Tochter wurde schwanger. Nach einigen Monaten merkten wohl die Leute des Fräuleins gesegnete Umstände und munkelten, der König sei der Vater des Kindes. Der König schämte sich nicht wenig, dass sich ein solches Gerücht unter den Leuten verbreitete und ließ auf einem Schiff am Meer ein kleines Häuschen erbauen, das auf dem Meer schwimmen konnte.
Als dieses Häuschen fertig war, sagte er zu seiner Tochter: »Komm, wir wollen uns ein Weilchen ergehen. « Sie folgte ihm, und als sie ans Meer kamen, fiel der Tochter das Häuschen auf, und sie rief aus: »Sieh, welch ein niedliches Häuschen auf dem Meer schwimmt! Komm, wir wollen hineingehen. « Das war dem Vater ganz recht. Kaum befanden sie sich auf dem Schiff, so stieß er sie in das Häuschen, warf ihr noch nötige Speisen hinein und sperrte sie ein. Dann kehrte er heim; wo er aber ging und stand, weinte er und grämte sich um die Tochter.
Die Tochter konnte sich auch nicht trösten und war stets traurig. Nachdem sie längere Zeit in ihrem Häuschen auf dem Meer herumgeirrt war, gebar sie einen ganz buntgefleckten Knaben, der, kaum aus dem Mutterleib draußen, herumzulaufen anfing. Sie war nun wieder sehr traurig, weil sie für ihren Sohn keinen Paten hatte. Der Knabe aber sagte zu ihr, als er sie fortwährend so niedergeschlagen sah: »Lieb Mütterchen, ich brauche keinen Paten; ich habe genug Paten an diesen Flecken am ganzen Körper. « Sprach die Mutter: »Auch gut, wenn nur dir's recht ist. «
Nachdem sie lange Zeit auf dem Meere geschifft, bekamen sie Land in Sicht. Der Knabe sah zum Fenster hinaus und erblickte jemand, der in weiter Ferne in einer Kutsche fuhr. »Mütterchen! « Rief er aus, »schau mal, es fahren Leute auf einem Wagen einen Hühnerschlag! « - »Das ist ja kein Hühnerschlag«, erwiderte die Mutter, »sondern eine Kutsche, in welcher der König den Mähern das Essen bringt. « Da versetzte der Knabe: »Gut, wenn's Speisen sind, so schlüpf ich durchs Fenster hinaus und nehm sie ihm weg«, und die Mutter entgegnete ihm: »Wie willst du es wagen hinauszuspringen? Siehst du denn nicht, dass wir uns auf dem Meer befinden? « - »Das macht nichts, ich springe doch hinaus. « - »Wenn du kannst, versuch dein Glück. « Mit einem Satz sprang er ans Ufer, zog das Schiff ans Land, lief der Kutsche nach, war im Nu bei ihr, raffte alle Speisen aus der Kutsche zusammen und kehrte zum Schiff ans Gestade zurück. Nachdem sie wieder eine Weile auf dem Meer gefahren, erblickte der Knabe ein großes Schloss und sprach zur Mutter: »Schau, Mutter, dort die ungeheuer große Hühnersteige. « - »Das ist, mein Kind, keine Hühnersteige«, antwortete sie, »sondern ein verwunschenes Schloss mit zwölf Zimmern, und in jedem Zimmer ist ein Teufel. « Sprach der Knabe: »Mütterchen, ich gehe hin, vertreibe die Teufel und wir bewohnen dann das Schloss selbst. « Da erwiderte die Mutter: »Was fällt dir ein? Wie willst du die Teufel vertreiben, das könnte ja nicht einmal ein ganzes Regiment Soldaten zustandebringen. « -»Ich geh dennoch hin und vertreibe sie von dort«, entgegnete der Knabe, sprang ans Ufer und zog das Schiff ans Land. Nicht weit davon fand er einen zehn Zentner schweren Knüttel aus Blei, den hob er auf und ging in das Schloss. Als er an die erste Tür gekommen, pochte er an, und der Teufel ließ sich von drinnen vernehmen: »Wer da? «
