Vater Eisenhammer

Märchen aus Tibet

In einem zerklüfteten Gebirge trieb früher einmal ein dämonischer Tusse sein Unwesen. Jeden Tag vertilgte er zehn Rinder und einen Menschen. Im Laufe der Zeit hatte er fast alle Lete seines Stammes und auch die Herden aufgefressen. Um seinen Hunger zu stillen, musste er nun in die Nachbarländer einbrechen. Bald hatte er aber auch diese Landstriche kahlgefressen. Sein unersättlicher Bauch trieb ihn von einer Siedlung zur anderen.
Ein alter Mann, der in einem tiefen Gebirgstal wohnte, hört* einst von den Gräueltaten des Dämons. Er rief daher seine Stammesbrüder zusammen und riet ihnen, die steinernen Salzschlegel mit eisernen Hämmern zu vertauschen und damit dem dämonischen Tusse entgegenzutreten. Es gelang ihnen tatsächlich, den Tusse auf seinem nächsten Raubzug zurückzutreiben da er überhaupt nicht auf Widerstand gefasst war. An einen Feldzug gegen die »Aufrührer« war auch nicht zu denken, da er nicht einmal mehr über eine Leibgarde verfugte und alle seine Soldaten längst verschlungen hatte.
Der Alte aber genoss die Verehrung und Dankbarkeit aller Über-lebenden. Da niemand seinen eigentlichen Namen kannte, nannten ihn alle >Vater Eisenhammer.
So oft der Tusse versuchte, das Dorf zu überfallen, so oft musste er schwere Hammerschläge hinnehmen und verwundet abziehen. Die Bewohner hielten daher einen Siegesschmaus, ließe: >Vater Eisenhammer< hochleben und baten ihn, doch ein paar Worte zu sagen.
»Noch ist das Unheil nicht gebannt«, fing der Alte an. »Solange er uns jeden Augenblick überfallen kann, sind wir unseres Lebens nicht sicher. Ich will abwarten, bis mir Söhne geboren werden, dann werde ich mich aufmachen und ihn ausräuchern! «
Solche Rede verwunderte alle sehr, weshalb sie fragten. »Du willst allein den Kampf austragen? «
»Aber gewiss«, antwortete der Alte und nickte bestätigend K
dem Kopf, »ganz allein werde ich mich aufmachen!« Die Stammesbrüder wiegten voller Bedenken und Zweifel ihre Häupter, denn sie wussten, dass der Alte immerhin schon fünfundsechzig Jahre auf dem Buckel hatte, und seine Frau im Alter von sechzig Jahren würde wohl auch keine Kinder mehr zur Welt bringen. Und dann durfte man nicht vergessen, dass der Dämon-Tusse über gewaltige Körperkräfte verfugte und dass seine Behausung durch viele schroffe Berge und wilde Wasser geschützt war. Ein jeder Angreifer stand da vor unüberwindlichen Hindernissen.
Aber nicht lange danach schenkte die Frau des Alten zwei strammen Söhnen das Leben.
Zur gleichen Zeit brachte auch seine Stute zwei prächtige Fohlen zur Welt.
»Seht«, sprach der Alte, »welch ein gutes Omen! Zwei Söhne wurden mir geboren, und im Stall stehen zwei Fohlen! Mein Sinnen und Trachten wird Erben finden, daher möchte ich jetzt hinausziehen und mit dem Dämon den Kampfwagen! « Er hieß seine Frau Ziegeltee, geröstetes Gerstenmehl und Salz als Wegzehrung herzurichten. Indessen prüfte er den schweren Eisenhammer.
Die Nachbarn kamen herbei und drangen auf ihn ein, doch von seinem Vorhaben abzulassen.
»Vater Eisenhammer! Handelt nicht unüberlegt. Vergesst nicht, dass dem Dämon-Tusse ein Zauber zu Diensten steht und dass der Kerl vor Kräften strotzt. Dazu ist an seine Behausung kaum heranzukommen! Und allein könnt Ihr bestimmt nichts ausrichten, zumal Ihr doch bald siebzig Jahre alt seid. Lasst Euch die Sache noch einmal durch den Kopf gehen! « »Es ist wirklich nicht der Aufregung wert«, meinte Vater Eisen-hammer.
