Der Traumprinz

Portugiesisches Märchen

Vor langer Zeit gab es einen König, der eine Tochter hatte. Er liebte diese Tochter über alles in der Welt. Als sie alt genug war, um zu heiraten, schlug der König ihr vor, dass sie sich einen Verlobten aussuche, denn er wollte nicht, dass der Thron ohne Erbe bliebe.
Die Königstochter war nicht sehr begeistert, denn sie war in einen Prinzen verliebt, den sie jede Nacht in ihren Träumen sah, und mit dem sie redete. Sie sagte dem König, sie würde nur den Verlobten suchen, von dem sie jede Nacht träumte.
Als der König das hörte, lachte er gut gelaunt und ließ noch einige Zeit vergehen, denn er hielt seine Tochter für heiter und kindisch. Aber als die Zeit kam, zu der die Prinzessin heiraten sollte, wurde ihre Ablehnung ernster. Der Vater war so enttäuscht und hat sich so geärgert, dass er ihr mit dem Tod drohte. Er sagte, wenn sie sich keinen Verlobten aussuchen wolle, dann würde er selbst einen für sie finden.
Die Königstochter hat sich so gefürchtet, und es tat ihr so leid, den Vater so sprechen zu -hören, dass sie einen ganzen Tag weinte. Endlich entschloss sich der König, seine Tochter zu ängstigen und sagte, wenn sie keinen Verlobten suchen wollte, dann sollte sie einen Edelmann vom Hofe heiraten.
Die arme Prinzessin weinte noch mehr und erzählte alles der Amme, die sie erzogen hatte, und die sie so sehr liebte, als ob sie ihre eigene Tochter wäre. Beide haben drei Tage lang gebetet. Nachts waren sie an einem Fenster, um zu sehen, ob der von der Prinzessin im Traum gesehene Prinz käme, aber er erschien nicht.
Es kam der Vorabend der von dem König geplanten Hochzeit. Bei Einbruch der Dunkelheit, als die Prinzessin und ihre Amme keine Hoffnung mehr hatten und ängstlich weinten, hörten sie ein Pferd traben. Die Prinzessin nahm die Hand ihrer Amme und sagte: »Amme, da kommt er. Er ist es, er ist es! «
In demselben Augenblick sahen sie einen Ritter, der ein prachtvolles Pferd hatte. Er gab ihnen Signal, sie sollten ihm folgen und niemandem davon erzählen. Sie freuten sich und gingen in den Garten, als ob sie frische Luft atmen wollten. Sie folgten dem Ritter. Er lief schnell und sah sie dabei an. Mit dem Licht eines Diamants, den er in der Hand hatte, zeigte er ihnen den Weg. Sie liefen hinter ihm her, als ob sie verzaubert seien, und sie wurden nicht müde.
Beim Sonnenaufgang kamen sie in einer großen Stadt an, und der Prinz verschwand, sobald sie die Stadt erblickten. Sie blieben aber ruhig, denn nun hatten sie schon eine Hoffnung. Sie wunderten sich darüber, dass in einer so großen Stadt kein Lärm war; man hörte nicht einmal das Summ-summ eines Moskitos. Als sie in die Stadt hineingingen, sahen sie eine Kutsche aus Marmorstein. Auch die Pferde, der Fahrer und die Leute, die drinnen saßen, waren aus Marmor. Sie gingen durch die Stadt und sahen mehr Kutschen und Leute, aber es war alles aus Stein. Dann sahen sie immer mehr Kutschen, viele Familien, Hähne und Hühner, einen Papagei, Stieglitze und viele andere Vögel und Tiere, eine Menge Studenten, die Umhang und Mütze trugen und Bücher in den Händen hatten, aber sie waren alle aus Stein!
