Das schwarze, das rote und das weiße Haar

Spanisches Märchen – Katalonien

Vor langer, langer Zeit lebten einmal ein Mann und eine Frau, die hatten alles, was sie zum Leben brauchten, aber sie waren doch nicht glücklich, denn es fehlte ihnen, was sie sich am meisten wünschten, Kinder. Sie hatten nach und nach alles versucht, was zu Kindersegen verhelfen sollte, hatten Wallfahrten gemacht und Ärzte befragt, aber niemand konnte helfen, und der Schoß der Frau blieb verschlossen. Da gaben sie langsam die Hoffnung auf, ihre Wiege in Gebrauch zu nehmen, und lebten ihr Leben dahin, so gut es eben ging. Eines Abends, als sie wie gewohnt beisammensaßen und sich von ihrem Tagwerk ausruhten, klopfte es an der Tür. »Wer ist da? « — »Ein armer Bettler. Habt ihr wohl zu essen? « — »Essen gibt es hier. « — »Und könntet ihr mich wohl auch über Nacht behalten?« — »Freilich! Du kannst bleiben, setz dich nur einstweilen an den Herd! « Und die Frau ging und kochte ihm Suppe, Fleisch und Gemüse. Während er aß, fragte der arme Mann: »Wie kommt es, dass ihr so ganz allein seid? « — »Gott gab uns keine Kinder. « Da schüttelte der Alte den Kopf und meinte, es gebe doch für alles einen Rat, und es müsse doch auch dafür ein Mittel geben. Sie hätten schon alles ausprobiert, entgegneten Mann und Frau. »So lasst uns darüber schlafen«, sagte der Bettler, »kann sein, dass wir morgen klüger sind als heute. « — »Gute Nacht!«

Am andern Morgen nach dem Frühstück nahm der Alte den Mann beiseite und sprach: »Mir ist heute Nacht ein guter Gedanke gekommen. Wenn du es so machst, wie ich dir sage, werdet ihr sicher Kinder haben. Merke also auf: Wenn du gegen das Gebirge gehst, kommst du in einen großen Wald. Durch den gehst du hindurch, dann siehst du einen hohen Berg, dort steigst du hinauf. Auf halber Höhe aber liegt eine Höhle, aus der fließt eine Quelle. In die Höhle gehst du hinein; du musst aber ein Gefäß mit Honig und einen Wachsstock mitnehmen, sonst töten dich die Bienen, die in der Höhle sind. Drinnen findest du eine Frau, die hat dreierlei Haare: schwarze, rote und weiße. Wecke die Frau — sie schläft schon viele tausend Jahre in der Höhle. Sie wird dir bestimmt helfen können. «

Da bedankte sich der Mann bei dem Alten, füllte ein Gefäß mit Honig, nahm einen Wachsstock und machte sich auf den Weg. Er musste einige Tage wandern, endlich kam er zu dem Berg, stieg hinauf: richtig! Da war eine große Höhle, und aus der floss eine Quelle. Der Mann schaute hinein, da sah er eine Frau, die lag wie tot da und war ganz von Bienen bedeckt. Schnell stellte er den Honig und das Wachs an den Eingang der Höhle, da kamen auch schon die Bienen angeflogen. Sie summten zornig, weil sie in ihrer Ruhe gestört waren. Aber als sie den Honig und das Wachs sahen, machten sie sich darüber her und ließen unsern Mann in Frieden. Der ging behutsam in die Höhle hinein und berührte die Frau. Da schlug sie die Augen auf, besah ernst und eindringlich den Mann und sagte: »Ich weiß schon, was du willst. Und da du ein guter Mensch bist und meinen Bienen Honig und Wachs gebracht hast, sollst du haben, was du wünschest. Hier gebe ich dir einen Apfel und eine Birne, wenn deine Frau den Apfel isst, wird sie einen Sohn gebären, verspeist sie jedoch die Birne, so wird sie ein Mädchen bekommen. Nun zupfe mir noch ein Haar aus jeder meiner Strähnen: ein schwarzes, ein rotes und ein weißes. Das schenke ich deinem ältesten Kind zum Angebinde. Es soll die Haare als Kette tragen, so wird es Glück haben. « Der Mann bedankte sich, raufte die drei Haare aus, je ein schwarzes, ein rotes und ein weißes, und kehrte nach Hause zurück.