»Vor einiger Zeit habe ich euch gesagt, sobald mir Söhne geboren werden, ziehe ich hinaus, den Dämon auszuräuchern. Nun wachsen meine Söhne bereits heran, und auch kräftige Pferde stehen im Stall. Jetzt ist die Zeit gekommen, mein Vorhaben wahr zu machen! Sollte ich in diesem Kampf unterliegen, so werden meine Söhne gegen den Dämon-Tusse kämpfen, sobald sie nur groß genug sind! «
Als alle sahen, dass Vater Eisenhammer seinen Sinn nicht wandelte, brachten sie ihm die besten Leckerbissen, Milch, Sahne, Butter. Er lehnte jedoch alle Geschenke ab und machte sich sogleich auf den Weg.
Tagelang wanderte er durch die Gebirgstäler, ohne eine Menschenseele zu treffen. Nur Öde und Leere, gebleichte Knochen von Menschen, Rindern und Pferden, und darüber kreisende Scharen hungriger Raben und Geier. Vater Eisenhammer schien es fast unwahrscheinlich, dass er nach einer Weile neben einer halbverfallenen Lehmhütte auf einen alten Schafhirten stoßen sollte. Erfreut über diese Begegnung in der Einsamkeit, wollten beide des anderen Woher und Wohin erfahren. »Was fuhrt Euch in dieses Tal, Alter? « fragte der Schafhirte. Vater Eisenhammer ließ sich auf einem Stein nieder, wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht, stemmte die Arme in die Hüften und sagte mit fester Stimme: »Seitdem mir zwei Söhne geboren wurden, und ich eine Stute mit zwei starken Fohlen im Stall habe, will ich nicht länger dulden, dass in eurem Gebirge ein menschenfressender Dämon sein Unwesen treibt. Sollte ich im Kampf unterliegen, so habe ich unbeugsame Rächer! « Der Hirte war darüber so erstaunt, dass er sich die Augen rieb, sah er doch vor sich einen schwächlichen und von Wuchs auch gar nicht großen alten Mann.
»Alter«, sagte er kopfschüttelnd, »ich bin der Schafhirte des Dämon-Tusse, und deshalb warne ich Euch vor den Zauberkräften des großen Gebieters. Unter den Schafen, die ich hüten muss, ist ein Riesenwidder so groß wie ein Yak. Wenn der Gebieter erscheint, lässt er nur einen Pfiff ertönen, und schon erhebt sich ein Wirbelwind, der den Riesenwidder packt und dem Gebieter ins Maul trägt, ohne dass dieser auch nur einen Finger dabei krümmt. Willst du gegen ihn in den Kampf ziehen, so versuche zuerst, ob es dir gelingt, mit einem Pfiff die Herde durcheinander zu wirbeln! «
Vater Eisenhammer stellte sich vor ein solches Schaf und pfiff aus Leibeskräften.
Aber als das Schaf nicht einmal mit den Ohren zuckte, riet der Hirte dringend: »Kehrt um, Alter, ehe es zu spät ist! Wenn ihr dem Dämon-Tusse in die Hände fallt, wie wollt ihr dann bestehen? «
»So schnell gebe ich nicht auf«, erwiderte Vater Eisenhammer.
»Seitdem ich zu Hause zwei Söhne weiß, fürchte ich mich vor nichts mehr! «
Damit verabschiedete er sich vom Schafhirten und zog weiter. Nach ein paar Tagen gelangte er an ein Zelt, wo er einen Yakhir¬ten traf. Der erstaunte Yakhirte wollte natürlich gleich wissen, was den einsamen Wanderer in diese verlassene Bergwelt trieb.
Vater Eisenhammer setzte sich auf einen Baumstamm, rieb sich den Schweiß vom Schopf, stemmte die Hände in die Hüften und sagte mit fester Stimme: »Seitdem ich weiß, dass meine zwei Söhne und ihre zwei Fohlen meine Sache fortsetzen werden, will ich nicht länger dulden, dass der Dämon-Tusse in diesem Gebirge sein Unwesen treibt. Daher will ich versuchen, ihn niederzuzwingen! «
Die Augen des Hirten maßen den Alten voller Unglauben und Zweifel.
