Der Besuch im Himmel

Märchen aus Guayana

In alter Zeit hatten die Stämme der Kuyalakog und der Palawiyang miteinander Krieg. Alle diese Kämpfe spielten sich in der Gegend des Uraukaimagebirges ab. Die Palawiyang griffen die Kuyalakog an und töteten einige, die zur Pflanzung gegangen waren. Da vereinigten sich die Kuyalakog, um die Palawiyang zu vernichten. Sie kamen bei Nacht, beschlichen das Dorf, das aus fünf Häusern bestand und zündeten es an zwei Stellen an. Dies taten sie, damit es hell würde und die Feinde nicht im Dunkeln entfliehen könnten. Sie töteten viele mit der Keule, als sie aus den Häusern entweichen wollten.
Ein Mann namens Maithsauli, der unversehrt geblieben war, legte sich zwischen die Toten; um die Feinde zu täuschen, bestrich er das Gesicht und den Leib mit Blut. Die Kuyalakog entfernten sich, weil sie glaubten, alle seien tot. Der Mann blieb allein zurück. Er stand auf, badete und begab sich in ein anderes Haus, das nicht weit entfernt war. Er dachte, es seien Leute dort, aber er traf niemanden an. Alle waren geflohen. Er fand nur Maniokfladen und einen Bratrost mit Wildbret und aß davon.
Danach verließ er das Haus und ging weiter fort. Unterwegs setzte er sich ein wenig hin und überlegte, was zu tun sei. Er dachte an seinen Vater und an seine Mutter, welche die Kuyalakog getötet hatten und dass er nun niemanden mehr habe. Dann sagte er zu sich: >Ich will mich zu meinen Gefährten legen, die tot sind!< Er kehrte voll Furcht nach dem verbrannten Dorfe zurück.
Dort hatten sich inzwischen sehr viele Aasgeier versammelt. Maithsauli, der ein Zauberarzt war, träumte von einem wunderschönen Mädchen. Er hatte sich wieder mit Blut beschmiert und hielt die Hände an den Kopf, damit er sofort zugreifen konnte. Später kamen die Aasgeier wieder und stritten sich um die Leichen. Auch die Tochter des Königsgeiers fand sich ein. Was tat nun die Tochter des Königsgeiers? Sie setzte sich Maithsauli auf die Brust. Als sie ihm in den Leib hacken wollte, ergriff er sie. Seine Bewegungen scheuchten die anderen Aasgeier auf. Sie flogen fort. Maithsauli bat die Tochter des Königsgeiers:
»Verwandle dich in eine Frau! Ich bin so allein hier und habe niemanden, der mir hilft. « Er nahm sie mit nach dem verlassenen Hause. Dort hielt er sie wie einen zahmen Vogel. Er sagte zu ihr: »Ich gehe jetzt fischen. Wenn ich zurückkehre, möchte ich dich in eine Frau verwandelt wiederfinden! « Er verschloss das Haus und ging fischen. Da verwandelte sich die Tochter des Königsgeiers in ein Mädchen. Es setzte einen Topf auf das Feuer und tat alle Arbeiten einer Frau. Es bereitete Kaschiri und füllte es in eine Kürbisflasche. Dann verwandelte es sich wieder in einen Aasgeier, denn es schämte sich noch vor dem Manne.
Als Maithsauli mit Fischen und Wildbret, einem Hirsch, zurückkam, fand er das Haus offen; aber der Aasgeier war drin. Er legte den Hirsch und die Fische nieder. Dann ging er aus dem Hause und stieß auf Spuren von Menschen. Als er ihnen nachging, konnte er feststellen, dass jemand im Walde Brennholz gebrochen hatte. Da wurde er misstrauisch und verfolgte die Spuren weiter; doch sie führten ihn nach dem Hause zurück. Er entdeckte die Kürbisflasche mit Kaschiri und trank davon, denn er hatte großen Durst. Er fand auch Wasser und Brennholz im Hause. Es fehlte nichts. Dann zerlegte er den Hirsch, machte einen Bratrost, röstete den Hirsch und gab der Tochter des Königsgeiers davon zu essen. Er briet auch alle Fische. Dann legte er sich nieder und dachte über die Menschenspuren nach. Vielleicht stammten sie von Leuten, die ihn angreifen wollten. Darüber schlief er ein, denn inzwischen war es Nacht geworden.
