Der Neid und die Macht der Angst

Märchen aus Bulgarien

Es war einmal ein Zar, der hatte einen Arzt. Dieser konnte viel, war sehr neidisch und, damit niemand etwas von ihm lernen konnte, hielt er sich nicht einmal einen Diener. Es gab aber einen schlauen Jungen. Der stellte sich stumm, zog aus, sein Glück zu suchen, und kam auch zu dem Arzt. Als der sah, dass der Junge stumm war, dachte er sich: »Das ist ein Diener für mich, und was er auch lernt, er kann mir doch nicht gleichkommen, da er stumm ist«, und da nahm er ihn. Der Junge blieb sieben Jahre bei ihm. Niemand merkte, dass er sprechen konnte. Der Arzt verheimlichte nichts vor ihm, so dass er gelehrter wurde als der Arzt selber. Der Zar hatte eine Tochter. Seit einiger Zeit begann ihr, der Kopf zu schmerzen. Der Zar sagte zu dem Arzt, er solle alles ihm Mögliche tun, um sie zu heilen. Der Arzt aber sagte: »Erhabener Zar! Ihre Krankheit ist sehr schlimm. Eine Hoffnung ist mir nur geblieben, um es zu versuchen, aber das ist schrecklich, sie kann auch daran sterben. Deshalb gib mir ein schriftliches Versprechen, dass du mir nichts Böses tun wirst, wenn - was Gott verhüte - deine Tochter stirbt; dann will ich es versuchen. « Der Zar fragte seine Tochter - und die sagte: »Ob ich sterbe oder gesund werde, ich kann die Schmerzen nicht länger ertragen. «
Der Zar gab dem Arzt die Erlaubnis. Der schloss sich mit dem Zaren und seiner Tochter in eine Kammer und nahm alles mit, was er brauchte, nur den Jungen ließ er nicht zusehen, dass er nicht auch das lerne; denn es war eine sehr seltene Krankheit. Der Junge aber, der das größte Verlangen hatte, auch das zu lernen, konnte es nicht lassen zuzusehen. Leise, leise stieg er zu der Dachkammer und bohrte ein Loch in die Decke, gerade so groß, dass er sehen konnte, was der Arzt machen würde. Der Arzt setzte die Zarentochter auf einen Stuhl, band sie ordentlich fest, dass sie sich nicht rühren konnte, betäubte sie dann, spaltete den Kopf und öffnete ihn an der Stirn und sah - einen Käfer, der sich mit den Füßen im Gehirn festklammerte. Da nahm er die Zange, um ihn herauszuziehen, aber so wie er ihn fassen wollte, ließ sich eine Stimme hören: »Um Gottes Willen, höre! Ziehe den Käfer nicht mit der Zange heraus, er wird das Gehirn zerreißen, und das Mädchen wird sterben! Mach eine Nadel heiß und stich den Käfer von hinten mit der Nadel, dann wird er von selbst die Füße loslassen und abfallen, ohne das Gehirn zu verletzen!«
Der Arzt sah ein, dass es wirklich so besser sei, und tat, was ihm die Stimme von der Decke sagte. Dann schloss er ganz vorsichtig den Kopf spalt wieder zu und verband den Kopf mit den notwendigen Mitteln.
Das Mädchen erwachte und fühlte, dass ihm besser war als vorher. Als sie nun wieder gesund war, rief der Zar den Arzt und sagte zu ihm: »Was verlangst du von mir, dass du meine Tochter geheilt hast? « (Doch zuvor hatte der Zar zu dem Arzt gesagt, was auch immer er verlange, wolle er ihm geben, wenn er seine Tochter wieder gesund mache.) Da antwortete der Arzt: »Ich verlange, dass du meinen Lehrling tötest! «
Als der Zar das hörte, wunderte er sich und sagte zu dem Arzt: »Verlange etwas anderes, nur das nicht. « Aber der Arzt bestand darauf.
Da sprach der Junge zu dem Zaren: »Erhabener Zar! Ich sehe, dass du mir nichts Übles antun willst und Mitleid mit mir hast, aber der Arzt will, dass ich umkomme. Darum befiehl ihm, dass er mich vergifte und, wenn ich nicht an dem Tage sterbe, den er angibt, dass ich dann für ihn ein Gift bereite: und wir sehen, ob er sich retten kann wie ich. «
Dem Zar war das recht; einmal, weil er nicht wollte, dass der Junge umkomme, zum anderen, weil er so den Besten zum Arzt bekommen würde. Der Zar gab den Befehl, und am nächsten Tag brachte der Arzt dem Jungen das allerschärfste Gift und gab es ihm vor den Augen des Zaren.
Der Junge fragte den Arzt: »Wieviel Stunden werde ich noch leben, nachdem ich das Gift getrunken habe? «
Der Arzt antwortete: »Sieben Stunden. «
Der Junge aber, der zuvor ein Gegenmittel eingenommen hatte, trank das Gift und ging hinaus.
Nach sieben Stunden trat er wieder vor den Zaren, heil und ganz.
»Jetzt«, sprach er zum Zaren, »ist die Reihe an mir, Gift für meinen Meister zu bereiten, doch bitte ich dich, erhabener Zar, lass einen Ausrufer auf dem Markt verkünden, es solle drei Tage und drei Nächte keiner aus dem Hause gehen, solange ich das Gift koche, denn schon von seinem Geruch fallen die Vögel tot auf die Erde.«
Am vierten Tag erschien er wieder vor dem Zaren, nahm vor dessen Augen ein wenig Wasser, tat es in eine Flasche und verschloss sie. Dann sagte er dem Zaren, er möge den Arzt rufen lassen. Sobald der kam, gab er ihm die Flasche zum Trinken, und als der Arzt ihn fragte: »Wieviel Stunden werde ich noch leben, wenn ich das ausgetrunken habe? « antwortete der Junge: »Sowie du die Flasche in die Hand nimmst, wirst du sterben. «
Und sobald der Arzt sie ergriff, fiel er tot hin.