»Ich muss Euch sagen, Alter, das ich solche Worte noch nie vernommen habe! Lasst Euch vom Yakhirten des Dämon-Tusse warnen. In dieser Herde wächst immer ein Riesenrind von dreitausend Pfund Gewicht heran. Wenn der Gebieter erscheint, winkt er nur mit der Hand, dann packt eine Zauberkraft das Rie¬senrind bei den Vorderbeinen und schleudert es ihm ins Maul, wo es mit zwei, drei Bissen verschlungen wird. Wollt Ihr gegen den Gebieter zu Felde ziehen, dann versucht wenigstens, das Rind einmal anzuheben! «
Kühn ging Vater Eisenhammer zum Riesenrind, das dastand wie ein massiger Berg. Es gelang ihm kaum, eine Fessel der Vorderbeine zu umfassen, geschweige denn den Koloss auch nur etwas anzuheben. Besorgt schüttelte der Yakhirte den Kopf: »Noch ist es Zeit zum Umkehren, Alter! Wenn der Dämon Euch erst gewahrt, gibt es keine Rettung mehr! «
Doch Vater Eisenhammer setzte voll Vertrauen in sein gerechtes Vorhaben den Weg fort.
Nach ein paar Tagen gelangte er wieder an ein Zelt, wo er einen Pferdehirten traf. Als er ihn nach dem Weg fragte, wollte der erstaunte Hirte wissen, warum er sich in diese von allen Menschen gemiedene Gegend wage. Vater Eisenhammer setzte sich auf ein Graspolster, wischte sich den Schweiß vom Gesicht, stemmte die Arme in die Hüften und trug wie früher seine Rede vor. Besorgt um das Wohl des Alten, wollte ihn der Hirte von seinem Vorhaben abbringen.
»Ich bin der Pferdehirte des mächtigen Dämon-Tusse. In meiner Herde wächst immer ein Geisterrappe heran, der acht Klafter hoch springt und auf einem Ritt tausend Meilen bewältigt. Aber der Dämon-Tusse packt den Rappen nur mit zwei Fingern bei der Mähne und wirbelt ihn in der Luft umher. Wenn du das ebenfalls schaffst, dann kannst du mit Vertrauen auf deine Kraft weiterziehen und den Kampf mit dem Dämon-Tusse suchen! «
Unerschrocken ging Vater Eisenhammer auf den Geisterrappen zu, um ihn in die Mähne zu fassen. Doch der Rappe versetzte ihm einen Tritt mit dem Huf, dass er einige Klafter weit flog. Lachend rappelte sich Vater Eisenhammer wieder hoch und sagte: »Sei nur unbesorgt, Bruder Pferdehirt! Den Dämon zu erschlagen und diesem Rappen beizukommen, das ist doch zweierlei. Ich will es dennoch versuchen! « Im Stillen verehrte der Pferdehirt den Mut des Alten, dem er noch die Warnung mit auf den Weg gab: »Wenn du geradeaus gehst, stößt du nicht weit von hier auf die Fußspuren des Dämon-Tusse. Vergleiche dann deinen Fußabdruck mit dem des Tusse und überlege dir die Sache noch einmal! «
Vater Eisenhammer bedankte sich für den gutgemeinten Rat und schritt forsch aus. Bald traf er auf die Fußspuren des Ungeheuers, die eine Elle größer waren als seine eigenen Stiefelsohlen. Aber auch das brachte ihn nicht von seinem Vorhaben ab. Nach einigen Tagen stand er vor dem Haus des Dämon-Tusse. Nur eine alte Dienstmagd war anwesend, die zaghaft fragte: »Wer ist da? Was führt Euch hierher? «
Herausfordernd trug Vater Eisenhammer wieder seine Rede vor: »... und deshalb will ich nicht länger dulden, dass der Tusse auf Menschenjagd geht! «
Als die Magd dies vernahm, dachte sie, dass ein mächtiger Geist erschienen sei, der sie alle erlösen könne. Ehrfurchtsvoll streckte sie daher gleich die Zunge zur Begrüßung heraus und murmelte die Gebetsworte »Om mani padme hum! « Wie enttäuscht war sie jedoch, als sie die Tür öffnete, und ihr gegenüber kein Titan stand, sondern ein kleiner weißhaariger Alter. Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen und fragte erschrocken: »Aber, guter Alter, wie seid Ihr denn hierher geraten? Wollt Ihr wirklich mit dem Tusse kämpfen? «
Vater Eisenhammer vermochte sie kaum zu beruhigen. »Nur gut, dass er nicht zu Hause ist. Ihr werdet ganz unmöglich etwas ausrichten gegen ihn. Nützt die Gelegenheit, und seht zu, dass Ihr so schnell wie möglich wegkommt, bevor es zu spät ist! «
»Nur gemach, liebe Alte«, sprach er und schlug sich mit der
Hand auf die Brust. »An der Seite trage ich eigens den schweren Eisenhammer und hier den Dolch! «
Die Alte verstand, dass Vater Eisenhammer von seinem Vorhaben nicht abzubringen war.