Vor Tagesanbruch, ehe Maithsauli erwacht war, verwandelte sich die Tochter des Königsgeiers wieder in einen Menschen und ging Wasser holen. Sie brachte Wasser und ließ das Haus offen. Sie zündete Feuer an, stellte den Pfeffertopf ans Feuer und tat ein Stück Hirschbraten hinein. Sie kochte es und ließ es am Feuer stehen. Dann verwandelte sie sich wieder in einen Aasgeier. Noch immer scheute sie sich, in Menschengestalt zu erscheinen.
Als Maithsauli am Morgen erwachte, war das Essen fertig. Voller Misstrauen betrachtete er den Topf am Feuer und sagte:
»Hier sind Leute! « Dann nahm er Bogen und Pfeile, verschloss das Haus, ging ein Stück weit und kehrte dann zurück. Er wollte die Leute aufspüren und verbarg sich deshalb in der Nähe des Hauses. Seine Angelrute hatte er absichtlich mitten im Hause liegen gelassen. Er blieb versteckt und wartete.
In seiner Abwesenheit verwandelte sich die Tochter des Königsgeiers wieder in eine Frau, öffnete das Haus und trat hinaus. Sie war ein sehr schönes Mädchen mit vielen Perlenschnüren an der Brust, an Armen und Beinen. Außerdem hatte sie eine schöne Perlenschürze an. Sie ging zum Nagelplatte.
Unterdessen ging Maithsauli in das Haus und verbarg sich mit der Angelrute in der Hand hinter dem Eingang. Als das Mädchen zurückkam, stellte es das Wasser hin und legte sich ahnungslos in die Hängematte, denn es wähnte den Mann noch auf der Jagd.
Erst jetzt trat Maithsauli hervor und sagte:
»Nun habe ich eine Frau! « Sie war in der Tat sehr schön und voller Perlen an Armen und Beinen. Sie wickelte sich schamvoll in die Hängematte. Aber er flüsterte ihr zu: »Schäme dich nicht! « Und er legte sich zu ihr. Dann sprach er zu ihr: »Ich habe dich gebeten, menschliche Gestalt anzunehmen und meine Frau zu werden, weil ich keine Mutter und gar niemanden mehr habe, sondern ganz allein bin. Gehe bitte nicht fort! Bleibe hier als meine Frau! Wir haben Pflanzungen von meinen Verwandten, die alle aus Furcht vor den Kuyalakog geflohen sind. Sie kommen sicherlich nicht mehr zurück. Wenn Essen fehlt, so gehe ich jagen und fischen. Ich werde immer bei dir sein, und du brauchst keinen Hunger zu leiden. Bleibe jetzt im Hause und mache Maniokfladen! Ich gehe derweilen jagen! Verlasse mich bitte nicht!« Er ging jagen und fischen und ließ sie im Hause zurück. Er tötete einen Hirsch und zwei Schweine und brachte zuerst den Hirsch heim. Sie machte gerade Maniokfladen, als er zurückkehrte. Er holte dann das eine Schwein und danach das andere. Als er es brachte, hatte sie die Maniokfladen bereitet und war gerade dabei, Kaschirimasse zu machen. Er zerlegte den Hirsch und die beiden Schweine und legte die Stücke auf den Bratrost. Dann sagte er:
»Das kannst du essen, wie du magst, roh oder gekocht! « Dann aß er mit ihr, und sie gewöhnte sich schnell an ihn. Sie hatte ihn gern, denn er brachte viel Wildbret heim, und sie schlief nachts mit ihm.
