Die alte Frau und der Tod

Ungarisches Volksmärchen

Es war einmal, irgendwo jenseits des großen Meeres und hinter dem gläsernen Berg, eine steinalte Frau, älter noch, als die Gärtner des lieben Herrgotts. Diese alte Frau dachte nie daran, dass sie einmal werde sterben müssen; auch als sie nur noch mümmeln konnte, dachte sie nicht daran. Sie arbeitete nur immerfort und war wie besessen hinter dem Reichtum her. Sie holperte und stolperte herum, scharrte und raffte alles zusammen und hätte dabei am liebsten die ganze Welt verschlungen. Dabei war sie mutterseelenallein, hatte niemanden, kein einziges, noch so winziges Lebewesen, das ihr Gesellschaft leistete und dem sie einmal ihre ganze Habe vererben konnte. Eines Tages jedoch kreidete der Tod auch ihren Namen an, und er ging zu ihr hin, um sie zu holen. Die alte Frau aber wollte sich durchaus nicht von ihrem Reichtum trennen, und sie bat den Tod flehentlich, ihr noch ein bisschen Zeit zu lassen, nur zehn Jahre noch oder fünf oder auch nur ein Jahr, wenn's denn sein musste. Der Tod wollte aber nicht darauf eingehen, sondern er sagte: »Mach dich schnell bereit und dann komm mit! Und wenn du nicht kommst, dann werde ich dich eben gewaltsam holen. «

Doch die alte Frau flehte und bettelte weiter, er möge ihr noch etwas Zeit lassen, wenn auch nicht viel, so doch ein ganz klein wenig. Mit dem Tode war nicht leicht zu reden; am Ende aber setzte die alte Frau es dennoch durch und er sagte: »Nun gut, ich lasse dir noch drei Stunden Zeit. «

»Das ist zu wenig«, sagte die Mümmelgreisin, »hol mich nicht heute, sondern schiebe es bis morgen auf. « »Das geht nicht. «

»Doch, bitte, doch. Es wird schon gehen. « »Nein, es geht nicht. «

»Sei doch nicht so! « »Also, wenn du so sehr darauf bestehst«, sagte der Tod, »meinetwegen.«

»Und ich möchte dich noch bitten ... Dingsda ...ja, schreib draußen an die Tür, dass du morgen kommst... Ich bin dann sicherer, wenn ich's auf die Tür geschrieben sehe. « Der Tod wollte nicht noch mehr Zeit bei der Alten verbringen, stritt also nicht weiter, sondern nahm die Kreide aus der Tasche, schrieb draußen auf den Türstock: »Morgen«, und ging seiner Wege. Am nächsten Tag, gleich in der Frühe, kam der Tod wieder. Die alte Frau lag noch unterm Federbett, und der Tod sprach: »So, da bin ich, komm jetzt mit! « »Das kann nicht sein«, sagte da die Alte, »sieh doch selbst nach, was auf dem Türstock geschrieben steht. « Der Tod blickte hin und sah, dass dort stand: »Morgen«. »Richtig! « sagte er. »Morgen hol ich dich aber bestimmt! « Damit zog er ab.

Der Tod hielt Wort: am folgenden Tag kam er wieder, als die alte Frau sich noch im Bett reckte, doch wieder erreichte er nichts, denn sie zeigte nach der Tür, wo geschrieben stand: »Morgen«. Und so ging das eine Woche lang. Schließlich bekam der Tod den Spaß satt. Am siebenten Tag sagte er zur Alten: »Noch einmal wirst du mich nicht überlisten! Ich brauche die Kreide und nehme sie mit. « Und er wischte die Schrift vom Türstock ab. »Morgen«, sagte er, »da führt kein Weg mehr dran vorbei, morgen komme ich, und du wirst mich begleiten. « Der Tod ging fort. Der alten Frau blieb vor Angst und Schrecken der Mund offen, und sie zitterte wie Pudding, so sehr fürchtete sie sich, denn es war ihr klar, dass sie morgen sterben müsste, ob sie nun wollte oder nicht. Als der Morgen graute, wusste sie sich vor Angst nicht mehr zu lassen; am liebsten hätte sie sich vor dem Tod in eine leere Flasche verkrochen, wenn das nur möglich gewesen wäre. Sie lief hin und her und suchte, wo sie sich verstecken könnte. Da fand sie in der Vorratskammer ein Fass Honig; dahinein setzte sie sich, nur Nase, Augen und Mund sahen aus dem Honig hervor. »Wenn er mich aber auch hier findet? « dachte sie. Ich krieche wohl besser ins Federbett hinein! Sie kletterte also aus dem Honig heraus und kroch ins Federbett zwischen die Federn. Dann hielt sie aber auch das für kein gutes Versteck, drum wollte sie wieder heraus, um einen besseren Platz zu suchen. Und als sie gerade im Herauskriechen war, kam der Tod. Als die Alte den Tod sah, fing sie an, vor lauter Angst schrecklich zu kreischen und hüpfte in ihrem seltsamen Federkleid hin und her, immer auf der Suche nach einer Möglichkeit zu entrinnen, Der Tod aber konnte sich nicht ausdenken, was das für ein Wunderding war, das da einen so furchtbaren Tanz aufführte, und er erschrak dermaßen, dass er das Gruseln bekam und auf und davonlief. Er rannte, was er nur konnte, und macht vielleicht bis zum heutigen Tage einen großen Bogen um die alte Frau.