Sie hieß ihn daher einzutreten und wies ihm ein Versteck unter der Lagerstatt des Dämons an. Bis der Hausherr zurückkam, hatte Vater Eisenhammer noch genügend Zeit, sich in der Behausung genau umzusehen.
Als der Abend hereinbrach, kam der Dämon-Tusse auf einem Geisterrappen daher gesprengt. In der Hand hielt er eine trockene Fichte, die ihm als Knüppel diente. Er stolperte in den Raum, warf seine Beute kurzerhand in den Kessel und ließ sich nieder, um sein grausiges Mahl zu halten.
Vater Eisenhammer vermochte seinen Zorn nicht länger zu bezähmen. Mit den Worten: »Wie kann die Erde einen Dämonen tragen, der Menschen verschlingt! « verließ er sein Versteck und sprang, den Eisenhammer schwingend, dem Tusse entgegen. Verwundert schaute sich der Dämon den winzigen Zwerg abpackte ihn und schob ihn gleich in sein großes Maul. Dann schlug er mit seiner Hand erfreut auf die Balken seiner Lagerstatt und sagte zu seiner Magd: »Du solltest mir jeden Tag so eine Nachspeise bescheren! «
Im Heimatdorf wartete die Frau von Vater Eisenhammer vergeblich auf dessen Rückkehr. Sie entsann sich seiner Abschiedsworte und gab sich bei der Erziehung ihrer Söhne alle Mühe. Sie sorgte dafür, dass die Knaben den Körper stählten, Springen, Bogenschießen und den Gebrauch des "Schwertes erlernten. So wuchsen die beiden heran, und mit achtzehn Jahren waren sie die tüchtigsten und besten Krieger weit und breit. Eines Tages fragten die Söhne ihre Mutter verwundert, wie es komme, dass sie nicht wie alle anderen Kinder auch einen Vater hätten.
Besorgt um das Schicksal ihrer Söhne, wollte die Mutter ihnen verheimlichen, was der Vater getan hatte. Da sie fürchtete, die beiden würden sich aufmachen, ihren Vater zu rächen, versuchte sie abzulenken: »Auf der Welt gibt es viele Kinder, die keinen Vater haben, und werden nicht auch sie groß und stark? « Als die Söhne merkten, dass ihnen die Mutter nicht alles sagen wollte, wandten sie sich an die Nachbarn. Aber auch die waren um das Wohl der Söhne besorgt und schwiegen. Da gaben die Söhne erst recht keine Ruhe. Sie gingen zum ältesten und weisesten Mann des Dorfes.
»Ehrwürdiger, Euer Wissen ist so groß, dass Ihr die Geschichte eines jeden Kindes unseres Dorfes kennt, dass Ihr um jeden Stein, jeden Baum und um jeden Grashalm in den Fluren des Dorfes wisst. Wie solltet Ihr nicht wissen, was es mit unserem Vater auf sich hat? «
»Es steht nur den Eltern zu, ihre Kinder darüber zu belehren«, sagte der Weise. »Aber wenn eure Mutter nichts sagen will, dann rate ich euch, wartet morgen an der Tür, bis sie vom Wasserholen zurückkommt. Streckt sie dann die Hand nach dem Riegel aus, so halten sie fest, bis sie euch alles erklärt hat. « Am nächsten Morgen taten die beiden Söhne, wie ihnen der Weise geheißen hatte. Da die Mutter mit allen Kräften verhindern wollte, dass ihre Söhne in das Gebirge zum Kampf gegen den Dämon auszögen, bettelte sie, doch ihre Hand loszulassen. Diesmal aber ließen sich die Söhne nicht beirren. »Erst musst du uns sagen, wo unser Vater geblieben ist, eher geben wir deine Hand nicht frei! « Der Mutter blieb nun nichts anderes übrig, als ihren Söhnen alles Wort für Wort zu erzählen. Unter Tränen sprach sie davon, dass der Vater gewiss vom Dämon gefressen worden sei.