Danach blieben sie einige Zeit in diesem Hause. Eines Tages sagte sie:
»Jetzt möchte ich meine Familie sehen! Hab Geduld! « Maithsauli wollte sie nicht fortlassen. Er sagte zu ihr, wenn sie ihn verließe, würde er einen Strick nehmen und sich erhängen.
Doch sie meinte:
»Ich verlasse dich nicht! Ich gehe nur, um meine Familie zu besuchen. Bleib hier und erwarte mich hier! Ich kann dich jetzt nicht mitnehmen, ohne dass dich mein Vater sieht. Ich will eine Zauberpflanze holen und ein Federkleid für dich, damit du fliegen kannst, wie wir fliegen. Ich werde meinem Vater sagen, dass ich mit dir verheiratet bin. « Er ging mit ihr zum Hause hinaus und bat sie noch einmal: »Gehe nicht fort! Bleibe bei mir! Lass deinen Vater! « Sie beruhigte ihn und sagte:
»Ich werde dich nicht verlassen. Ich will nur meinem Vater sagen, dass er jetzt einen Schwiegersohn hat. « Als Maithsauli sie nicht fortlassen wollte, da sagte sie: »Gut! Schneide mir die Haare ab! « Der Mann tat es. Dann sagte sie: »Schneide ein Stück Bambus ab, stopfe die Haare hinein, blase Tabak-rauch darauf und verstopfe es mit Bienen wachs! Wenn ich morgen nicht zurückgekehrt bin, so verstopfe es mit Pech! Dann muss ich sterben! « Beim Abschied sagte sie: »Wenn ich nicht morgen früh zurückkomme, komme ich nachmittags. « Sie verwandelte sich in einen Aasgeier und flog in Kreisen hoch und immer höher.
Er schaute ihr nach, bis sie ganz klein wurde und verschwand. Dann trat er ins Haus und legte sich in die Hängematte. Aber er schlief nicht, denn seine Gedanken ließen ihm keine Ruhe. So wurde es Morgen. Beim Fortgehen hatte sie zu ihm gesagt: »Erwarte mich morgen ganz früh vor dem Hause. Wenn ich dann nicht zurückkomme, gedulde dich bis zum Abend! « Er rollte sich eine Zigarre und setzte sich draußen hin, um auf sie zu warten. Als er mit dem Rauchen fertig war, ging er doch wieder ins Haus und legte sich schlafen. Er träumte, und im Traum sagte sie zu ihm: »Ich bin schon auf dem Heimweg mit zwei meiner Brüder. « Er erwachte plötzlich, lief aufgeregt durch den Raum vor das Haus und setzte sich nieder. Als er in die Höhe schaute, sah er, wie er geträumt hatte, drei Aasgeier, zwei weiße und einen schwarzen. Es waren also zwei Männchen und ein Weibchen. Er war froh, als er sie erblickte. In Kreisen fliegend kamen sie herab, bis sie ganz nahe über ihm waren. Sie sagte zu ihm:
»Hier sind meine Brüder! Schäme dich meiner nicht! Ich schäme mich deiner auch nicht! Du wirst schon mit ihnen gut Freund werden! «
Die Schwäger gewannen ihn lieb und blieben zwei Tage in seinem Hause. Er zeigte ihnen seine Pflanzungen, und sie baten ihn, für sie einen Hirsch zu töten. Er schoss einen Hirsch und brachte ihn heim. Die Schwäger zerlegten, kochten und aßen ihn. Es blieb ein Rest übrig, den sie auf dem Bratrost rösteten.