Der Knabe erzählte ihm, wer er sei, doch der Teufel wollte ihm keinen Einlass gewähren. Da ergrimmte der Knabe, schlug mit seinem Bleiknüttel auf die Tür los, dass sie in Stücke zerfiel, und fand den Teufel damit beschäftigt, das Zimmer auszukehren. Er züchtigte ihn und schickte ihn ans Gestade zur Mutter, nachdem er ihm eingeschärft, sich beileibe nicht an ihr zu vergreifen. Ebenso machte er's auch vor den andern zehn Türen. Als er an der zwölften Türe anklopfte, meldete sich von drinnen der Teufel: »Wer da? « Da antwortete der Knabe: »Ich bin der und der. « Doch der Teufel entgegnete: »Ich kann dir nicht öffnen, denn ich bin mit einer Kette festgeschmiedet. «
Da schlug der Knabe mit seiner Keule die Türe durch, dass das ganze Schloss erdröhnte und der Teufel voll Entsetzen mit dem äußersten Aufgebot seiner Kraft die Fesseln sprengte, mit welchen er festgeschmiedet war. Nun schickte er auch diesen zwölften Teufel zur Mutter. Hierauf begab er sich selbst dorthin und sagte: »Jetzt schwört mir, dass ihr nimmermehr in dieses Schloss wiederkommen wollt! « und alle Teufel schworen hoch und heilig, nimmermehr wiederzukommen, nur einer nahm Reißaus und suchte zu entfliehen. Da schleuderte ihm der Knabe die Keule nach, traf ihn in die Schultern, so dass der Teufel auf der Stelle verendete. Er befahl nun den Teufeln, den Leichnam ins Meer zu werfen. Die Teufel packten ihren toten Kameraden, warfen ihn ins Meer und kehrten nie wieder ins Schloss zurück. Jetzt ging der Knabe mit seiner Mutter ins Schloss, um dort zu wohnen. Sie fanden dort Geld und Schätze im Überfluss, nur nichts zu essen. Da sie Hunger bekamen, sagte die Mutter zum Sohn: »Geh auf den Marktplatz und kaufe Brot und Fleisch. «
Der Knabe begab sich mit einem großen Tuch und seiner Bleikeule auf den Markt und sagte dort zu den Weibern: »Füllt mir das Tuch mit Brot und bindet mir's zu! « Die Weiber füllten sogleich das Tuch mit Brot und banden es zu; der Knabe warf es sich auf die Schulter und ging weiter. Verblüfft sahen ihm im ersten Augenblick die Höke-rinnen nach, dann erhoben sie aber ein furchtbares Geschrei: »Willst du uns denn nicht zahlen? « - »So kommt her«, rief er ihnen zu, »ich zahl euch mit diesem Bleikol¬ben heim! « Keine getraute sich, ihm nachzugehen, und er ging mit dem Brot auf den Schultern zu einem Fleischer und fragte ihn: »Hast du Fleisch vorrätig? « Antwortete der Fleischer: »Eben hab ich einen Ochsen geschlachtet. « Ohne weiteres griff der Knabe nach dem Ochsen, warf sich ihn auf die andere Schulter und trat den Heimweg an. Da rief ihm der Fleischer nach: »Heda! Willst du mir nicht zahlen? « Der Knabe rief zurück: »Komm nur her, ich zahle dir mit diesem Bleikolben heim«, und der Fleischer wagte es nicht, ihm nachzugehen. Der Knabe kam nach Hause und überbrachte seiner Mutter den ganzen Ochsen und das Tuch voll Brot. Da sprach die Mutter: »Du bringst ja das ganze Geld zurück, warum hast du nicht gleich bezahlt? « Antwortete der Knabe: »Du hast mir nur gesagt, ich solle Brot und Fleisch nach Haus bringen, von Zahlen hast du nicht gesprochen. «
Nachdem sie den ganzen Vorrat verzehrt hatten, schickte ihn die Mutter wieder in die Stadt, und er machte es wieder, wie das erste Mal. Die Leute waren über diese Raubzüge sehr erbittert und gingen zum König ihn zu verklagen. Der König ließ nun ein großes Gerüst erbauen, um von dort aus den Knaben zu beobachten, wenn er den Raub wieder fortträgt. Als die Mutter ihren Sohn zum dritten Mal auf den Markt einkaufen schickte, raffte er wieder alles zusammen, so wie das erste- und zweite Mal und bezahlte keinen Heller. Auf dem Rückweg zu seiner Mutter musste er an dem König vorüber. Der rief ihn zu sich, klopfte ihm auf die Schulter und sprach: »Komm morgen zu mir zum Essen. « - »Gut, ich komme«, antwortete der Knabe. Zu Hause erzählte er seiner Mutter: »Ein Wildschwein hat mich zum Essen eingeladen. « Antwortete die Mutter: »O weh, warum hast du zu Kommen zugesagt; sie werden dich ja umbringen lassen! « - »O Mutter«, beruhigte er sie, »fürchte dich nicht um mich, ich bewältige sie alle. «