Vom Zorn gepackt entschlossen die Söhne sich sogleich, in das Gebirge zu ziehen, um ihren Vater zu rächen. Sie prüften ihre Schwerter, legten Wegzehrung bereit und bestiegen ihre Pferde. Nach Tagen angestrengten Rittes stießen sie in der Einöde auf den Schafhirten, der ihnen zurief: »Wohin des Weges, ihr Jünglinge? «
»Wir suchen unseren Vater! Ist hier ein kleiner, weißhaariger alter Mann vorbeigekommen? «
»Vor vielen Jahren war einmal einer hier. Aber er ist bis heute nicht zurückgekehrt. Wer weiß, ob er überhaupt noch lebt« »Das war unser Vater! « riefen beide wie aus einem Munde. » Wie unser Vater wollen auch wir nicht länger dulden, dass ein menschenfressender Dämon in diesem Gebirge sein Unwesen treibt! «
Ehrfurchtsvoll streckte der Hirte den Jünglingen zum Gruße die Zunge entgegen.
»So lobenswert eure Absicht ist«, sprach er mahnend, »solltet ihr doch nicht vergessen, dass euer Vater bis heute noch nicht zu>-rückgekehrt ist. Dem Dämon-Tusse stehen nämlich Zauberkräfte zu Diensten. Ihr solltet nur weiterziehen, wenn ihr imstande wäret, den Riesenwidder mit einem Pfiff in die Luft zu heben! «
Von den beiden Brüdern ließ der Erstgeborene dem zweiten gerne den Vortritt. Dieser stemmte die Fäuste in die Hüften, holte tief Luft und ließ seinen Pfiff ertönen. Dabei wurde die Lehmhütte des Hirten vom Wirbelsturm erfasst und bis zum nächsten Berghang geschleudert! Der nächste Pfiff packte den Riesenwidder und wirbelte ihn in den Mund des Jünglings! Beglückt über die Kraft der Jünglinge, weinte der Hirte seiner alten Hütte keine Träne nach. Er gab ihnen ein Säckchen Tsamba und seine besten Wünsche auf den Weg mit. »Zieht weiter, denn die Tat wird euch gelingen! « Beim Yakhirten packten sie das Riesenrind und ließen es dreimal in der Luft kreisen. Beim Pferdehirten packten sie den Geister-rappen an der Mähne und schleuderten ihn zehn Klafter weit weg. Sie nahmen von den Hirten Tsamba und Glückwünsche für das Gelingen ihres Werkes entgegen und zogen rasch weiter.
Am Hause des Dämon-Tusse angelangt, sprangen sie von den Pferden und legten die Zügel um den Kopf der beiden Steinlöwen, die als Wächter vor dem Tor lagen. »He! Macht auf, wenn jemand zu Hause ist! « riefen sie dröhnend. Der Tusse schreckte aus dem Schlaf auf und fragte sich entrüstet, wer sich erdreiste, vor seinem Haus »He« zu rufen! Als er zur Tür hinausschaute, erblickte er zwei kraftstrotzende, schwertbewaffnete Jünglinge, die sich wie Tiger auf ihn stürzen wollten. Der Tusse wollte sich auf keinen Fall mit beiden gleichzeitig auf einen Kampf einlassen. Er empfing sie deshalb mit geheuchelter Freundlichkeit: »Wenn ihr gegen mich kämpfen wollt, dann sollt ihr euch zumindest eine Rast gönnen. Lasst mich erst einmal eure Pferde an die Tränke fuhren! «
Der Erstgeborene dachte gleich, dass der Dämon-Tusse einen Weg zur Flucht suche, daher schickte er den Bruder mit den Pferden zum Fluss. Er selbst folgte dem Tusse in das Haus. Aber als er einen Moment nicht achtsam war, holte der Dämon zum Streich aus. Die Schwerter der beiden prallten aufeinander, dass es weit widerhallte. Beunruhigt wieherten die Pferde am Fluss, so dass der Zweitgeborene sogleich zurückritt, um dem Bruder zu Hilfe zu eilen. Der Kampf wogte einen halben Tag hin und her, aber noch war es den Brüdern nicht gelungen, den Tusse niederzuzwingen. Gerade als die Kräfte erschlaffen wollten, drang eine Stimme aus irgendeiner Wand des Raumes: »Rafft euch auf, Jünglinge, erschlagt den Dämon-Tusse! Rächt euren Vater! « Bei diesen Worten fühlten die Jünglinge Wunderkräfte in sich wachsen. Sie stürzten sich erneut auf den Dämon-Tusse und schlugen so lange auf ihn ein, bis er regungslos am Boden liegenblieb. Mit starken Sehnen, die an der Wand hingen, fesselten sie ihn von Kopf bis Fuß, damit er ihnen nicht entkommen konnte. Der harte Kampf hatte sie hungrig gemacht, so dass sie dringend einer Rast und einer stärkenden Mahlzeit bedurften. Ganz unschlüssig, was sie mit dem gefesselten Dämon-Tusse beginnen sollten, belehrte sie plötzlich wieder die Stimme aus der Wand: »Erschlagt ihn sofort! Sobald seine Lebenskräfte nur ein wenig zurückkehren, wird er sich wieder auf die Menschen stürzen und sie verschlingen! «
Kaum war die Stimme verklungen, als zwei Krähen durch das Fenster geflogen kamen.
