Beutel, Hütlein und Pfeiflein

aus Tirol

Es war einmal ein Vater, der hatte drei Söhne und vermachte jedem von ihnen ein kostbares Erbstück. Für den ältesten be-, stimmte er einen Geldbeutel, der nie leer wurde, für den zweiten ein Hütlein, durch das man alles bekam, was man nur wünschte, und für den jüngsten ein Pfeiflein, mit dem man sich so viele Soldaten herbei- und fortpfeifen konnte, als einem in den Kopf kam. Nachdem der Vater gestorben war, nahmen die drei Söhne Besitz von ihrem Erbteil, und der Älteste dachte daran, seinen Beutel gut anzuwen­den. »Ei«, sagte er eines Tages zu seinen Brüdern, »ich habe gar keine Lust mehr, in der engen Stube zu sitzen, ich will hinausgehen und mir ein bißchen die Welt anschauen. Wer einen Beutel hat wie ich, dem kann es auf der Reise an nichts fehlen.«

Also nahm er Abschied von seinen Brüdern und zog hinaus in Gottes freie Welt ohne Plan und Regel. Nachdem er eine Zeitlang herumgereist war, kam er in die Residenzstadt des Königs. Hier gefiel es ihm, weil es Gelegenheit gab, sich zu zeigen und mit dem Gelde zu glänzen. Er lebte in Saus und Braus wie ein Fürst und gab so groß, wie es nur einer tun kann, dessen Beutel ohne Leiden ist. Alles in seinem Hause glänzte von Gold und Silber, und in der Küche ging es so vornehm her, daß die Köche statt des Holzes Zimtspäne verschürten. So verbreitete sich ein so starker Geruch in der ganzen Stadt, daß der König auf den fremden Mann aufmerksam wurde und ihn an seine Tafel bat, um Näheres zu er­fahren. Der König besaß auch eine Tochter, die tat dem neuen Gaste so schön und wußte sich bei ihm so einzuschmeicheln, bis ihm endlich das Maul zerbrach. Er zeigte der schönen Prinzessin seinen Geldbeutel und erzählte ihr von der Wunderkraft, die ihm innewohnte. Der König hieß ihn bei Hof bleiben und hielt ihn so in Ehren, daß er ihn endlich gar zu seinem Minister machte. Die schlaue Königstochter indes verschaffte sich einen Geldbeutel, der dem wunderbaren Säckel ganz gleich sah, und lud eines Tages den Minister zu einem Spaziergang ein. Der Minister nahm die Einladung an und ging mit der schönen Prinzessin hinaus in die freie Weite, bis sie zu einem großen schattigen Baume kamen. »Hier wollen wir ein wenig aus­ruhen«, sprach die Königstochter, »und ein gutes Glas zur Erquickung trinken.« Der Minister war ihr wieder zu Willen, und so setzten sich beide in den kühlen Schatten des Baumes. Die Prinzessin zog eine Fla­sche aus dem Sack und reichte sie dem Minister. Dieser wußte nicht, wie faustdick es die Königstochter hinter den Ohren hatte, und tat einen kräftigen Zug. Es dauerte gar nicht lange, da fühlte er die Wirkung des Schlafpulvers, das die Prinzessin ihm in den Wein getan hatte, ließ von Zeit zu Zeit den Kopf schnappen und schlief endlich wie eine Ratte. Nun machte sich die Prinzessin über seine Taschen her, stahl ihm den wunderbaren Beutel und tat den nachgemachten, tüchtig mit Gold ange­füllt, an dessen Stelle. Dann ließ sie den Minister Minister sein und machte sich aus dem Staube.

