Zigeunerland Nirgendwo

Ein Romamärchen aus Ungarn

Es war einmal ein mächtiger König im Zigeunerland Nirgendwo. Aber dieser Zigeunerkönig war nicht nur gar mächtig, er hatte auch eine Frau, die war die Schönste im ganzen Land. Aber nicht nur im ganzen Land; nicht auf dieser Welt und nicht im Paradies gab es eine so schöne Frau.
Da brachte die wunderschöne Frau Königin eine Tochter zur Welt, aber zwei Tage nach der Geburt wurde die Königin von einem bösen Fieber hinweggerafft. Auf ihrem Totenbett, kurz bevor sie starb, trug sie dem König auf, nur dann wieder zu heiraten, wenn er eine ebenso schöne Frau fand wie sie.
Als die sechs Trauerjahre um waren, machte sich der König auf und durchforschte das ganze Land und auch die Nachbarländer, aber er kam ohne Frau zurück, denn nirgends hatte er ein so schönes Mädchen gefunden, wie es seine so herrliche Frau Königin gewesen war.
Inzwischen wuchs und wuchs die Prinzessin heran, und zählte schon sechzehn Jahre. Der Vater schaute und schaute sie an und sagte bei sich: Blind soll ich werden, wenn das Mädchen nicht so schön wird, wie ihre Mutter es war! Und so kam es auch.
Die Prinzessin war, wie ich schon sagte, sechzehn Jahre alt, da holte ihr Vater die Fotografie hervor, die er machen ließ, als er seine arme, wunderschöne Braut heiratete. Und während er das Bild betrachtete, sagte er zu der Tochter: »Du, Tochter! Deine Mutter hat auf dem Totenbett, es war ihr letzter Wille, gesagt, ich darf nur eine Frau heiraten, die so schön ist wie sie. Also schau her auf dieses Bild. Nicht auf dieser und nicht auf jener Welt gibt es ein Mädchen so schön wie du. Also sollst du meine Frau werden. «
Das Mädchen weinte bitterlich, weil es aber dem Vater nicht widersprechen konnte, lief es auf den Friedhof hinaus und beschwor die Mutter mit den Worten:
Mütterchen, steh auf!
Mütterchen, steh auf!
Da antwortete die Mutter aus ihrem Grabe:
Ich steh' nicht auf, Tochter.
Meine Beine sind steif.
Meine Arme sind matt.
Sonst hatte die Mutter nichts gesagt, und das arme Mädchen war ratlos wie zuvor. Aber der liebe Deloro, unser Herr Christus Jesus, half ihr. Denn als die Prinzessin nach Hause kam, war ihr Vater nicht da. Er war auf die Jagd gegangen. Was tat das Mädchen? Es machte sich fertig und dann ging's hinaus, hinaus in die weite Welt!
Das Mädchen ging und ging und ruhte nicht eher, bis es das Schloss des Königs im Nachbarland erreichte. Dort verdingte sich die Königstochter als Dienstmagd. Und weil sie so schön war, teilte man sie zum Dienst beim Sohn des Königs ein. Dem gefiel sie gar sehr, und er fragte sie schön höflich, woher sie komme und wessen Tochter sie sei. Das Mädchen sagte es ihm. Das genügte dem Prinzen, und er bestimmte gleich den Tag, an dem er die schöne Tochter des Zigeunerkönigs heiraten wollte. Ja, aber großer Dewla im Himmel, was geschah da! Inzwischen war der Zigeunerkönig von der Jagd zurückgekommen und hatte vergebens nach der Tochter gerufen. Aber er wurde nicht wütend, denn er war ein gar schlauer, spitzfindiger Mann. Er schnallte sein lebendiges Schwert vom Gürtel und befahl ihm, die Prinzessin zu suchen und, wenn es sie fände, sie zu schwängern, ihr die Arme abzutrennen und diese nach Hause zu bringen.