»Du bist aber lange ausgeblieben«, sagte seine Gattin. »Was bringst du da Schönes? « — »Hier ist ein Apfel, wenn du den isst, wirst du einen Sohn gebären; und hier ist eine Birne, wenn du die verspeist, bekommst du eine Tochter. « — »Ach, das wird so wenig helfen wie alles andere! Aber ich habe schon lange keine Birne mehr geschmeckt, gib sie mir, so will ich sie gleich essen. « Da gab ihr der Mann die Birne, die aß sie auf der Stelle. Den Apfel aber hoben sie auf. Nun, ihr werdet es nicht glauben, nach neun Monaten bekam die Frau ein Mädchen, das war wunderhübsch. Die Eltern freuten sich ungemein und nannten das Mädchen Catalina. Das Mädchen wuchs sehr schnell und wurde von Tag zu Tag schöner. Als es einige Jahre alt war, fand die Mutter eines Tages den Apfel, und da sie sich nicht mehr an die ganze Geschichte erinnerte, aß sie ihn. Nach Ablauf der Zeit gebar sie einen Knaben, den nannte man Joan. Catalina freute sich über das kleine Brüderchen und spielte gern mit ihm. Die Eltern aber waren glücklich und stolz. Doch wie es nun einmal geht, auch für diese Familie nahte das Unheil.

An ihrem vierzehnten Geburtstag ging Catalina mit Joan an das Ufer des Meeres, um dort nach Muscheln und bunten Steinen zu suchen und sich zu vergnügen. Da näherte sich eine Barke mit Mauren. Ehe sich Catalina zur Flucht wenden konnte, war sie von den Mauren ergriffen und aufs Schiff verschleppt. Der kleine Joan indessen konnte sich hinter einem großen Stein verstecken, und so wurde er nicht entdeckt. Als die Mohren weggefahren waren, kroch er aus seinem Versteck hervor und lief weinend nach Hause.

Catalina aber fuhr übers weite Meer nach Afrika. Ihr könnt euch vorstellen, wie ihr zumute war. Ganz allein zwischen wilden und garstigen Männern sah sie die Heimat entschwinden, erblickte nichts mehr als Himmel und Wogen und kam endlich in ein ganz fremdes Land. Aber ihr guter Stern verließ sie nicht, denn sie trug die Haare der Fee als Kette um den Hals. In Algier führten sie die Männer auf den Markt, auf dem die Christensklaven verkauft werden, und man bot auch Catalina zum Kaufe an. Aber niemand wollte sie haben, denn durch die Macht der Fee erschien sie allen Männern alt und hässlich, obwohl sie nicht mehr als vierzehn Jahre zählte. Schließlich kam ein reicher alter Kaufmann, der hatte seine Tochter verloren und trauerte sehr um sein Kind. Er besaß ein gutes Herz, und als er das junge Mädchen erblickte, das für ihn gar nicht garstig aussah, kaufte er es auf der Stelle. Die Seeleute aber waren froh, denn sie fürchteten schon, ihre Ware nicht loszuwerden, und so verkauften sie Catalina zu einem billigen Preis.

Der alte Kaufmann führte Catalina in sein Haus und hielt sie wie seine Tochter. Er kaufte ihr die schönsten Kleider und den teuersten Schmuck, und sie führte ein Leben wie eine Prinzessin. Aber bei alldem wurde sie nicht froh, sondern sie seufzte und weinte heimlich und sehnte sich nach Hause. Mit ihr trauerten ihre Dienerinnen, die eine davon war eine Negersklavin und stammte weit aus dem Süden; sie war so schwarz wie Ebenholz und machte alle groben Arbeiten im Hause des Kaufmanns. Das andere Mädchen war eine Griechin mit roten Haaren, die war eine geschickte Stickerin, und der Kaufmann verkaufte ihre Stickereien zu den höchsten Preisen.

Eines Tages sagte die schwarze Sklavin zu Catalina: »Wenn ich nicht nach Hause zurückkehren darf, dann sterbe ich hier in der Fremde. Aber sprich doch du einmal mit unserm Herrn, ob er mich nicht freigibt. Dich liebt er wie eine Tochter, und sicher wird er deine Bitte erhören. « Catalina versprach zu helfen und suchte gleich den Kaufmann auf. » Väterchen, würdest du nicht unsere schwarze Sklavin freilassen? Sie ist ganz krank vor Heimweh und wird uns hier nur sterben. « — »Töchterchen, gerne würde ich deine Bitte erfüllen. Aber sieh einmal: du bist jung, und ich bin alt. Ich kenne die Welt und die Menschen. Wenn die Schwarze erst eine Weile in unserm Haus ist, wird es ihr so gut gefallen, dass sie gar nicht mehr weg will. Und wer sollte auch all ihre Arbeiten machen? Schenke ihr hier diesen Ring, damit mag sie sich einstweilen trösten! «