Am zweiten Tage bat die Frau ihren Mann, sich mit dem Federkleid des Königsgeiers zu bekleiden, das seine Schwäger ihm mitgebracht hatten. Er zog das Kleid an und verwandelte sich in einen Aasgeier. Die Frau kaute eine Zauberpflanze, blies ihren Mann damit an und sagte:
»Jetzt wollen wir fortfliegen! Hab keine Furcht! Ich komme hinter dir her. «
Die Schwäger flogen schon in Kreisen über ihm und erwarteten ihn. Sie sagte zu ihm:
»Jetzt schlage mit den Flügeln! Wenn du mit den Flügeln schlägst, wirst du die Leiter sehen, die am Himmel festgebunden ist. «
Als er mit den Flügeln schlug, wurde er leicht. Er sah die Leiter und stieg auf ihr hinter den Schwägern her. Seine Frau flog hinter ihm her, um ihn aufzufangen, wenn er fallen sollte. Er stieg empor, immer höher.
Als er dem Himmel nahe war, sah er den Eingang zum Hause des Königsgeiers. Bald darauf erreichten sie ihr Ziel und traten in das Haus des Königsgeiers ein, das nicht weit vom Eingang des Himmels entfernt lag. Die Schwäger und die Frau gingen hinein und ließen ihn draußen zurück. Sie sagten: »Wir wollen unsern Vater rufen, damit er dich kennenlernt! « Als sie ihrem Vater sagten, dass der Mann seiner Tochter draußen stünde, da freute sich der Alte und ging mit seinen Söhnen hinaus, um ihn zu sehen. Er sagte zu ihm: »Wir wollen hineingehen! « Er führte ihn in sein Haus und nahm ihn sehr gut auf. Es waren viele Leute da, denn wenn die Königsgeier im Himmel ankommen, ziehen sie die Feder¬kleider aus und sind dann Menschen. Nach einigen Tagen sagte seine Frau zu ihm: »Du brauchst nicht immer das zu trinken, was wir trinken. Wenn du Hunger hast und durstig bist, kannst du auch in das Haus der Periquitos oder der Papageien oder der Araras gehen. Sie alle haben Maiskaschiri, im Himmel sind sie alle Menschen. «
Er ging in das Haus der Papageien und trank dort Maiska¬schiri und führte ein gutes Leben mit den Papageien und auch mit den Araras und Periquitos. Eines Tages sagte der Königsgeier zu seiner Tochter: »Ich will doch einmal sehen, was dein Mann kann. Sage ihm, dass er den Weltsee in zwei Tagen austrockne! Wenn er das nicht fertigbringt, muss ich ihn töten und werde ihn fressen! « Als Maithsauli aus dem Hause der Periquitos zurückkehrte, eröffnete ihm seine Frau, was ihr der Vater aufgetragen hatte. Maithsauli erwiderte seiner Frau: »Ich weiß nicht, wie ich diesen See austrocknen soll, er ist doch so sehr groß. « Doch machte er sich sogleich ans Werk, verstopfte den Zufluss des Sees und fing an, das Wasser auszuschöpfen.
Eine Wasserjungfer begegnete ihm und fragte ihn: »Was machst du da, Schwager? « Er antwortete:
»Mein Schwiegervater hat mir befohlen, diesen See auszutrocknen, um mich auf die Probe zu stellen. Wenn ich es nicht fertigbringe, will er mich fressen. « Da sagte die Wasserjungfer:
»Er soll dich nicht fressen! Wir helfen dir! Wir trocknen den See aus! «
Auch ein schwarzer Vogel stellte sich ein und fragte ihn:
»Was machst du da, Schwager? «
Da antwortete die Wasserjungfer:
»Dieser Mann ist vom Königsgeier beauftragt. «
Der schwarze Vogel fragte:
»Wozu?«
Die Wasserjungfer antwortete: »Er soll diesen See austrocknen. « Der Vogel sagte:
»Gut! Ihr könnt ihn mit Erde abdämmen und so dem Mann helfen! «
Da sagte die Wasserjungfer:
»Wir helfen ihm. Wir schöpfen das Wasser aus, du gehst auf den Weg und benachrichtigst mich, wenn Leute kommen! « Der Vogel antwortete:
