Mein Freund! Dreh hin, dreh her [Gevatter Tod]

Märchen aus der Ukraine

Es lebte einmal ein Mann, der reich, sehr reich war. Alles ging nach seinem Wunsche vonstatten, alle liebten ihn, er hatte viel Freunde, war angesehen und vernünftig, denn – er war sehr reich. Es dauerte aber nicht lange und er wurde arm, sehr arm. Das Vieh ging zugrunde, wurde von den Wölfen zerrissen oder gestohlen, kurz er verarmte sehr. Das Maß des Unglücks war aber noch nicht voll; auch das Haus brannte ihm ab. In die Welt hinauszugehen und zu betteln, konnte er sich nicht entschließen, um so weniger, da gerade jetzt sein Weib einen Knaben geboren hatte. »Wenn ich das Kind ungetauft lasse«, so dachte er bei sich selbst, »wird Gott es an mir rächen.« Er machte sich daher auf, ging zu seinen früheren Freunden und lud sie zu Taufpaten seines neugeborenen Kindes. Keiner erkannte ihn aber jetzt und wollte sich auch nicht herbeilassen, diesen Dienst ihm zu erweisen. Betrübt ging er weiter und begegnete einem Mann. Dieser wünschte ihm einen guten Tag. Der Arme war in Gedanken vertieft und hatte es nicht gehört. Der Fremde kam näher, betrachtete ihn schärfer und sprach: »Ich habe Dich gegrüßt und keine Antwort erhalten. Warum bist Du so betrübt?« »Warum soll ich mich nicht betrüben? Ich war einmal reich, sehr reich, habe mehr Freunde gezählt als jeder andere, und nun ich verarmt bin, schämen sie sich meiner, sodass keiner sich erniedrigen will, mein Kind aus der Taufe zu heben.«

»Beruhige Dich«, tröstete ihn der fremde Mann, »ich werde Dir diesen Dienst erweisen.« Sie gingen beide in die Hütte, die gar ärmlich war, und nachdem die Taufzeremonien vorüber waren, sagte der Fremdling zu seinem Wirt: »Ich will Dich lehren, wie Du wieder reich werden kannst. Gehe ins Gebirge, sammle alle möglichen Kräuter, und wenn Du erfährst, dass irgendwo ein großer, reicher Herr schwer krank darniederliegt, gehe zu ihm und gib vor, Du seiest ein bewährter Arzt. Wenn Du dann den Kranken zu Gesicht bekommst, gib genau acht, wo ich stehe, ob bei den Füssen oder bei dem Kopfe. Siehst Du mich zu Füssen des Kranken stehen, so kannst Du unternehmen, ihn zu heilen. Im Gegenteil muss er sterben.«

»Und wie werde ich ihn heilen können?« fragte der Bauer. »Koche die Kräuter, die Du gesammelt haben wirst, und bereite daraus für den Kranken ein Bad. Überdies werde ich stets um Dich sein, von niemandem gesehen, denn ich bin der Tod.« Kaum hatte der Fremde ausgeredet, als er auch verschwand. Anfangs war der Mann betrübt, dass er mit dem Tod Brüderschaft getrunken, allein die Aussicht auf neuen Reichtum tröstete ihn bald. Er zog herum, dorfaus, dorfein, behandelte viele Kranke glücklich und wurde auf diese Weise nicht nur berühmt, sondern auch wieder reich, sehr reich. Er trieb dies Geschäft einige Jahre mit dem besten Erfolg. Endlich besuchte aber – es geschah nicht so schnell, wie ich es erzähle –, endlich besuchte einmal auch ihn der Tod und sprach mit ernster Miene: »Dein Stündlein hat geschlagen, Du musst auch sterben.« Der Mann bat, flehte, weinte, schluchzte, und nicht vergeblich, denn Freund Tod vergönnte ihm noch eine Woche Lebensfrist. Während dieser Zeit ließ sich der Mann ein Bett verfertigen, welches nach allen Seiten in der Runde gedreht werden konnte. Die Woche war zu Ende und der Jammermann legte sich mit Todesangst ins Bett. Alle Hoffnung gab er doch nicht auf; denn er glaubte durch das so eingerichtete Bett dem Tod sein Geschäft zu verleiden. Der Tod kam wirklich, wie er versprochen, und stellte sich bei dem Kopfe des Mannes. Dieser drehte das Bett und wies dem hungrigen Gaste die Füße. Dieser trat wieder an den Kopf, und der Mann drehte wieder das Bett. Beide, jeder in seiner Art, zeigten sich recht geschäftig und ausdauernd. Der Mann hätte seine Verteidigung nicht sobald aufgegeben, denn es war ihm um das Leben zu tun. Der Tod war aber bald des Spieles, das der Mann mit ihm trieb, satt, und rief:

»Mein Freund, dreh' hin, dreh' her,

Ich bin der Tod, komm her!«

streckte seine Knochenhand aus und der Mann starb.

[vgl. auch die deutsche Version - November 2001]