Als der Minister aufwachte und keine Königstochter mehr sah, kam ihm die ganze Sache nicht mehr richtig vor. Sein erster Griff ging in die Tasche, worin er den wunderbaren Beutel zu tragen pflegte. Er gewahrte den vollen Beutel, stand auf und ging ohne weitere Sorge an den Hof zurück. Der Beutel hatte aber seine treffliche Eigenschaft verloren, so daß er in wenigen Tagen leer wurde und nimmer voll werden wollte. Der Minister merkte nun wohl, daß er von der Prinzessin hintergangen wor­den sei, konnte aber weder seinem Ärger Luft machen noch den kostba­ren Beutel wiederbekommen. Nach langem Kopfzerbrechen reiste er nach Hause, um dort Hilfe zu suchen. Er ging zu seinem jüngeren Bru­der, der das Wunschhütlein geerbt hatte, und bat ihn: »Lieber Bruder, ich bin um meinen Beutel schändlich betrogen worden, und nur du kannst mir wieder dazu verhelfen. Sei doch so gut und leihe mir auf kurze Zeit dein Wunschhütlein, damit ich meinen Beutel wiederbe­kommen kann. Ich würde es dir ewig danken.« Der Bruder war ein guter Kerl und schlug ihm seine Bitte nicht ab, sondern brachte ihm alsogleich das wunderbare Hütlein. Der Minister wollte nimmer aufhören zu danken, nahm das Hütlein und reiste damit an den Hof zurück. Er ließ sich gleich beim König melden, und der Kö­nig lud ihn zur Mittagstafel ein. Da wurde gegessen, getrunken und mu­siziert, und der Himmel war voller Geigen. Der Minister machte zwar anfangs ein Gesicht wie ein Pechsieder, vergaß aber bald Kummer und Sorgen und scherzte und lachte wie alle übrigen. Der schlauen Königs­tochter entging das nicht, sie setzte sich wieder an seine Seite und wußte sich bei ihm so einzuschmeicheln, daß er vor ihr kein Geheimnis hatte und ihr von seinem Wunschhütlein erzählte. Ei, dachte die Prinzessin, das Hütlein ist viel mehr wert, das lasse ich nicht aus. Sie machte es wie­der wie beim ersten Mal, verschaffte sich ein Hütlein, das dem Wunschhütlein ganz ähnlich sah, und ging mit dem Minister spazieren. Unter ei­nem schattigen Baum machten sie Rast, und der Minister bekam wieder ein Tränklein, worauf er in einen tiefen Schlaf versank. Als er aufwachte, war die Prinzessin nicht mehr da, und sein Wunschhütlein war auch fort. Denn so oft er mit dem Hütlein, das er jetzt aufhatte, etwas herbeizu­wünschen versuchte, kam gar nichts zuwege. Was sollte nun der arme Minister machen? Den Beutel verloren, das Hütlein verloren und sonst auch nichts zu haben, das war ein bißchen zu arg. Hätte er nur jetzt das Pfeiflein seines jüngsten Bruders gehabt, er hätte eine Menge Soldaten ausmarschieren lassen und würde Beutel und Hütlein schon wiederbe­kommen haben. Ja, dieses Pfeiflein sah ihn jetzt recht wohl an, aber er besann sich doch lange, bis er sich wieder entschloß, nach Hause zu ge­hen und auch noch das Pfeiflein zu leihen.

Endlich machte er sich auf den Weg, und als er heimkam, begab er sich zu seinem jüngsten Bruder: »Schau, Brüderle, ich bin um alles gekom­men, um Beutel und Hütlein. Wenn du mir dein Pfeiflein nicht leihen wirst, so werden wir weder das eine noch das andere jemals zurück­bekommen.« Der jüngste Bruder war ein guter Kerl, brachte ihm sein Pfeiflein und wünschte ihm Glück auf dem Weg. Nun war der Minister wieder hinten und vorn auf und eilte dem Hofe zu. Er ließ sich beim König melden und wurde wieder zur Tafel geladen. Da war alles kreuz­fidel und der Minister nicht minder, denn Speise und Trank mundeten ihm so gut, und das kostbare Pfeifchen ließ ihn auch nicht traurig aus­sehen. Wie aber die Prinzessin den Minister wieder sah und merkte, daß er so lustig war, dachte sie sich gleich: >Holla, der hat gewiß wieder etwas mit­gebrachte Sie setzte sich an seine Seite, tat freundlich mit ihm und wußte sich wieder bei ihm so einzuschmeicheln, daß er ihr das Pfeiflein zeigte und von seiner wunderbaren Eigenschaft erzählte. Nun ging das Sinnen und Trachten der Prinzessin wieder einzig und allein darauf hin, des wunderbaren Pfeifleins habhaft zu werden. Sie verschaffte sich zu dem Ende ein ähnliches Pfeiflein, lud den Minister zu einem Spaziergang ein und gab ihm unter einem kühlen Baum ein Tränklein, das ihm alsbald die Augen zufallen machte. Als er nach langem Schlafe wieder zu sich kam, war die Prinzessin aus dem Staube, und auf dem Pfeiflein, das er in der Tasche hatte, konnte er keinen einzigen Mann herbeiblasen. Nun saß er freilich recht übel in der Butter! Der Beutel fort, das Hütlein gestoh­len und das Pfeiflein staubaus - was war da zu machen? Bei seinen Brüdern hatte er nichts mehr zu hoffen, außer höchstens Scheltworte, und an den Hof zurückgehen konnte er auch keine Lust mehr haben. Er wußte nicht, was er vor lauter Zorn und Ärger anfangen sollte. Endlich sprang er von seinem Sitze auf und lief über Hals und Kopf in den Wald hinein.

