Kaiser Karl und Hildebold

Aus: Aachens Sagen und Legenden gesammelt von Dr. Joseph Müller, Aachen 1858 

Als Bürger der Stadt Aachen möchte ich mir erlauben, auch die Sagen und Legenden von Karl dem Großen hier zu veröffentlichen, in denen vom Heilen die Rede ist. Natürlich sind das keine Märchen. Alle Märchenfreunde mögen es mir nachsehen.

Pektrudis, die Mutter Karls, lebte hochbetagt zu Köln am Rhein. Der Kaiser saß zu Aachen vergnügt in seinem Palast, als er die Nachricht erhielt, seine Mutter sei krank. Sogleich ließ er die Pferde satteln und ritt nur von Eginhard begleitet, beide in einfacher Waidmannstracht noch in derselben Nacht gen Köln.
Ehe noch der Morgen graute, drang plötzlich ein Glöcklein zu ihren Ohren, das zur Frühmesse rief. Die Reisenden lenkten ihre Rosse dorthin, banden sie an nahestehende Lindenbäume, traten in das Kirchlein und hörten andächtig die hl. Messe.
Nach derselben legte Karl zwölf Goldgulden auf den Altar und wollte sich entfernen, da redete ihn der Geistliche, der dies gesehen hatte, also an: „Herr Jägersmann, das ist des Geldes zu viel, mehr als das Kirchlein braucht, doch unser Messbuch hier hat keinen Einband mehr, ihr würdet uns daher zu Dank verpflichten, wenn ihr uns einmal ein Reh- oder Hirschfell dazu schenken wolltet.“ „Das wollen wir uns merken!“ sprach Karl zu Eginhard, sie bestiegen dann wieder ihre Rosse und gelangten bald nach Köln, wo er seine Mutter noch am Leben fand, die aber in wenigen Tagen starb. Mit Trauer im Herzen kehrte der Kaiser nach Aachen zurück.
Nach Jahresfrist musste er wieder nach Köln, denn der Erzbischof war gestorben und das Domstift und der Rath der Stadt waren in großem Zwiespalt über die Wahl eines neuen Bischofs. Sie baten den Kaiser, die Wahl in die Hand zu nehmen, und beide Parteien erklärten, dass derjenige ihnen als Bischof angenehm sein würde, den er als den würdigsten bezeichnen werde.
Da gedachte Karl des bescheidenen Mönches, der um ein Rehfell zum Einbande des Messbuches gebeten hatte. Weil er Demut und Bescheidenheit für die höchsten Tugenden eines Geistlichen hielt, so erachtete er ihn statt eines Rehfelles des Purpurs, ja Goldenen Vlieses wert und berief ihn als Bischof nach Köln. Hildebold führte noch lange zum Heil der Gläubigen im Rheinland voll Würde und Hoheit Ring und Stab. Karl selbst zählte ihn nach der Bischofswahl zu feinen vertrautesten Freunden bis zum Tode. Der Ort, wo Karl und Eginhard die Messe hörten und Hildebold kennenlernten, heißt „Königshofen.“