König Ailps Kinder

Märchen aus England

Es war einmal eine Schlacht unter den gefrorenen Hügeln und den kahlen Bäumen zwischen dem König Ailp und den Druiden. Und als der Kampf vorbei war, lagen der König und all seine Gefolgsleute tot auf der Erde, während die Druiden wilde Triumphgesänge anstimmten und zu seinem Schloss marschierten. Auf der Türschwelle saßen König Ailps Kinder, ein Junge und ein Mädchen, und die Sieger zerrten sie unter lautem Geschrei hervor.
»Das Mädchen-Kind soll bei uns wohnen«, sprachen sie, und eine Druiden-Frau trat vor, berührte die weiße Haut des Kindes, und sofort wurde sie grün wie Gras. Aber sie konnten sich nicht einig werden, was sie mit König Ailps Sohn anfangen sollten. Der Knabe riss sich los und sprang rasch wie ein Rehbock davon. Er erreichte auf seiner Flucht jenes Gebirge, das Beinn ghloine oder die Hügel aus Glas genannt wird. Aber als er dort schlief, holten ihn die Druiden ein und sprachen einen Fluch über seinen jungen Leib hin. Da verwandelte sich der Knabe in einen Windhund. Er behielt aber die menschliche Sprache.
Die Druiden nahmen den Hund auf ihr Schloss mit, und dort musste die gefangene Prinzessin sich um das Tier kümmern, weil sie sich weigerte, unter dem Frauenvolk zu leben und deren Lehren anzunehmen, so dass die Weiber der Druiden froh waren, sie loszuwerden.
»Das grüne Mädchen-Kind und der Windhund sollen zusammen im Haus ihres Vaters leben«, bestimmte der Erzdruide, »und ihre Verzauberung wird erst aufgehoben sein, wenn zwei Dinge geschehen. Dann nämlich, wenn eine Frau aus freien Stücken sich bereitfindet, den Rest ihres Lebens mit dem Hund zu verbringen und wenn ein Königssohn die Prinzessin trotz ihrer grünen Haut küsst.«
Die Prinzessin stand am Tor, einen Arm um den Hals des Windhundes gelegt, während der Erzdruide die Knochen der Toten, die in der Schlacht gefallen waren, im Schlosshof verstreute. Ehe er aber davonging, sprach er noch eine Prophezeiung aus: »Diese Knochen sollen hier liegen, in der Sonne bleichen und vom Regen glatt gewaschen werden, bis die Kinder eurer Kinder ihnen einen Ruheplatz geben. « Über viele Jahre hin lebten Bruder und Schwester allein im Haus ihres Vaters.
Und während ein Meer von Farnkraut vor den Toren des Schlosses sich auszudehnen begann, vergingen die Tage ihrer Kindheit. Groß und schlank schritt die grünhäutige Prinzessin durch die verlassenen Räume. Ihr gelbes Haar fiel ihr bis über die Schultern herab, und hinter ihr lief ein schlanker Windhund, mit menschlichen Augen und der Fähigkeit, die Sprache der Menschen zu sprechen und zu verstehen. Nun geschah es, dass der König von Urbhih, der nicht weit entfernt wohnte, mit dreihundert Mann gegen einen Feind zog.
Er hatte aber seinen Marsch kaum begonnen, als sich ein dichter Nebel über die Erde wälzte. Da verirrten sich der König und seine Männer.
Immer dichter wurde der Nebel, immer weniger Männer waren bei ihm, als er dort im Gebirge umherzog. Schließlich stand der König ganz allein in kniehohem Farnkraut. Und wie laut er auch rief, keiner seiner Krieger antwortete. Gerade in diesem Augenblick aber trieben Windstöße den Nebel auseinander, und der blaue Himmel wurde wieder sichtbar.
Der König stand vor einem alten, halbverfallenen Schloss. Zögernd trat er durch das Tor und befand sich nun in einem Hof, der mit den Knochen von gefallenen Kriegern übersät war. Er wunderte sich, was hier geschehen sein mochte, und wollte das Haus betreten. Dabei stieß er mit der Stiefelspitze an den Schädel des Königs Ailp, und dieser rollte von einem Ende des Hofes zum anderen.
Sofort kam ein wilder Windhund angesprungen und warf sich auf den Besucher.