Catalina brachte der Schwarzen den Ring. »Ach«, sagte die, »was nützt mir der Tand? Wenn ich nicht meine Freiheit erhalte und zu meinen Eltern, zu meinen Brüdern und Schwestern zurückkehren darf, will ich lieber sterben. « Und sie weigerte sich zu essen und zu trinken und weinte Tag und Nacht. Da wurde Catalina durch das fremde Schicksal noch viel mehr betrübt als durch ihr eigenes, und sie dachte vergeblich, wie sie der kleinen Schwarzen helfen könne. Eines Nachts jedoch hatte sie einen Traum: sie sah eine Frau, die hatte dreierlei Haare, schwarze, rote und weiße, und war ganz von Bienen bedeckt. Die Frau aber sagte: »Catalina, flicht das schwarze Haar aus deiner Kette und lass es auf die Erde fallen, dann wird euch geholfen sein. « Am nächsten Morgen erwachte Catalina, erinnerte sich an ihren Traum und dachte: >Das musst du doch einmal ausprobieren! < Vorsichtig flocht sie das schwarze Haar aus der Kette, warf es auf die Erde, und — hupp! — da stand ein schwarzes Mädchen, das glich der Sklavin ganz genau und sagte: »Herrin, was soll ich tun? « — »Bleib bei uns als Dienerin. « Ihre alte Sklavin aber entließ sie heimlich, und der Kaufmann merkte nichts von dem Tausch. Es dauerte aber nicht lange, da klagte auch die Griechin ganz bitterlich: »Ich halte es hier nicht mehr aus und sehne mich nach meinen Eltern und meinen Geschwistern. Wer weiß, ob sie noch am Leben sind. Du bist doch der Liebling des Herrn; wenn du ihn bittest, gibt er mich vielleicht frei. « Da erbarmte sich Catalina und ging zu dem Kaufmann. » Väterchen, unsere kleine Griechin ist so traurig, dass sie sterben will, sie hat Sehnsucht nach ihren Verwandten und ihrer Heimat. Willst du ihr nicht ihre Freiheit schenken? « Der Kaufmann erwiderte: » Catalineta, du hast ein gutes Herz, und darum habe ich dich noch lieber. Aber sieh: auch die kleine Nubierin hat sich getröstet; früher weinte sie, und jetzt ist sie fröhlich und vergnügt, wie ich es dir gesagt habe. Glaube mir: auch unsere Griechin wird noch heiter werden. Nimm diese goldene Kette, die schenke ich ihr. Und sage du selbst: wo würde sie je einen so milden Herrn finden wie hier? « Da brachte Catalina der Rothaarigen die goldene Kette, aber die weinte noch mehr. » Was nützt mir die Kette, wenn es niemand gibt, vor dem ich mich mit dem Schmuck zeigen kann. Oh! Wie würden mich meine Schwestern beneiden, wenn sie mich mit dieser Kette sehen könnten! « Und sie schluchzte noch lauter als zuvor. Catalina war wieder ratlos und konnte lange nicht einschlafen. Als sich endlich ihre Augen geschlossen hatten, erschien ihr wieder das Bild jener seltsamen Frau und sprach: »Catalineta, mein Patenkindchen, flicht nun das rote Haar aus deiner Kette, dann wirf es auf die Erde, und es wird euch geholfen sein. « Als das Mädchen am nächsten Morgen erwachte, tat es, wie die gute Fee es geheißen hatte, und kaum hatte das rote Haar den Boden berührt, da stand ein rothaariges Mädchen da, das glich der Griechin ganz genau und war ebenso schnippisch. » Herrin, was soll ich tun? « — »Bleibe bei uns und sticke Hemden! « Damit entließ Catalineta die Griechin, der sie noch einen Beutel Geld mitgab, damit sie gut nach Hause reisen könne. Der Kaufmann aber merkte nichts von dem Tausch, sondern er sagte nur: »Kleine Griechin, du stickst von Tag zu Tag schöner. « — »Da solltet Ihr erst einmal sehen, wie wir in Griechenland sticken! « antwortete die rothaarige Zau¬berjungfrau frech. Und der Kaufmann sprach zu Catalina: »Da siehst du, wie recht ich gehabt habe! Gestern hat sie noch geweint, heute ist sie lustig und guter Dinge. « Catalineta seufzte heimlich. Auch sie wäre gern heimgekehrt, aber sie hatte gar nicht den Mut, den Alten zu fragen, denn sie wusste, dass er sie wie eine eigene Tochter liebte. Und wenn sie ihn heimlich verlassen würde, dann müsste ihm das Herz brechen. So bemühte sie sich tapfer, ihren Kummer