Am nächsten Tag nahm er einen großen Korb und begab sich in die königliche Burg. Dort angelangt, stellte er den Korb vor die Tür und schärfte den Leuten ein, denselben um keinen Preis anzurühren. Die Herrschaften insgesamt standen bei seinem Eintritt auf. Da wurde die Suppe aufgetragen und der Knabe forderte die Herren auf, sie mögen jeder einen Löffel voll Suppe aus seinem Teller nehmen. Sie taten's, worauf er allen die Suppe austrank, sich über alle aufgetragenen Speisen hermachte und alles wegputzte. Ebenso trank er allein den ganzen Wein aus. Im ersten Augenblick war man darüber vor Erstaunen ganz verblüfft. Dann aber ließen die Herren an allen Türen Wächter aufstellen und ein ganzes Regiment Soldaten in die Burg kommen. Nachdem sich der Knabe satt gegessen hatte, ging er hinaus, holte seinen Korb und füllte ihn mit dem Rest der Speisen, um sie seiner Mutter nach Haus zu bringen. Wie er aber hinaustrat, fingen die Soldaten an, auf ihn zu schießen.
Die Kugeln prallten von ihm ab und er rief aus: »Hört doch auf, mich anzuspucken, denn, fang ich zu spucken an, ist's um euch gar bald getan. « Doch die Soldaten stellten das Schießen nicht ein. Darüber wurde er böse, las die Kugeln auf und erschlug mit ihnen alle Soldaten. Zum Schluss holte er mit seinem Bleikolben aus und schlug mit einem Schlag die halbe Burg in Trümmer. Der König entsetzte sich, ließ ihn vor sich rufen und sprach zu ihm: »Schau, was für einen großen Schaden du mir angerichtet hast, die Soldaten hast du mir getötet und die Burg in einen Schutthaufen verwandelt. « Der Knabe antwortete ihm: »Warum mussten mich die Soldaten anspucken? Ich habe mich dafür gerächt. « - »Hast du eine Mutter und ist sie schön? « Der Knabe: »Freilich habe ich eine Mutter, aber die ist noch hässlicher als ich. « Und der König versetzte: »So bring sie morgen zu mir her. « Der Junge ging nach Haus und brachte am nächsten Tag seine Mutter vor den König. Als der König sah, dass sie gar so schön sei, heiratete er sie auf der Stelle und ließ ein großes Fest veranstalten. Nach der Festlichkeit sagte der Knabe zum König, dessen Stiefsohn er nun war: »Komm mit mir, wir wollen uns eine Weile ergehen. « Der König ging mit ihm und als sie in einen großen Wald kamen, fanden sie in einem hohlen Baum eine Menge verrosteter Säbel. Sprach der Sohn zum Vater: »Such dir einen Säbel aus. « Der Vater suchte sich einen passenden aus und fragte: »Was soll ich denn mit diesem Säbel anfangen? « Antwortete der Sohn: »Schlage mir den Kopf ab! « Das wollte der König nicht, doch der Sohn sagte: »Wenn du's nicht gleich mir tust, tu ich's dir! « Da holte der König aus und streifte mit dem Säbel dem Sohn leicht über den Kopf. Im selben Augenblick verwandelte sich der buntgefleckte Knabe in einen wunderschönen Jüngling von blendend weißer Farbe. Sie kehrten nun heim und der Vater erzählte der Mutter, was vorgefallen. Anfangs wollte sie's gar nicht glauben, dass der schmucke Jüngling ihr Sohn sei. Der Vater gewann den Sohn gar sehr lieb, ließ ein großes Fest veranstalten, zu welchem er alle die Herren einlud, die auch bei der ersten Mahlzeit zugegen gewesen und erzählte ihnen die ganze Geschichte.
Bei diesem Gastmahl war ich auch zugegen, trank aus einem roten Becher roten Wein und hörte die Geschichte mit an.