Da irrte er lange Zeit herum und dachte an nichts als an die drei verlo­renen Stücke. Eines Tages trug es sich zu, daß er tief im Walde an eine Klausnerhütte kam. Er ging hinein, und da saß ein grauer Mönch, der ihn freundlich anredete und um sein Anliegen fragte. Dem erzählte er sein ganzes Unglück von A bis Z und bat ihn, er möge ihm doch helfen, wenn es anders in seiner Macht stünde. Der Mönch horchte fleißig auf und murmelte für sich in den Bart hinein. Als die Erzählung zu Ende war, tröstete er den Minister und sagte: »Helfen kann ich dir schon, aber du mußt pünktlich ausführen, was ich dir aufgebe.« Der Minister ver­sprach aufs genaueste zu folgen, und es wunderte ihn nur, was ihm der Alte für ein Mittel geben werde. Der Mönch suchte eine Zeitlang in der Zelle herum, zog endlich einen Korb aus einer Ecke hervor und brachte ihn dem Minister. »Siehst du, da hast du einen Korb voll Äpfel, und unter diesen ist ein ausnehmend schöner, der ganz wunderbare Kräfte hat. Denn wer immer davon ißt, dem wachsen alsogleich Hörner, die ihm kein Doktor mehr wegdoktern kann. Du gehst nun in die Stadt, setzt dich auf den Marktplatz und bie­test deine Äpfel zum Verkauf an. Aber diesen schönen darfst du nicht wohlfeiler lassen als um einen Louisdor. Denn wenn du ihn so teuer gibst, so wird ihn gewiß niemand anders kaufen als der König.«

Der Minister versprach fleißig zu folgen, zog eine alte Kutte an, die er vom Mönch zu leihen bekam, und ging in die Stadt. Auf dem Marktplatz setzte er sich nieder und bot seine Äpfel zum Verkauf. Viele Leute, die vorbeigingen und den schönen großen Apfel sahen, wollten ihn kaufen, aber als sie den Preis hörten und durch Handeln nichts ausrichteten, ließen sie ihn gerne stehen. Endlich kam die Köchin des Königs, sah den schönen Apfel und zahlte ohne Widerrede den hohen Preis. Sie tischte ihn am selben Tag noch bei der Mittagstafel auf und freute sich schon auf das Lob, das sie wegen des schönen Obstes davonzutragen hoffte.

Bei der Tafel staunte alles über den herrlichen Apfel, und weil es gar so etwas Außergewöhnliches war, wurde er in drei Teile zerteilt, so daß der König ein Stück erhielt und eins die Königin und eins die Prinzessin. Alle drei machten sich mit der größten Gier darüber her und ließen sich kaum Zeit zum Kauen. Als aber alle drei einen Bissen verschluckt hatten - wie schauten sie da einander an! Einem jeden schoben sich zwei Hör­ner zur Stirn heraus, die wuchsen immer schneller, und in einigen Minu­ten schauten alle drei aus wie der leibhaftige Teufel. Da wurde die größte Verwirrung im ganzen Schlosse. Man holte einen Arzt nach dem andern und eine Salbe nach der andern, aber nichts wollte helfen, die Hörner blieben so fest und so lang, als sie anfangs gewesen waren.

Als der Minister den kostbaren Apfel so gut an den Mann gebracht hatte, war er über die Maßen froh, nahm seinen Korb und ging schleu­nigst in die Klausnerhütte zurück. Mit der größten Freude erzählte er dem Mönch von dem glücklichen Handel und schilderte ihm die Prin­zessin, wie gut sie sich mit den Hörnern ausnehmen würde. »Jetzt warte ein wenig«, sagte der Mönch, »ich werde dir eine Salbe geben, mit der du die Hörner wieder wegbringen kannst. Aber dann sieh zu, daß du deine drei Stücke wiederbekommst.« Er holte eine Salbe, gab sie dem Minister und nahm Abschied von ihm. Dieser dankte herzlich und ging wohlge­mut zur Residenz zurück. Auf dem Wege kam er an ein Wirtshaus, dort ging er hinein und erkundigte sich, ob es nichts Neues gäbe. »Ja, Neues genug«, hieß es, »bei Hof sind ja Hörner gewachsen, und kein Doktor kann diese Dinge wieder fortbringen.« »Da wäre ich ja der Mann«, erwiderte der Fremde. »Die Hörner sollen fortgehen, wie weggeblasen.«