So geschah es auch. Das Schwert machte sich auf die Suche, und als es das Mädchen gefunden hatte, trennte es ihm beide Arme am Ellenbogen ab und schaffte sie nach Hause. Der König ließ den Pfarrer holen und befahl ihm, ihn mit den beiden Armen des Mädchens zu trauen. Aber unser Herr Deloro hatte sich das Schicksal der unglücklichen Zigeunerprinzessin zu Herzen genommen, und als der König in die Kirche kam und zum Gekreuzigten aufschaute, brach er sogleich leblos zusammen. Das war das traurige Ende des Königs vom Zigeunerland Nirgendwo.
Das Mädchen bereitete sich inzwischen für die Hochzeit mit dem Prinzen vom Nachbarland vor. Sie ließ sich ein Brautkleid machen, welches verdeckte, dass ihr beide Unterarme fehlten. Inzwischen wuchs ihr aber auch schon ein Kind im Bauche. Also saß sie beim Hochzeitsmahl so am Tisch, das man nicht sehen konnte, was sie zu viel und was sie zu wenig hatte.
Sie aß nichts, die Unglückliche, und wie hätte sie auch essen können? Umsonst setzte man ihr die feinsten Sachen vor, nicht einmal das Paprikahuhn rührte sie an, und das aß sie doch fürs Leben gern. Schon begannen die vielen zu Gast geladenen Könige zu flüstern, wie ungeheuer schön sie sei, nur schade, dass sie nichts esse und auch nur stumm dasitze. Als dann zum Tanz aufgespielt wurde, baten die königlichen Gäste die traurige Braut, mit ihnen zu tanzen. Denn sie gefiel allen in ihrer himmlischen Schönheit. Auch ihr junger Gatte forderte sie auf, und als sie sich weigerte, riss er sie einfach von ihrem Sessel und führte sie zum Tanz. Da kam nun alles heraus. Umsonst schwor die Prinzessin, sie sei unschuldig, Ihr Mann rief Diener herbei und ließ die Ärmste in den Schweinestall werfen. Also hört zu, wie es weiter kam. Der gütige Deloro schaute vom Himmel in den Schweinestall des Königs und ließ Sankt Peter rufen.
»Komm rasch, mein Sohn«, sagte er, »siehst du das kleine Romakind, mit dem seine Mutter in den Wehen liegt? Sei sein Pate, mein Sohn. «
Inzwischen war die Zeit der schönen Prinzessin gekommen, und sie gebar einen Sohn. Gerade war Sankt Peter in der Stalltür erschienen.
Artig grüßte er die junge Mutter, dann sagte er: »Nimm das Kind auf und gib ihm zu trinken. «
»O weh, wie soll ich das Kind aufnehmen, lieber Herr«, antwortete die Prinzessin, »wo mir doch beide Arme vom Ellenbogen an fehlen! «
»Nimm es nur auf, mein Kind, wenn ich es sage. « Die Prinzessin gehorchte. Also, groß ist Deloro, beide Arme waren ihr vom Ellenbogen an wieder gewachsen. Sankt Peter gab dem Kind auch ein Kleid und übersäte es mit Diamanten. So um vier Uhr kamen die Diener, um die Gebeine der Prinzessin zu sammeln, denn sie dachten, die Schweine hätten sie schon in Stücke gerissen. Da stand aber der Stall in Flammen. Er hatte von den vielen Diamanten Feuer gefangen. Und heraus kamen aus dem brennenden Stall Sankt Peter und die junge Mutter mit dem Kleinen. Ihnen konnte das Feuer nichts anhaben.
Da rannten die Diener zum Prinzen, ihm zu melden, was sie gesehen hatten. Der Prinz stürzte zum Stall und bat und bettelte, er habe es nicht gewusst, und war ganz verzweifelt.
Aber die schöne Prinzessin ließ ihn reden und ging weiter. Da gab ihr Sankt Peter eine Kutsche mit sechs Pferden, darin fuhr sie mit ihrem Kind nach Hause. Nicht ein einziges Mal schaute sie zurück.