Der König war nicht wenig erstaunt, als der Hund mit menschlicher Stimme redete. Der Hund warf ihn zu Boden. Seine Zähne kamen der Kehle des Königs gefährlich nahe. Da sprach der Hund: »Du hast die Gebeine meines Vaters entweiht. Du bist unter jenen umhergegangen, von denen gesagt ist, sie werden erst durch unsere Kindeskinder begraben werden. «
»Schone mein Leben«, bat der König von Urbhih voller Angst, »wer immer du auch sein magst, Hund mm. im menschlichen Stimme, schone mein Leben! «
In diesem Augenblick rief jemand aus dem Haus: »Töte den Fremden bitte nicht, lieber Bruder. Wer weiß, vielleicht wird er uns aus der Verzauberung erlösen. «
Der Windhund sprang zur Seite, und als der König aufstand, sah er ein hübsches Mädchen, dessen Haut ein strahlendes Grün hatte, über den Hof auf ihn zukommen.
»Wo bin ich hier«, fragte er ängstlich, »und wer seid ihr beide? «
»Dies ist das Haus des Königs Ailp, der in der Schlacht von seinen Feinden, den Druiden, getötet worden ist«, erwiderte die Prinzessin, »und wir sind Ailps unglückliche Kinder. « Dann kam der Windhund wieder heran. » Wie ist dein Name, Fremder? « fragte er. » Ich bin der König von Urbhih. Ich habe daheim einen Sohn und eine Tochter, und sie werden sehr traurig sein, wenn ich nicht zu ihnen heimkehre. « Bei diesen Worten zuckte ein schlauer Plan durch den Kopf von König Ailps Sohn. Er nahm seine Schwester beiseite und erklärte ihr, was ihm da eingefallen war.
»Wir müssen versuchen«, sagte er, »die Tochter des Königs in unser Haus zu bekommen und sie dazu zu bewegen, für den Rest ihres Lebens bei mir zu bleiben. Dann wird der böse Zauber, der auf mir liegt, gebrochen werden. Und wer weiß? Vielleicht gibt dir ihr Bruder einen Kuss. Dann wärest auch du erlöst. «
»Das wäre eine Möglichkeit«, sagte seine Schwester, »aber wie sollen wir das anstellen? Die Frau, die sich vornimmt, bei dir zu bleiben, darf nicht wissen, dass du in Wahrheit ein Prinz bist, und auch der Königssohn, der mich küsst, darf von dem Zauber der Druiden nichts wissen. Also dürfen wir von unserer Verzauberung gegenüber dem König von Urbhih kein Wort erwähnen. «
»Ganz recht, Schwester«, sagte der Prinz, »deshalb müssen wir dem König sagen, dass wir ihn nur für ein Jahr verschonen, damit er heimkehren und Vorbereitungen treffen kann, auf dass ihm sein Sohn auf den Thron folgt. Und du musst ihn begleiten und seine Tochter als Geisel mitbringen, damit er, sobald zwölf Monate verstrichen sind, wieder hierher zurückkehrt. So locken wir die Königstochter in unser Haus. Alles andere hängt dann von uns ab. Wenn wir glücklos sind, bleiben wir für den Rest unseres Lebens in dieser Einsamkeit hier. «
Sie erklärten dem König, was sie beschlossen hatten, und mit Furcht in seinem Herzen versprach er, ihnen zu gehorchen. Er und die Tochter des Ailp-Königs brachen auf und durchquerten die weiten Farnfelder und rasteten nicht, weder bei Tag noch bei Nacht, bis sie das Schloss erreicht hatten. Es dauerte nicht lange, da sah der Windhund, der am Tor wartete, seine Schwester heimkommen, und bei ihr war eine junge Prinzessin, die schien keine Furcht zu kennen. Sie hieß Oighrig und war die Tochter des Königs von Urbhih, und dem Königssohn war es, als habe er nie auf der Welt ein schöneres Mädchen gesehen. Sie luden sie ins Haus ein, und bald verwandelten sich ihr Hass und ihr Misstrauen gegenüber ihren Wächtern in bloßes Erstaunen. Sie begriff nicht, warum der Windhund mit den sanften Augen und das grüne Mädchen mit der freundlichen Stimme den Tod ihres Vaters wünschen konnten. Vergebens bat sie, das Leben des Königs zu schonen.