»Gut! Ich gehe auf den Weg und gebe Acht. Wenn Leute kommen, rufe ich, dann versteckt ihr euch! «
Die Wasserjungfern — es waren ihrer viele — fingen an, Wasser auszuschöpfen. Sie befahlen Maithsauli, sich niederzusetzen, und sagten zu ihm:
»Wenn der schwarze Vogel singt, nimmst du die Kalabasse und schöpfst Wasser aus. « Als die Wasserjungfern schon so viel Wasser ausgeschöpft hatten, dass der See anfing trocken zu werden, da sang plötzlich der Vogel, der am Wege auf der Lauer lag. Alle Wasserjungfern versteckten sich, und Maith¬sauli ergriff die Kalabasse. Da kam seine Frau und sagte:
»Mein Vater schickt mich zu fragen, ob du fertig seist. «
Er antwortete:
»Ich bin noch nicht fertig. «
Da sagte sie:
»Wenn du bis morgen nicht fertig bist, kommt mein Vater hierher. «
Er antwortete:
»Ich weiß nicht, ob ich heute fertig werde. « Kaum war die Frau fort, erschienen die Wasserjungfern wieder und hießen Maithsauli sich wieder hinsetzen. Sie begannen von neuem, Wasser auszuschöpfen, und schöpften so viel Wasser aus, dass der See immer trockener wurde. Als nur noch eine kleine Menge Wasser übrig war, kam die Frau abermals. Die Wasserjungfern versteckten sich wieder, und Maithsauli nahm die Kalabasse in die Hand. Die Frau sagte: »Mein Vater schickt mich zu fragen, ob du fertig seist. Er hat Hunger. « Sie fügte hinzu: »Ich will hier warten! « Er aber sagte:
»Nein! Geh fort! Ich bleibe allein hier. Binnen kurzem bin ich zurück! «
Als sie fort war, erschienen die Wasserjungfern wieder. Sie schöpften viel Wasser aus, und der See wurde trocken. Da kamen alle Tiere zum Vorschein, die in dem See waren: viele große Wasserschlangen, Alligatoren, Fische, Schildkröten und andere. Dann sagte eine Wasserjungfer:
»Fertig, Schwager! Jetzt kannst du es deinem Schwiegervater sagen! Wir gehen fort! Rufe deinen Schwiegervater! « Maithsauli ging mit dem schwarzen Vogel in das Haus. Der Vogel blieb draußen in der Nähe des Hauses, während Maithsauli eintrat und zu seinem Schwiegervater sagte: »Der See ist fertig! « Da freute sich der Alte. Maithsauli fuhr fort: »Es sind dort viele Fische, Wasserschlangen, Alligatoren! «
Da schickte sein Schwiegervater einen seiner Söhne aus, er solle nachsehen, ob es nicht vielleicht eine Lüge seines Schwiegersohnes sei. Der Sohn des Königsgeiers sah nach und fand sehr viele Fische, Alligatoren und Schlangen, denn der See war sehr groß gewesen. Er kehrte zurück und sagte: »Es war keine Lüge, mein Vater. Der See ist trocken. Es sind dort sehr viele Fische, Wasserschlangen, Alligatoren, Schildkröten und andere Tiere. « Nun meinte der Alte:
»Morgen wollen wir alle anderen Leute einladen, um die Fische zu greifen! «
Am anderen Morgen gingen viele Leute hin, um die Fische zu fangen. Der Alte blieb zu Hause und sagte zu ihnen:
»Verliert nichts! Fangt alles, was im See ist! « Die Leute ringen viele Tiere und brachten Tragkörbe voll nach Hause. Der Alte freute sich über die vielen Fische. Er befahl, Blätter abzuschneiden. Die Leute brachten Blätter und breiteten sie auf dem Boden aus. Dann befahl der Alte, alle Fische aufzuschneiden und auf die Blätter zu legen. Sie zerschnitten alle Tiere und legten sie auf die Blätter. Dann befahl er, sie mit Blättern zuzudecken. Sie aßen viele davon. Was tat nun der Königsgeier? Er befahl seinem Schwiegersohn, auf einem Felsen ein Haus zu bauen. Wenn er es nicht fertigbrächte, wollte er ihn töten und fressen. Er befahl dies alles in der Absicht, ihn zu töten.