Die Prinzessin fragte: »Was wird das wohl sein, Amme? « »Ich weiß nicht, mein Kind. Ich habe Angst, denn dein Verlobter hat uns mutterseelenallein gelassen. «
Die Prinzessin sagte, sie habe keine Angst. Sie gingen weiter und sahen einen großen Palast. Am Eingangstor war der Torwart, und die Treppe war voll mit Leuten, die hinauf- oder heruntergehen zu wollen schienen, aber auch diese Leute waren alle aus Stein. Die Prinzessin und ihre Amme gingen die Treppe hinauf und besichtigten den Palast. Sie kamen in einen großen Saal, der eindeutig der Thronsaal war. Beide haben sich gewundert, als sie den König und die Königin sahen. Sie waren aus Stein. Neben ihnen war ein Prinz, den die Prinzessin sofort erkannte, und er war auch aus Stein. Das war ihr Verlobter, von dem sie jede Nacht geträumt hatte.
Um die Mittagszeit sahen sie ein gutes Essen auf dem Tisch, aber sie wussten nicht, wer es gekocht hatte. Dasselbe geschah mit dem Abendessen und mit dem Abendbrot. Als es Nacht wurde und sie schlafen wollten, sahen sie ein sehr reiches Zimmer mit zwei Betten. Sie waren müde und haben sich hingelegt.
Als sie am folgenden Morgen wach wurden, war alles noch immer still. Die Prinzessin sagte: »Weißt du, wovon ich geträumt habe, Amme? In meinem Traum musste ich diese ganze Stadt von einer Verzauberung lösen. Heute um zwölf Uhr muss ich meinen Prinzen ohrfeigen. Er liegt tot in einem Sarg in dem großen Saal. Stell dir vor, wie sehr ich mich davor fürchte, ihn zu verlieren, denn ich weiß, dass ich ihn nicht mehr sehen werde, wenn ich die kleinste Angst habe, ihm eine Ohrfeige zu geben. «
Sie wartete fröhlich, bis es zwölf Uhr war. Als die Uhr anfing, zwölf zu schlagen, ging die Tür des großen Saales auf, und die Prinzessin sah den toten Prinzen in einem Sarg. Sie nahm sich zusammen, ging auf ihn zu und hob ihre schöne Hand. Sie gab ihm eine solche Ohrfeige, dass es laut widerhallte. Der Tote wurde lebendig und stand sofort auf. Er umarmte seine liebe Prinzessin und dankte ihr dafür, dass sie ihm aus seiner Not geholfen hatte.
Die Prinzessin wunderte sich immer wieder, denn alle hatten ihre Stimmen wieder bekommen, und die eisige Stille von früher wurde nun zu einem großen Lärm: die Leute sprachen, die Vögel sangen, die Glocken läuteten, die Kutsche» fahren, die Hunde bellten, die Musiker spielten. ... Alle waren froh und fragten, wer die gute Seele sei, die sie erlöst habe. Alle liefen dann zum Königspalast, und dort sahen sie den König und die Königin, die das schöne Mädchen umarmten, das ihnen geholfen hatte. Das Königspaar schickte einen Botschafter zu dem Vater der Prinzessin, um ihn zur Hochzeit einzuladen. Er sollte auch Trauzeuge sein. Der arme Vater war sehr traurig und lag im Sterben, denn er dachte, er hätte seine liebe Tochter verloren. Er bereute schon, dass er sie zum Heiraten zwingen wollte. Als er nun hörte, dass sie am Leben und glücklich war, ging er so schnell wie möglich zu ihr, um sie zu umarmen. Die Hochzeit der Prinzessin mit dem Prinzen ihrer Träume wurde sofort gefeiert. Die Prinzessin lebte über hundert Jahre und war die beste und glücklichste Königin, die es jemals gegeben hat.
Die arme Amme ist fast gestorben, als sie den Lärm hörte, denn sie war alt und hatte große Angst um die Prinzessin. Danach hat sie sich aber gefreut.
Gelobt und gesegnet, das Märchen ist beendet.