Dumm Hänschen

Märchen aus Syjänien [= Komi: Volk im Nordwesten des Urals]

Es war einmal ein Ehepaar. Sie hatten drei Söhne. Die beiden älteren waren soso, der dritte Knabe aber war schrecklich dumm. Einmal gingen die beiden älteren Söhne auf Verdienst aus, der dumme Knabe jedoch blieb allein beim Vater. Er isst und trinkt und singt bloß! Er legt sich zum Schlafen auf den Ofen; da er zu schnarchen anhebt – erzittert das Haus. Der Vater weckte ihn auf und sagt: »Geh, mein Sohn, auf Verdienst aus!« Aber das Hänschen sagt: »Ich fühle mich auch hier wohl!« Der Alte schimpft, schimpft und tröstet sich schließlich wieder damit, dass er ja doch noch zwei Söhne hat, die ihn - den Greis - ernähren.

Nun, einmal denkt da dumm Hänschen bei sich: »Warte, ich mache mich auf, wohin meine Füße mich tragen, vielleicht geht mir's gut!«, und Hänschen begann den Vater um seinen Segen zu bitten: »Gib mir, Vater, den Segen, ich mache mich auch auf Verdienst auf.« Der Alte verwunderte sich sehr, als er solche Rede von Hänschen vernahm. Er gab ihm den Segen. Dann begann Hänschen, sich für die Reise anzuziehen. Hänschen nahm von seinen Eltern Abschied und wanderte, wohin ihn die Füße leiten.

Er wanderte fürbass einige Zeit und gelangte am Abend zu einem so dichten Wald, dass man daselbst kaum die Augen öffnen konnte. Aber Hänschen kam nicht aus der Fassung! Er ging in den Wald hinein. Aber nur einen Werst [Längenmaß im zaristischen Russland] wanderte er, da begann ihm schon ein sehr schönes, dreistöckiges Haus sichtbar zu werden. Hänschen jedoch erschrak nicht darüber. Er langte bei dem Haus an, um das Haus aber war eine zwei Klafter hohe Umzäunung. Da begann Hänschen um das Haus herumzugehen und er weiß nicht, wie er hineintreten soll. Da öffnete sich plötzlich eine Tür. Hänschen trat in das erste Zimmer: Drinnen ist niemand. Er ging in das Zweite: Darin ist auch niemand. Und er begann zu überlegen: »Wessen Haus ist dies wohl? Es wird doch nicht Räubern gehören!« Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, da öffnete sich plötzlich eine Tür. Da trat er da hinein, und dort war ein sehr alter, einäugiger Greis, ein arger Zauberer. Kaum war er hineingetreten, da begann der Alte zu rufen: »Pfui, pfui, nach einem Russen riecht es hier irgendwo!« Hänschen warf sich vor ihm auf die Knie und sagt: »Friss mich nicht, die Handlosen versehe ich mit Händen, die Fußlosen mit Füßen, die Blinden mit Augen, die Tauben mit Ohren!« Sobald der Alte das hörte, sagte er sofort: »Was du auch von mir nehmen magst, das gebe ich dir, wenn du nur mein Auge heilst! Geld oder Brokat – was du wünschest, das gebe ich dir auch!« Hänschen sagt zu ihm: »Ich nehme keine sehr hohe Bezahlung! Bloß fünfhundert Rubel nehme ich und dazu fünf klafter Teerstrick – kräftig muss er sein –, und zwei Pfund trocknes Zinn habe ich noch nötig.« Der Alte brachte alles, was er verlangte. Dann machte sich Hänschen ans Heilen, nahm und band ihm die Hände und die Füße fest zusammen und sagt: »Reiß dich los, wenn du es vermagst! Wenn du dich loszureißen vermagst, so wird auch dein Auge heil werden.« Der Arme alte strengte sich an und strengte sich an, vermochte jedoch nicht sich loszureißen. Da nahm Hänschen das trockne Zinn und schmolz es. Sowie es geschmolzen war, nahm er es und goss es dem Alten ins Auge. Der Alte begann aus Leibeskräften zu schreien. Aber Hänschen schlief inzwischen auch nicht. Er nahm alles Geld und lief davon; er kam hinaus, aber da gelangt er nicht aus der Umzäunung hinaus: Rings um ihn war es abgesperrt, und nirgendshin konnte er gehen. Der arge Zauberer aber riss sich mittlerweile los, suchte Hänschen im Hause, fand ihn jedoch nicht. Darauf ging er hinaus, um ihn zu suchen. Er begann zu suchen, und Hänschen weiß nicht, wohin er soll. Da gewahrte er eine da hängende Ochsenhaut, die nahm er, wickelte sich in die Ochsenhaut und legte sich neben der Tür nieder. Der Alte begann hinauszugehen, aber der Fuß strauchelte, sodass der Arme alte hinfiel. Da wurde der Alte gar zornig, nahm die Ochsenhaut und warf sie über den Zaun. Aber das hat Hänschen ja gerade nötig: Zusammen mit der Ochsenhaut hat er auch ihn hinübergeworfen. Hänschen hüpfte aus der Ochsenhaut heraus und begab sich auf den Weg. Hänschen langte daheim an, brachte sehr viel Geld mit. Darüber verwunderte sich der ganze Wolost [traditionelle russische Verwaltungseinheit]: »Hänschen hat viel Geld gebracht!« Da begann Hänschen sich eine Braut zu freien, und später verheiratete er sich. Ich trank dort auf der Hochzeit zusammen mit Hänschen viel Branntwein: Den Schnurrbart befeuchtete ich mir, aber in den Mund kam mir kein Tropfen! Und heute noch lebt Hänschen mit seinem Weibe in Wohlstand.