Maithsauli ging mit einem Grabscheit, das ihm sein Schwiegervater gegeben hatte. Maithsauli kam zum Felsen und stieß mit dem Grabscheit dagegen, konnte aber kein Loch machen. Da begegnete ihm ein Regenwurm und fragte ihn: »Was machst du da, Schwager? « Maithsauli antwortete:
»Der Königsgeier hat mich beauftragt, hier auf dem Felsen für ihn ein Haus zu bauen. « Der Regenwurm sagte:
»Gut! Ich will hier in den Felsen eindringen! Wenn ich eingedrungen bin, setze sofort die Hauspfosten in das Loch! « Sogleich drangen viele Regenwürmer hier und dort in den Felsen ein.
Die Hauspfosten lagen fertig da, der Alte hatte sie schlagen lassen. Maithsauli setzte alle Hauspfosten ein, fügte die Querbalken an und setzte das Dachgerüst darauf. Als er das Dachgerüst fertig hatte, begegnete ihm ein Webervogel.
Dieser fragte ihn: »Was machst du da, Schwager? «
Er antwortete: »Der Königsgeier hat mir befohlen, hier auf diesem Felsen ein Haus für ihn zu bauen. Ich bin gerade dabei. « Da sagte der Webervogel:
»Gut, Schwager! Ich will dir helfen. Setz dich hierher! Schau mir nicht nach! Ich klettere in die Höhe. « Der Webervogel, der kunstvolle Hängenester zu bauen weiß, kletterte in die Höhe.
Maithsauli blieb unten sitzen und blickte ihm nicht nach, Der Webervogel deckte das Haus in einem einzigen Augen blick. Dann stieg er herab und sagte zu Maithsauli:
»Fertig! Jetzt kannst du hinsehen! «
Maithsauli sah aufwärts, und siehe da, das ganze Haus war gedeckt.
Der Webervogel schickte ihn aus dem Haus und sagte zu ihm: »Setze dich hierher und blicke nicht nach dem Haus! « Maithsauli ging hinaus und setzte sich mit abgewendetem Gesicht hin.
Der Webervogel deckte nun alle Wände und machte einen Zugang vorn und einen hinten. Dann befahl er ihm, sich umzuwenden, und sagte: »Fertig! Das Haus ist fertig, Schwager! « Maithsauli sah das ganze Haus gedeckt, mit Wänden und Zugängen versehen. Dann sagte der Webervogel:
»Jetzt kannst du zu deinem Schwiegervater gehen und ihm sagen, dass das Haus fertig ist. Ich gehe fort! Erzähle nicht, dass ich das Haus gebaut habe! « Der Webervogel ging fort. Der Regenwurm ging auch fort. Maithsauli ging zum Hause seines Schwiegervaters und sagte ihm, das Haus sei fertig. Der Alte freute sich und ging hin, das Haus zu sehen. Er fand es schön und kehrte nach Hause zurück. Dann sagte er zu seinem Schwiegersohn: »Jetzt mach mir eine Bank aus Stein mit zwei Köpfen wie mein Kopf! «
Maithsauli dachte nach. Dann ging er fort. Der Alte wollte die Bank für sein neues Haus haben. Nahe dem Hause war ein runder Felsen. Maithsauli schlug darauf. Es flog auch ein Stück davon ab, aber formen ließ sich der Stein nicht. Da begegneten ihm die weißen Termiten. Sie fragten ihn: »Was machst du da, Schwager? « Er antwortete:
»Ich bin dabei, hier eine Bank zu meißeln für meinen Schwiegervater. Er befahl, zwei Köpfe anzubringen wie sein Kopf. « Da gaben ihm die Termiten den Rat, seine Hängematte im Hause anzubringen, und sagten zu ihm: »Schaue nicht auf uns! Wir wollen dir alle helfen! Wir wollen eine Bank machen, aber eine Bank, die laufen kann wie die Leute! «
Maithsauli ging ins Haus, band seine Hängematte an und legte sich hinein.