nicht merken zu lassen, und wurde doch immer bleicher und schmäler, so verzehrte sie die Sehnsucht nach ihrer Heimat. Es war schon eine ganze Reihe von Jahren vergangen, da saß Catalina eines Tages auf dem Balkon. Auf der Straße ritt ein Ritter vorbei, und als der das Christenmädchen sah, hielt er an und sagte: »Gott grüße dich, Christenmädchen! « — Gott grüße dich, Ritter. « — »Was für eine süße Stimme du hast! Wie heißt du denn? « — »Ich heiße Heimatfern«, sagte Catalina. » Und wie heißt du? « — »Ich heiße Joan und stamme von da und da«, dabei nannte er seine Vaterstadt. Da erkannte Catalina, dass der Ritter ihr Bruder war, aber sie wagte es nicht, ihm ihre Entdeckung mitzuteilen. »Soll ich dich freikaufen, Heimatfern? « Fragte der Ritter. » Ach, mein Herr würde mich nicht um alle Schätze der Welt verkaufen, denn er liebt mich wie eine eigene Tochter. « — »Nun, so musst du eben mit mir fliehen! « — »Ach nein, das kann ich nicht. Wenn ich weggehe, wird ihm das Herz brechen. « — »Morgen komme ich wieder. Überlege es dir bis dahin! « Und damit ritt Joan fort. Catalina aber blieb ganz verzweifelt zurück, denn sie wusste nicht, was sie tun sollte. Wenn sie sich ihrem Bruder entdeckte, würde er sie mit Gewalt wegführen, und der gute Alte würde sterben. So weinte sie die ganze Nacht hindurch und konnte keinen Schlaf finden. Am nächsten Tag aber kam der Ritter wieder unter ihrem Balkon vorbeigeritten und fragte: »Hei¬matfern, willst du mit mir nach Frankreich zurück? « Catalina konnte vor Weinen kaum sprechen. » Nein, ich kann nicht. « — »Nun komme ich nicht mehr. Aber wenn wir morgen absegeln, werde ich dir vom Schiffe aus noch zuwinken. Vielleicht willst du doch noch mitkommen. « So ritt er fort, und Catalina war noch untröstlicher als am vorigen Tage. Als jedoch der Kaufmann nach Hause kam, bemühte sie sich, eine frohe Miene zu machen, und ließ ihn nichts von ihrem Schmerz merken. Sie schloss die ganze Nacht kein Auge und wusste nicht aus und nicht ein. Früh am Morgen erhob sie sich vom Lager und stieg ins obere Geschoß des Hauses, von wo man den Hafen sehen konnte. Kaum war die Sonne aufgegangen, da sah sie eine Barke vom Ufer ablegen, die fuhr lang-sam, sehr langsam ins Meer hinaus. Catalina sah einen Ritter, der winkte ihr zu. Da stellte sie sich auf die Zehenspitzen, damit er sie auch sehen könne, und wollte ihm einen letzten Gruß zuwinken. Doch weil sie sich so sehr streckte, riss die Kette um ihren Hals, die ja nur mehr aus einem weißen Haar bestand, und fiel zur Erde. Kaum hatte das weiße Haar jedoch den Boden berührt, da stand ein Mädchen da, als wäre eine zweite Catalina aus dem Spiegel getreten, und sagte: »Herrin, was soll ich tun? « — »Bleib du hier bei dem Kaufmann! « Und Catalina lief, was sie laufen konnte, zum Hafen. Auf dem Schiff aber sagte der Ritter: »Kapitän, kehre noch einmal um! Ich glaube, ich habe etwas vergessen. « — »Das hättest du früher sagen sollen! Jetzt ist es zu spät. Wir kommen sonst in ungünstige Winde. « — » Kapitän, kehre noch einmal um! Ich gebe dir einen Beutel voll Geld! « — »Nun, so soll es sein. « Kaum waren sie wieder im Hafen, da kam Catalina. » Nun, habe ich dir nicht gesagt, dass du es dir doch noch anders überlegst! « Da legten sie wieder ab und segelten hinaus aufs offene Meer, und der Wind war so günstig, dass sich der Kapitän recht wunderte.

Am Abend aber fragte der Ritter: »Heimatfern, wollen wir uns vermählen? « — »Nein, das kann nicht sein! « — »Ich liebe dich aber und werde dich immer lieben. « — »Ich heiße Catalina. « — »Catalina«, sagte der Ritter, »wie hübsch! Ich habe einmal eine Schwester gehabt, die hieß auch Catalina. « — »Ich bin deine Schwester! « Da umarmte Joan seine Schwester, und sie fuhren in ihr Land zurück. Catalina aber heiratete einen reichen Grafen und hatte mit ihm drei Töchter, die nannte sie Schwarzhaar, Rothaar und Weißhaar.