»Ja, wenn du das kannst«, hieß es, »dann geh nur und laß dich bei Hofe melden.« Er ging und ließ dem König ausrichten, daß ein Doktor gekommen sei, der alle Hörner flugs wegbringen könne. Wie der König dies hörte, ließ er ihn sogleich zu sich kommen und bat ihn um seine ärztlichen Dienste. Der Minister packte seine Salbe aus, bestrich damit die Hörner des Königs, und alsbald war nichts mehr davon zu sehen. Der König war herzlich froh, die unanständige Zierde los zu sein, und rief nach seiner Gemahlin. Die Frau Königin mit dem zweizackigen Diadem trat herein und schrie vor Freude laut auf, als sie ihren Gemahl zum erstenmal wieder ohne Hörner sah. »Da ist der Mann, der dich ku­rieren kann«, sagte der König. »Komm und halte ihm dein Haupt hin.« Die Frau Königin lief auf den Doktor los, daß sie ihn fast mit den Hör­nern niederstieß, und bat ihn um seine Hilfe. Der Doktor machte nicht lange Umstände, bestrich die Hörner mit seiner Salbe, und im Hui wa­ren sie weg. Auf den Ruf des Königs kam nun auch noch die gehörnte Prinzessin hereinstolziert und schaute groß drein, als sie den König und die Köni­gin auf einmal ohne Hörner sah. Sie erschrak ordentlich, als sie daran dachte, daß sie jetzt die einzige gehörnte Person am Hofe sei. Sie war aber sogleich wieder getröstet, als sie der König zum Doktor führte und ihr sagte, daß dieser Mann ihr helfen könne. Der Doktor griff sogleich zu einer Salbe und schmierte die Hörner der Prinzessin damit ein. Aber, o Schreck! Statt abzunehmen fingen die Hörner an zu wachsen und wurden um ein gutes Stück länger. Während alle vor Schrecken die Hände zusammenschlugen und besonders die Prinzessin jammerte, lächelte der Doktor und sagte: »Königliche Hoheit müssen vielleicht ein ungerechtes Gut besitzen, weil die Salbe die verkehrten Wirkungen hat.« Als die Prinzessin das hörte, wurde sie hochrot vor Scham, lief in ihr Gemach und brachte den wunderbaren Beutel. Der Doktor schob ihn zu sich und fing wieder an, die Hörner einzuschmieren. Aber mein Gott! Wieder fingen die Hörner an zu wachsen und fuhren noch immer um ein gutes Stück in die Höhe. Da wußte sich die Prinzessin nimmer zu helfen vor Entsetzen und wollte den Doktor schelten. Dieser aber lächelte wieder und sagte: »Königliche Hoheit müssen noch ein unge­rechtes Gut besitzen, weil die Salbe die umgekehrte Wirkung tut.« Rot vor Scham, lief die Prinzessin in ihr Gemach und kam alsbald mit dem Wunschhütlein wieder. Der Doktor nahm das Hütlein zu sich und be­schmierte die Hörner zum drittenmal. Die Hörner fingen wieder an zu wachsen und stiegen wieder langsam in die Höhe. Der Doktor aber ließ die Prinzessin nicht anfangen zu schelten und zu jammern, sondern sagte sogleich: »Königliche Hoheit müssen noch ein ungerechtes Gut besitzen, weil die Salbe die umgekehrte Wirkung tut.« Rot vor Scham lief die Prinzessin in ihr Gemach und kam eiligst mit dem wunderbaren Pfeiflein wieder. Nun salbte ihr der Doktor die Hörner zum viertenmal, und im Hui waren sie verschwunden. Die Prinzessin war froh, daß ich nicht sagen kann wie, und bedankte sich überschwenglich. Auch König und Königin waren außer sich vor Freude und gaben ein großes Fest, das ich dir nicht beschreiben will, weil dir sonst danach die Zähne wässern könnten.

Der Doktor war froh, seine drei Stücke wieder zu besitzen, und freute sich auf das gute Leben, das nun von neuem angehen sollte. Zu seinen Brüdern wollte er nicht mehr zurückkehren, sondern die zwei Stücke, die er von ihnen geliehen hatte, ungerechterweise für sich behalten. Dafür aber traf ihn die Strafe Gottes, denn der König fiel über ihn her, nahm ihm alle drei Stücke ab und brachte ihn selbst ums Leben.