Die Termiten blieben draußen und machten die Bank. Es war morgens, als er ihnen begegnet war. Sie machten die Bank im Handumdrehen, bis zum Mittag waren sie damit fertig. Die Bank hatte zwei Köpfe wie der Königsgeier. Dann riefen sie:
»Fertig, Schwager! Die Bank ist fertig! « Da ging er hinaus und die Termiten sagten zu ihm: »Erschrick nicht, Schwager! Wir wollen die Bank in das Haus gehen lassen!« Dann sagten sie zur Bank: »Gehe ins Haus! « Die Bank setzte sich sogleich in Bewegung, wie eine Landschildkröte watschelnd, und ging ins Haus hinein. Maithsauli erschrak. Die Termiten aber meinten:
»Fürchte dich nicht! Sie frisst niemanden! Wenn du zur Bank sagst, >Bleib stehen, meine Bank! < dann bleibt sie stehen. « Dann rieten sie ihm, der Bank zu sagen, sie solle gehen. Da befahl er der Bank:
»Ich will, dass du hinausgehst, meine Bank! Bleib gegenüber dem Eingange stehen! « Die Bank ging hinaus und blieb gegenüber dem Eingange des Hauses stehen. Dann sagten die Termiten:
»Jetzt kannst du deinem Schwiegervater sagen, die Bank sei fertig. Erzähle ihm aber nichts von uns! Wir gehen fort! « Und die Termiten gingen fort.
Er ging zum Hause seines Schwiegervaters. Dieser gab ihm Kaschiri zu trinken, ein dunkles, berauschendes Maniokka-schiri. Er trank aber nichts davon, sondern gab alles seiner Frau. Er selbst trank Maiskaschiri im Hause der Periqui¬tos, Papageien und Araras und verbarg heimlich ein Maiskorn in seinem Munde, denn er beabsichtigte, es mit auf die Erde zu nehmen. Er trank auch Maniokkaschiri im Hause der Enten, welche Maniokpflanzungen besaßen. An diesem Tage, als er seinem Schwiegervater gemeldet hatte, die Bank sei fertig, sagte er zu ihm: »Erschrick nicht vor der Bank! « Der Königsgeier antwortete:
»Komm mit mir! « Er lud auch seine Söhne ein, mitzugehen und die Bank anzusehen. Sie gingen zu dem neuen Hause. Als die Bank fertig war, hoffte Maithsauli, dass sie ihm helfen würde, sich vor dem Schwiegervater zu retten. Er hatte Wespen daran gesetzt und zu ihnen gesagt: »Wenn mein Schwiegervater sich auf die Bank setzt, stecht ihn! « Nun forderte er seinen Schwiegervater auf, sich auf die Bank zu setzen, und sagte zu ihm: »Erschrick nicht! « Dann sagte er zur Bank: »Geh ins Haus! « Als sich der Königsgeier auf die Bank setzte, wurde er von den Wespen zerstochen, und die Bank lief mit ihm fort. Da erschrak der Alte so, dass er aufsprang und wegrannte, ganz zerstochen von den Wespen. Er stieß mit dem Kopf wider einen Baum und fiel zu Boden. Auch seine Söhne liefen alle weg. Der Alte wälzte sich, ganz wirr im Kopf, umher und konnte nicht mehr gehen. Da befahl Maithsauli der Bank, sie solle zu dem Alten hingehen. Als die Bank ankam, stieß der Alte sie zurück. Aber die Bank kam immer wieder hinter ihm her. Maithsauli befahl der Bank, weiter hinter dem Alten herzulaufen. Er sagte zu ihr:
»Wenn der Alte nach seinem Hause geht, folgst du ihm und bleibst am Eingange stehen! « Als die Bank lief, sagte der eine Kopf immer:
»Tiergespenst, meine Tochter!« Da antwortete der andere, kleinere Kopf mit leiser Stimme:
»Tiergespenst, meine Tochter!« Der Alte lief wie verrückt vor Angst und Schmerz nach seinem Hause, die Bank immer hinter ihm her. Der Alte rannte in sein Haus und verschloss die Türe hinter sich. Die Bank blieb am Eingang stehen. Dann dachte Maithsauli nach, wie er wieder auf die Erde hinunterkommen könnte. Es begegnete ihm eine Nachtigall, sie fragte ihn:
»Was machst du da, Schwager? « Maithsauli antwortete:
»Ich denke nach, wie ich zur Erde zurückkehren kann. «
Da sagte die Nachtigall:
»Warte, ich hole eine Zauberpflanze! «
Maithsauli wartete. Bald darauf kam die Nachtigall mit einer Zauberpflanze zurück. Sie bat Maithsauli: »Bücke dich! Ich will dich mit der Zauberpflanze anblasen! « Sie kaute die Zauberpflanze und blies ihn an. Maithsauli wurde sehr leicht. Dann befahl ihm die Nachtigall, ihr Kleid anzuziehen. Maithsauli zog das Kleid an. Darauf sagte der Vogel: »Jetzt schlage mit den Flügeln! « Da flog Maithsauli. Sie flogen beide fort und kamen zum Eingang des Himmels. Die Nachtigall rief: »Jetzt bücke dich! « Maithsauli bückte sich, und sie flogen durch den Eingang des Himmels und dann weiter zur Erde hinab. Die Nachtigall wusste, wo Maithsaulis Verwandte waren und brachte ihn in die Nähe ihres Hauses, an den Bach, dort wo jetzt der Anlegeplatz war. Hier ließ ihn der Vogel allein und sagte: »Jetzt gehe hin nach dem Hause deiner Verwandten! Ich gehe fort! « Die Nachtigall ging fort.
Als Maithsauli in das Haus seiner Verwandten kam, da erkannten sie ihn und fragten: »Wo kommst du her? Wo bist du gewesen? « Er antwortete:
»Ich war im Himmel, im Hause des Königsgeiers. « Dann erzählte er, wie er eine Tochter des Königsgeiers gefangen habe und von ihr zum Himmel getragen worden sei. Der Königsgeier habe ihn fressen wollen. Darum sei er geflohen, und die Nachtigall habe ihn hergebracht.
Er blieb bei den Verwandten. Sie hatten eine neue Pflanzung angelegt; dort pflanzte er das Maiskorn ein, das er mitgebracht hatte. Daraus entstand Mais mit zwei Kolben. Die Verwandten wollten den Mais essen, aber er sagte: »Nein! Benutzt ihn als Samen, um mehr zu ernten! « Sie ließen den Mais trocken werden und pflanzten ihn dann in eine andere Rodung, die sie inzwischen gebrannt hatten. Als die anderen Verwandten erfuhren, dass er Mais hatte, kamen sie und erbaten welchen von ihm. Er gab ihnen aber nicht etwa einen ganzen Kolben, sondern nur ein Korn, und er verkaufte es ihnen für eine Hängematte, wobei er zu ihnen sagte: »Ich habe nur ein Korn vom Himmel gebracht und es dort bezahlt. Hier unten hättet ihr niemals Mais gefunden. Ich habe ihn vom Himmel holen müssen. « Die Leute pflanzten fleißig Mais, so dass er sich vervielfältigte und nun für alle reicht. Es ist der Mais, den wir heute haben. Aus Dankbarkeit setzte Maithsauli die Wespen neben die Webervögel. Seit dieser Zeit bauen die Webervögel und die Wespen ihre Nester nebeneinander und sind Freunde bis auf den heutigen Tag. — Das ist das Ende der Geschichte.