»Es muss ein Geheimnis geben, das ihr mir verbergt«, rief sie schließlich, »denn ich kann keine Grausamkeit in euren Herzen entdecken. «
Scharlachfarbene Beeren hingen an den Bergeschen. Dies war die Zeit, um die der König von Urbhih zu König Ailps Kindern zurückkehren sollte.
»Wie schön ist es doch hier inmitten der Berge! « rief Oighrig an einem dieser Herbsttage aus, aber obgleich das Herz des Windhundes vor Freude klopfte, sprach er die Worte, die sie gern hören wollte, nicht aus.
Als der erste Schnee fiel, sagte er zu ihr: »Du wirst uns nun bald verlassen, morgen wird dein Vater kommen, und du wirst zu deinem Volk zurückkehren. «
»Allein! « rief Oighrig voller Kummer, »ach, lass mich nicht allein gehen. Ich bitte dich noch einmal: lass meinen Vater am Leben. Oder, wenn du uns nicht beide gehen lässt, so schick meinen Vater fort und behalte mich für immer da, oder töte mich.«
Der Windhund und die Tochter des Königs von Ailp sahen das Mädchen hocherfreut an: »Würdest du wirklich für den Rest deines Lebens bei uns bleiben? « fragte sie. » Ja«, antwortete das schöne Mädchen, »wenn ich so das Leben meines Vaters retten kann. «
Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, da zerbrach der Zauber der Druiden, und der Windhund verwandelte sich in einen schönen jungen Mann.
»Mach dir keine Sorgen um deinen Vater«, sagte der Prinz lächelnd zu Oighrig, »ich habe nie vorgehabt ihn zu töten. « Und dann erzählte er ihr das Geheimnis seiner Verzauberung, während seine Schwester das Mädchen und ihn vor Freude in die grünen Arme schloss.
Eben in diesem Augenblick betrat der König von Urbhih das Schloss. Er war nicht wenig erstaunt über das, was er da sah. Aber als er dann gehört hatte, was es mit dem Zauber der Druiden auf sich gehabt hatte, kehrte er rasch noch einmal in sein Land zurück, um seinen Sohn herbeizuholen, denn Oighrig und König Ailps Sohn sollten nun auf der Stelle miteinander verheiratet werden.
Am Mittag des nächsten Tages ritten der König von Urbhih und sein Sohn über die Hügel. Sie wurden herzlich willkommen geheißen. Und doch blieb die Tochter des Königs von Ailp traurig, denn der Königssohn war zusammengezuckt, als er ihre grüne Haut gesehen hatte.
»Er wird mich nie küssen«, dachte sie, »für den Rest meines Lebens werde ich mit dem Fluch der Druiden leben müssen. « Ihr Bruder tröstete sie.
»Du darfst jetzt nicht verzweifeln«, sagte er, »hole eine Kanne voll gelbem Met, wie man ihn aus dem Honig der wilden Bienen macht. Man sagt, dieses Getränk habe Zauberkraft. Und wer weiß, vielleicht schaffen wir es auf diese Weise, dass sich der Prinz in dich verliebt. « Die Schwester folgte seinem Rat und trat vor den Prinzen mit einem Becher voll Met hin.
»Wollt Ihr nicht einmal den Duft unserer Heide kosten? « sagte sie, »dieses Getränk wird Euch an die wohlige Wärme des Sommers erinnern. «
Der Prinz trank, und in eben diesem Augenblick überkam ihn ein Zauber. Jetzt vermochte er die Prinzessin in ihrer wahren Gestalt zusehen, und es schien ihm, keine Frau auf Erden sei schöner als sie. Er setzte den Becher ab, nahm sie in die Arme und küsste sie. Sofort wich der Bann der Druiden, und die grüne Farbe ihrer Haut verschwand. An diesem Tag gab es gleich zwei Hochzeitsfeste, und während Oighrig und der Sohn König Ailps blieben, wo sie waren, reisten der Prinz von Urbhih und König Ailps Tochter als Mann und Frau in das Reich des König von Urbhih. Und dort führten sie ein glückliches Leben.
Und als die Zeit sich für die Prophezeiung der Druiden erfüllte, nahmen ihre Kinderkinder die Knochen, die im Schlosshof des Hauses herumlagen, und setzten sie zur letzten Ruhe an einem stillen Ort bei. Deshalb kann man sie auch heute nicht mehr sehen, wenn man auf dieses Schloss kommt, aber mein Märchen ist dennoch wahr, das könnt ihr mir glauben.