»Ihr jungen Helden! « wandten sie sich höflich an die beiden Jünglinge, »ihr müsst wissen, dass der Tusse für uns sorgte. Seiner Güte wegen stehen wir bei ihm in der Schuld. Jetzt, da er sich in eurer Hand befindet, wollen wir ein wenig davon abtragen. Ihr solltet uns erlauben, dass wir zu ihm treten! « Ohne Schlimmes zu befürchten, stimmten die beiden Brüder zu. Die beiden Krähen machten sich an den halbtoten Dämon-Tusse heran und flößten ihm Eisenwasser ein.
Darauf erwachte dieser allmählich aus seiner Betäubung, und seine Kräfte kehrten zurück.
»Oh! « rief wieder die Stimme aus der Wand, diesmal angstvoll und bebend, »seid auf der Hut! Wenn die Krähen den Dämon mit Eisenwasser beleben, dann dürftet ihr ein zweites Mal nicht mehr so leicht zum Siege kommen! «
Erschrocken sprangen die Brüder auf und vertrieben die garstigen Krähen. Sie zogen ihre Schwerter und wollten den Dä¬mon-Tusse töten. Doch glitten ihre Klingen ab, denn das Eisenwasser hatte bereits seine Wirkung getan. Sie versuchten, ihre Schwerter dem Tusse in die Brust zu stoßen. Aber auch hier prallten sie wie an einem Stahlpanzer ab. Sie schlitzten ihm den Bauch auf, und zu ihrem Glück war das Eisenwasser noch nicht bis hierher geflossen. Mit einem Male erschallte ein kräftiges Lachen: »Ha, ha! Habe ich es nicht gleich gewusst, dass ich nicht vergeblich auf diesen Tag warten musste! « Und aus dem Bauch des Dämon-Tusse spazierte Vater Eisenhammer heraus. Tief bewegt lagen sich Vater und Söhne in den Armen. Sie beratschlagten noch, was mit dem Dämon-Tusse zu tun sei, da ertönte wieder die Stimme aus der Wand: »Zerhackt ihn in kleine Stücke und verstreut sie über das Feld! «
Sie befolgten den Rat sofort, doch als sie Stück für Stück auf das Feld warfen, raste ein Wirbelsturm über sie hinweg, und aus dem Gedärm des Dämon-Tusse krochen Schlangen hervor, aus dem Blut stieg giftiger Odem auf, aus dem Fleisch schlüpften Mücken und Bremsen, und die Haare wurden zu Disteln und Dornengestrüpp. Dieses alles erinnert die Menschen noch heute an den Dämon-Tusse von einst.
Die Rückkehr in das Heimatdorf glich einem Triumphzug. Voran ritt Vater Eisenhammer, ihm folgten seine beiden Söhne, daran schlössen sich die alte Hausmagd des Dämon-Tusse, sein Pferdehirt, der Yakhirt und der Schafhirt mit ihren Herden an und viel Volk, von dem die Angst der tödlichen Bedrohung genommen war.
Zu ihrer Begrüßung war das ganze Dorf auf den Beinen, und ein jeder freute sich über die Helden.
»Prächtige Burschen, die beiden Recken! Und Vater Eisenhammer erst! Der ist bis in alle Ewigkeit nicht kleinzukriegen! «